Wer die Entwicklung der Cloud-Transformation in Deutschland in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß: Die Diagnosen sind oft wenig schmeichelhaft. Deutschen Unternehmen wird seit Jahren regelmäßig attestiert, zu verschlafen, zu ängstlich und vor allem zu planlos zu agieren. An den Vorwürfen ist sicherlich etwas dran. Doch mittlerweile ist Bewegung in die Debatte und die Unternehmen gekommen - zumindest, wenn man den Experten der COMPUTERWOCHE-Diskussion zum Thema "Cloud-Migration" Glauben schenken darf.
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Endlich gibt es einen Plan
Tatsächlich scheint sich die anfänglich kühle Beziehung zur Cloud langsam etwas aufgewärmt zu haben. Das zeigt sich vor allem daran, dass die noch vor einiger Zeit unterstellte Planlosigkeit nachzulassen scheint. "Die Firmen, die heute mit größeren Infrastrukturprojekten in die Cloud wollen, machen sich viel mehr Gedanken darüber, was der konkrete Mehrwert ist," erklärt Christian Staehler, Senior Principal bei Infosys Consulting. Die Zeiten, in denen der Weg in die Cloud Selbstzweck war, seien langsam vorbei.
Die Experten bescheinigen deutschen Unternehmen zunehmend, die Gründe für die Migration differenzierter zu betrachten. Zwar ist für viele immer noch die Fehlannahme, die Cloud würde automatisch Kosteneinsparungen bedeuten, der Hauptimpuls. "Die Nachricht, dass dem nicht so ist, kommt aber langsam im Markt an", stellt Erik Dörnenburg, CTO Europe bei Thoughtworks, fest.
Wer jetzt aber denkt, die Zeiten fehlender Cloud-Strategien seien endlich vorbei, wird enttäuscht: "Alle behaupten mittlerweile von sich, eine 'Cloud-First'-Strategie zu haben. Aber die wenigsten wissen, wie sie die Migration richtig angehen sollen", wirft Wolfgang Schuster, Business Value Advisor bei Flexera, in die Runde. Als größtes Hemmnis bezeichnet Schuster die fehlende Transparenz über Bestandssysteme. Viele Unternehmen täten sich schwer damit, ihren Status Quo zu analysieren.
Das führe wiederum zu Problemen im weiteren Verlauf, wie Orli Shahidi, Key Account Manager bei Getronics, bemerkt: "Bei der Beratung stellt sich oft heraus, dass die Vorstellung der Unternehmen, wo sie hinwollen, nicht zu ihren eigentlichen Zielen passt." Shahidi appelliert daher sowohl an die Service Provider als auch an Berater, sich im Gespräch mit Kunden nicht zu scheuen, deren Strategie zu hinterfragen.
Das Misstrauen gegenüber der Public Cloud verschwindet
Bemerkenswert sei außerdem eine weitere Entwicklung: "Kaum noch jemand spricht über Private Clouds", sagt Erik Dörnenburg. Das anfängliche Misstrauen gegenüber Hyperscalern verschwinde langsam. Unternehmen gingen zunehmend dazu über, in die Public Cloud zu gehen und personell auf den Aufbau von Plattform-Teams zu setzen - nicht zuletzt auch aufgrund des Fachkräftemangels. Denn die Public Cloud erlaube es Unternehmen, verhältnismäßig einfach auch Zugriff auf komplexe Systeme zu erhalten.
Das liege nicht zuletzt auch an dem großen Hype-Thema Generative KI. Die sei nämlich ein massiver Faktor, der Unternehmen in die Cloud treibe. Und aufgrund der erforderlichen Rechenleistung und damit erwartbar hohen Kosten denke kaum jemand in diesem Zusammenhang über On-Premises oder Private Cloud nach. Christian Staehler bringt das besonders pointiert auf den Punkt: "Wer AI will, kommt um die Public Cloud nicht mehr herum."
