Experten diskutieren Service Management

Wer transformieren will, muss inspirieren

04.06.2024
Von 
Florian Stocker ist Inhaber der Kommunikationsagentur "Medienstürmer".
Wenn die Transformation gelingen soll, muss die IT ihre Fachbereiche von neuen Technologien und Services begeistern und überzeugen. Inspiration ist gefragt.
Die Rolle der IT wandelt sich. Der Schwerpunkt wandert von der Technik ins Business. Dort gilt es, die Fachanwender mit neuen Services zu inspirieren.
Die Rolle der IT wandelt sich. Der Schwerpunkt wandert von der Technik ins Business. Dort gilt es, die Fachanwender mit neuen Services zu inspirieren.
Foto: LeoWolfert - shutterstock.com

Das IT-Service Management gilt mit seinem De-Facto-Standard ITIL als Disziplin, in der ein hoher Standardisierungsgrad herrscht. Gerade deswegen ist es interessant zu beobachten, wie viel Dynamik und Weiterentwicklung dennoch in der ITSM-Welt steckt - zuallererst abzulesen an den gewählten Begrifflichkeiten. Zur Disposition steht insbesondere immer mehr der Term "IT" im ITSM. Schon seit einigen Jahren geht der Trend weg vom eher technologieorientierten ITSM hin zum ganzheitlicheren ESM (Enterprise Service Management) oder sogar zur Auflösung dieser Zuordnung im Rahmen eines universellen Service Managements.

Forrester definiert ESM beispielsweise als eine "Erweiterung der IT-Service-Management-Funktionen über Technologieservices hinaus, um unternehmensorientierte Anwendungsfälle zu bewältigen." Servicebedarf und -angebot werden dabei idealerweise über eine gemeinsame Plattform synchronisiert und mit Technologien wie Workflow-Automatisierung durch PaaS- oder Low-Code-Entwicklungswerkzeuge ergänzt. Das soll mehr Innovation ermöglichen und die Erbringung von Services beschleunigen.

Früher stand also die Technik selbst im Mittelpunkt, heute liegt der Fokus zunehmend auf Kunden- und Serviceorientierung. Das bedeutet, dass Prozesse nicht mehr nur im Hintergrund ablaufen, sondern als IT-Dienstleistungen für die Kunden sichtbar sind. Diese Sichtbarkeit verändert auch die Erwartung an die IT insgesamt, wie die Experten beim Computerwoche-Roundtable "IT Service Management" immer wieder feststellen.

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Rolle der IT: Weniger Infrastruktur, mehr Business

"Die Rolle der IT verändert sich", bemerkt Ralf Schnell von ServiceNow im Rahmen der Diskussion. Sie entwickle sich weg vom reinen Infrastrukturbetrieb hin zum Kernbereich des Unternehmens. "Das bedeutet, dass ich eine andere Qualität der Dienstleistung erbringen muss."

Konkret heißt das, dass alle Bereiche - Business und Kundenseite - unmittelbar den Nutzen eines neuen Services spüren müssen, um diesem auch positiv gegenüberzustehen.

"Wenn ich einen Service lediglich nicht verschlechtere und dafür etwas einführe, was auf Seiten des Kunden sogar mehr Komplexität bringt, dann habe ich mein Ziel nicht erreicht", so Schnell. "Das wäre, als würde ich bei zäh fließendem Verkehr auf der Autobahn Autofahrern verbieten, die Fahrspur zu wechseln. Das mag das objektiv eine Verbesserung sein, denn es führt insgesamt zu besser fließendem Verkehr, subjektiv fühlen sich die Autofahrer aber eingeschränkt und gegängelt, denn der Nutzen wird für sie individuell nicht erkennbar."

Geht es bei der Transformation des Service Managements - oder bei der Transformation des Business insgesamt - also vor allem darum, dass die IT ihre Rolle neu justieren muss? Oder müssen auch die anderen beteiligten Akteure wie zum Beispiel Management, Fachabteilung, Sales und Marketing ihren Teil dazu beitragen?

Für Melika Lampenschulten liegt die Lösung eindeutig in der Annäherung aller Bereiche: "IT war schon immer ein Backbone und ist unerlässlich für Business-Tätigkeiten. Die Selbstverständlichkeit, der IT ein Problem hinzuschmeißen und dann darauf zu vertrauen, dass sie schon mit Lösungen um die Ecke kommt, ist eigentlich ein No-Go. Für den unternehmerischen Erfolg kommt es darauf an, dass IT und Fachbereich gemeinsam im Dialog die jeweils sinnvollste Lösung suchen."

