Europa & Wirtschaft
Die alten Griechen
Nachrichten aus Griechenland lösen immer wieder neue Schockzustände aus. Wenn heute von dem südeuropäischen Land die Rede ist, mischt sich Mitleid, Ungeduld und manchmal auch Häme in die Diskussion. Wer all das Lamentieren nicht mehr hören kann, dem sei die Lektüre der klassischen Mythen ans Herz gelegt. Eskapismus hilft. Wessen Altgriechisch etwas eingerostet ist, muss sich mit einer Übersetzung begnügen. Zwar gelten die von Gustav Schwab übertragenen Sagen als der Klassiker schlechthin, doch wer eine modernere Erzählweise bevorzugt, dem könnten die Nacherzählungen des Österreichers Michael Köhlmeier gefallen. Leicht amüsiert erzählt er, weshalb die lieblich anzusehende, jedoch etwas naive Königstochter Europa auf einen Stier hereingefallen ist. Trotzdem trägt ein ganzer Kontinent ihren Namen. Natürlich nehmen allseits bekannte Helden wie Odysseus oder Achill viel Raum ein. Außerdem schildert der Autor ausführlich, welche Kommunikationsprobleme Götter und Menschen plagten. Tragische Figuren wie Orpheus und Eurydike erklärt uns der Autor ebenso in den neu erzählten Sagen wie die Alphatiere der griechischen Mythologie, inklusive ihrer Schwächen.
Fazit: Für eine Portion klassische Bildung ist es nie zu spät, selbst moderne Alphatiere profitieren davon.
Michael Köhlmeier: Das große Sagenbuch des klassischen Altertums. Piper, München, 2011. 631 Seiten, 12,99 Euro.
Als Podcast sind einige von Köhlmeiers Nacherzählungen über BR-alpha verfügbar.
Schulden machen
Seit Jahren dominieren Schulden die Wirtschaftsnachrichten. Scheinbar jede Talkshow nimmt sich des Themas an, ohne irgendetwas Substanzielles erklären zu können. Wer sich abseits der Aufgeregtheit dem Thema nähern möchte und etwas Zeit für die Lektüre mitbringt, dem sei David Graebers umfangreiches Werk „Schulden" empfohlen. Glaubt man dem Autor, begannen seine Recherchen mit der simplen Frage auf einer Party: Gibt es eine moralische Verpflichtung, Schulden zurückzuzahlen? Fundiert und pointiert erläutert der Ethnologe, wie sich in den vergangenen 5000 Jahren Kredite immer mehr dazu entwickelt haben, Abhängigkeiten zu schaffen und Schuldner in die Sklaverei zu treiben.
Fazit: Keine leichte, jedoch lohnende Lektüre für alle, denen die oberflächliche Berichterstattung der Schuldenkrise nicht reicht und die verstehen möchten, was dahinter stecken könnte.
David Graeber: Schulden. Die ersten 5.000 Jahre. Klett-Cotta, Stuttgart, 2011. 536 Seiten, 26,95 Euro. Auch als e-Book erhältlich.
Ungleichheit hat ihren Preis
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz schreibt und spricht gern Klartext. So hat er etwa in der Vergangenheit auf die Schattenseiten der Globalisierung hingewiesen. In seinem im Oktober erschienenen Buch „Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht", widmet sich der 69-jährige Professor für Volkswirtschaft einem Thema, das auch hierzulande diskutiert wird. Ob und weshalb geht die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander und was bedeutet das für Wirtschaft und Gesellschaft? Stiglitz zeigt, dass das Credo der Chancengleichheit, ein uramerikanischer Wert, längst passé ist. In den USA entscheiden zunehmend sozialer Status der Eltern und Herkunft über die Zukunft. Auch die Annahme, dass sich Reichtum und Wohnstand von oben nach unten verteilen, stimmt dort nicht mehr.
Fazit: Joseph Stiglitz zeigt in seiner Analyse, dass sich ein entwickeltes Wirtschaftssystem und eine liberale Gesellschaft Ungleichheit nicht leisten können.
Joseph Stieglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht. Siedler Verlag, München, 2012. 509 Seiten, 24,99 Euro.
Rainer Maria Rilke hat Schnupfen
Wie ein buntes Mosaik aus Begegnungen und Anekdoten montiert Florian Illies das historisches Material des Jahres 1913 und setzt es nach Monaten geordnet wieder zusammen. Es entsteht ein Kaleidoskop an Begegnungen, Ideen, Zeitströmungen und Entwicklungen. Vor hundert Jahren schrieben sich zwar die Menschen noch Briefe und Telegramme, fuhren nicht zum Mond, und auch eine Reise von Prag nach Berlin war beschwerlich. Langweilig war es 1913 aber keineswegs. Ob in all den Episoden jedoch wirklich eine Ahnung mitschwingt, dass sich Europa nur ein Jahr später dramatisch veränderte, das muss der geneigte Leser selbst herausfinden.
Fazit: Viele kleine Geschichten die dazu anregen, dem ein- oder anderen angedeuteten Gedankengang zu vertiefen.
Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2012. 19,99 Euro.