- Fabian Dörk, Claranet
„Die Kostenfokussierung betrachtet oft nur 'Was kostet mich das?' und vernachlässigt dabei 'Was kann ich gewinnen?'. Durch die Cloud können Unternehmen Ressourcen direkt den Fachabteilungen zur Verfügung zu stellen, ohne langwierige Genehmigungsprozesse. Dadurch wird man viel flexibler, schneller und agiler. Die Cloud ist somit ein Stück weit auch die Demokratisierung der IT. Das verändert auch die Rolle der IT-Teams hin zu mehr Plattform-Teams und Policy Management. Organisatorische Veränderungen sind meiner Meinung nach zwingend erforderlich und lassen sich nicht allein durch eine reine ROI-Analyse erfassen.“ - Lars Winterhalder, Conciso
„Erfahrungsgemäß funktioniert die Cloud-Migration immer dann am besten, wenn sie mit Anpassungen der Organisationsstruktur einhergeht, mehr in Richtung DevOps. Viele Unternehmen zögern zwar noch, 'echtes DevOps' umzusetzen. Doch ich beobachte immer mehr, dass Fachabteilung und IT zunehmend zusammenwachsen. Dies trägt ganz klar zum Erfolg der Migration bei.“ - Irini Pappa, Eviden
„Eine reine Betrachtung des Return-On-Investment ist im Kontext der Cloud-Migration oft sehr schwierig, weil sie optimalerweise auch die Anpassungen der Organisationsstruktur beinhaltet. Ohne diese geht es nicht. Aber meine Erfahrungen zeigen, dass dort, wo sich Unternehmen darauf einlassen, viel innovativere Lösungen entstehen. Das macht jedoch auch die Kostenplanung schwieriger.“ - Wolfgang Schuster, Flexera
“Viele gehen die Migration zwar mit viel Euphorie an, doch die Evaluation, welche Vorteile konkret erzielt wurden, wird oft sehr stiefmütterlich behandelt. Wenn dann die Kosten aus dem Ruder laufen, herrscht dann zunächst Verwirrung. Erst hinterher stellt man dann fest, dass sich Governance und Strukturen nie wirklich an die Gegebenheiten der Cloud angepasst haben – dabei ist das eine zentrale Voraussetzung, um die Cloud vollumfänglich für sich nutzbar zu machen.“ - Orli Shahidi, Getronics
“Vielen Unternehmen fehlt eine Bestandsaufnahme im Vorfeld, was sie haben und wohin sie wollen. Bei der Beratung stellt sich oft heraus, dass die Vorstellung der Unternehmen, wo sie hinwollen, nicht zu ihren eigentlichen Zielen passt. Deshalb müssen wir als Provider und Berater unbedingt hinterfragen, denn durch die zunehmende Wichtigkeit von DevOps-Teams haben wir es mit viel mehr Stakeholdern als früher zu tun.“ - Christian Staehler, Infosys Consulting
„Mittlerweile ist bei vielen Unternehmen erkennbar, dass sie eine klarere Vorstellung von ihrer Cloud-Strategie haben. Früher war die Cloud Strategie oftmals rein kostengetrieben, im worst case war die Journey to Cloud ein Selbstzweck. Heutzutage denken Unternehmen, welche mit größeren Infrastrukturprojekten in die Cloud wollen, viel mehr darüber nach, was der konkrete Mehrwert ist. Was ich aber auch sehe: Firmen, die diesen Ansatz nicht verfolgen, scheitern auf ihrer Journey to Cloud.“ - Thomas Huber, Nutanix
“Was uns die Public Cloud und die Service Provider gegeben haben, ist eine viel größere Hardwareunabhängigkeit. Es gibt heute viel mehr Wettbewerb im Markt. Diese Konkurrenz hat das Geschäft erheblich belebt und das Angebot viel breiter und attraktiver gemacht, was uns völlig neue Möglichkeiten eröffnet.“ - Michael Ehlert, SPIRIT/21
„Der Begriff 'Migration' suggeriert einen sehr großen Technikfokus. Dabei arbeiten wir mittlerweile viel mehr mit den Fachabteilungen, der Business-Seite, zusammen. Sich nur auf den technischen Aspekt der Migration zu fokussieren, wird der Komplexität nicht gerecht. Tatsächlich geht es um umfassende Change-Prozesse. Der Mehrwert muss deutlich werden. Deshalb müssen die Fachbereiche als Stakeholder zwingend berücksichtigt werden.“ - Erik Dörnenburg, Thoughtworks
„Entscheider sollten nicht nur die reinen Lizenzkosten mit den Kosten in der Cloud vergleichen. Moderne Technologien on-premises oder in der Private Cloud zu betreiben, erfordert Personal mit den entsprechenden Skills – was angesichts des umkämpften Arbeitsmarktes schnell zum Problem werden kann. Wer nur die Serverkosten im Vergleich zu einem Hyperscaler betrachtet, erhält ein völlig falsches Bild.“
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Zum Thema Cloud-Migration führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Julia Depaoli (julia.depaoli@foundryco.com, Telefon: +49 15290033824) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Die Organisationsstruktur muss sich ändern
Ganz gleich, aus welchen Gründen es Unternehmen in die Cloud treibe - mit der technischen Umsetzung allein sei es nach Meinung der Experten nicht getan, obwohl der Begriff der "Cloud-Migration" das zuweilen suggerieren mag: als einfache Umzugsbewegung von einem Punkt zum anderen.