Innovation bedeutet also auch das ständig neue Aushandeln von technologischen und organisatorischen Impulsen. Zwang ist aus Sicht der Experten nie eine gute Idee, weil sonst die Fachabteilungen blockieren würden. Aus den Fachabteilungen sollte deswegen idealerweise auch der erste Impuls kommen. Gründe für Ablehnung und Skepsis gibt es genug: Zum Beispiel, weil die Software nur teilweise zum Einsatzzweck passt, weil Spezifika der Abteilung nicht erfüllt sind, oder einfach, weil nicht klar ist, ob die Lösung im Vergleich zum Status Quo wirklich besser ist. Die IT muss also vor allem ein Gefühl für das Mögliche wecken und die Fachabteilungen "inspirieren".

Insbesondere Unternehmen, die unter einer großen Alltagsbelastung leiden, sollten aus Sicht von Kai Hinke (ConSol) vermeiden, ein Projekt von Beginn an als "eierlegende Wollmilchsau" zu planen. Auch er empfiehlt ein Schritt-für-Schritt-Vorgehen: "Lieber ein isoliertes (Teil-)Projekt identifizieren und angehen, in kleinen Schritten umsetzen, dann einen erfolgreichen Testballon launchen und damit andere Abteilungen inspirieren."

Studie "Service Management 2024": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Service Management führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Verantwortlichen durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Julia Depaoli (julia.depaoli@foundryco.com, Telefon: +49 15290033824) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Treiber künstliche Intelligenz

Ein Thema, das die Neugier in den Fachabteilungen weckt und sich für solche Testballons besonders gut eignet, ist - vor allem wegen seiner Omnipräsenz in der öffentlichen Debatte - das Thema KI. Jede Abteilung hat mindestens eine Vorstellung davon und vielleicht auch schon von Use Cases für den eigenen Einsatzzweck gehört. Da viele Mitarbeiter schon eigene Versuche abseits der offiziellen Infrastruktur mit KI gemacht haben, sind die Forderungen entsprechend laut, auch von offizieller Seite Technologien einzuführen. Insbesondere die in der jüngeren Vergangenheit gemachten Fortschritte bei GenAI und Large Language Models sorgen für vielfältige Anknüpfungspunkte im Service Management.

Für ServiceNow-Manager Schnell ist "die Technologie und insbesondere KI so weit entwickelt, dass sie die grundlegenden 80 Prozent der Tätigkeiten im Service Management sukzessive übernehmen kann". Durch die erzielten Qualitätssprünge bei der Automatisierung sei auch mehr Differenzierung am Markt möglich, denn dadurch gewännen Menschen den Freiraum, sich um die 20 Prozent der Aufgaben zu kümmern, die tatsächlich den Unterschied ausmachen.

Die Dosis macht das Gift

Beim KI-Einsatz im Service Management macht allerdings wie in den meisten anderen Bereichen auch die Dosis das Gift: "Gen AI ist gut und schön und bietet sicher auch viele Anknüpfungspunkte für die Produktivität", betont Michael Bauer von IFS. "Kunden werden es aber nie akzeptieren, 'nur' mit einem Algorithmus zu sprechen. Es braucht immer einen 'Human Touch'."

Der potenzielle Nutzen der Technologie zeigt sich dabei in zwei Dimensionen: Der Abbildung von Prozessen und der Analyse. Process Mining hilft im Service-Management-Kontext vor allem dabei, das in Daten enthaltene Prozesswissen zu erheben und beispielsweise entlang von ITIL zu modellieren. Die Roundtable-Experten warnen allerdings auch davor, einen allzu technokratischen Zugang zu diesem Thema zu entwickeln.

Kai Hinke sieht das Process Mining als Technologie zum Beispiel eher am Ende der Analyse. "Anfangen muss ich bei der Organisationseinheit und meinen Ressourcen. Es braucht die nötige Offenheit, mich unvoreingenommen mit dem Status Quo zu beschäftigen."

Insgesamt unterstreicht der Wandel des ITSM in die Mitte des Unternehmens den allgemeinen Trend einer "Demokratisierung" der IT. Doch nur, wenn Unternehmen jetzt die richtigen organisatorischen Schritte folgen lassen und klären, wie Innovation sich im Alltag von IT und Fachabteilung etablieren kann, wird aus der Inspiration auch eine langfristige Transformation.

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