Dabei sei der technische Aspekt nur ein Teil eines viel größeren Veränderungsprozesses, wenn Unternehmen wirklich die Vorzüge der Cloud nutzen wollten. "Wir arbeiten mittlerweile viel mehr mit den Fachabteilungen, der Business-Seite, zusammen", erklärt Michael Ehlert, Manager Cloud Strategy bei SPIRIT/21. "Sich nur auf den technischen Aspekt der Migration zu fokussieren, wird der Komplexität nicht gerecht. Tatsächlich geht es um umfassende Change-Prozesse", sagt Ehlert. Um den tatsächlichen Mehrwert herauszuarbeiten, müssten die Fachabteilungen zwingend als Stakeholder involviert sein.
Tatsächlich nähmen sich Unternehmen, die ihre Organisationsstruktur und ihre Arbeitsweise im Zuge der Migration weitestgehend unverändert lassen, sehr viel Flexibilität. Vor allem das Aufbrechen von Silos zu Gunsten agilerer Teamstrukturen erlaube Unternehmen nämlich, viel näher an tatsächlichen Anwendungsfällen zu arbeiten, ist sich die Runde einig.
Ganz klar benennt das Lars Winterhalder, Topic Lead Software-Architektur bei Conciso: "Erfahrungsgemäß funktioniert die Cloud-Migration immer dann am besten, wenn sie mit Anpassungen der Organisationsstruktur einhergeht." Zwar scheuten viele Unternehmen noch den vollumfänglichen Einsatz von DevOps-Methoden. Laut Winterhalder trage aber ein zunehmendes Zusammenwachsen von IT und Fachabteilung klar zum Migrationserfolg bei.
Das bestätigt auch Irini Pappa, Cloud Project Manager bei Eviden: "Ohne Veränderungen in der Organisationsstruktur geht es nicht. Aber meine Erfahrungen zeigen, dass dort, wo sich Unternehmen darauf einlassen, viel innovativere Lösungen entstehen."
Die Cloud und die Demokratisierung der IT
Und hier drehe es sich dann doch wieder um die Kosten. Denn sei die Migration erst einmal abgeschlossen, gehe oft die Rechnerei los: Wie viel haben wir gespart? Wer nicht aufpasse, sei an dieser Stelle schnell ernüchtert. "Viele gehen die Migration zwar mit viel Euphorie an, doch die Evaluation, welche Vorteile konkret erzielt wurden, wird oft sehr stiefmütterlich behandelt", erklärt Wolfgang Schuster. Das habe oft zur Folge, dass die Kosten schnell außer Rand und Band liefen. "Erst hinterher stellt man dann fest, dass sich Governance und Strukturen nie wirklich an die Gegebenheiten der Cloud angepasst haben", sagt Schuster.
Und doch seien die blanken Zahlen oft ein schlechter Berater. "Die Kostenfokussierung betrachtet oft nur 'Was kostet mich das?' und vernachlässigt dabei 'Was kann ich gewinnen?''", warnt Fabian Dörk, Cloud Services Director bei Claranet. Die entsprechende Organisationsstruktur vorausgesetzt, könnten Fachabteilungen durch die Cloud viel flexibler, agiler und schneller arbeiten als zuvor. "Die Cloud ist somit ein Stück weit auch die Demokratisierung der IT", sagt Dörk. Der hohe Grad an Automatisierung in der Cloud erlaube demnach, dass sich auch die Rolle der IT-Abteilung ändere - und sie mehr zum Enabler in Form von Plattform-Teams und Policy Manager werde.
Zustimmung erhält Dörk von Thomas Huber, Regional Director Named Commercial & Territory Sales bei Nutanix, der erklärt: "Was uns die Public Cloud und die Service Provider gegeben haben, ist eine viel größere Hardwareunabhängigkeit." Zudem habe der zunehmend wachsende Wettbewerb das Angebot auf dem Markt deutlich breiter und attraktiver gemacht.
Es ist also Bewegung im Cloud-Markt - und wo wir noch vor ein bis zwei Jahren zu viel Zögerlichkeit, Rat- und Planlosigkeit sahen, scheint das Thema Cloud-Migration nun langsam auch in der Fläche in einen wesentlich produktiveren Modus übergegangen zu sein. Bleibt abzuwarten, inwiefern die breite Masse sich auch langfristig auf die Eigenheiten der Cloud einlassen und deren Vorteile für sich nutzen kann. Die Chancen scheinen aber nicht schlecht zu stehen.
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