Der Bereich Regulatory Affairs im Unternehmensbereich Healthcare von Merck befasst sich weltweit mit der Einreichung, Zulassung und Lizensierung von Arzneien. Da der Darmstädter Konzern in über 66 Ländern mit teilweise stark unterschiedlichen Anforderungen aktiv ist, gilt es, große Mengen an Daten unter Zeitdruck und mit hohem technischem Aufwand an die verschiedenen Gesundheitsbehörden zu übermitteln. Hierfür sind moderne Arbeitsmittel und flexible Lösungen notwendig, die es ermöglichen automatisch Daten und Dokumente zu verarbeiten und gleichzeitig aufwendige manuelle Datenverarbeitung zu verringern.
Ressourcen für sinnschaffende Tätigkeiten freiräumen
"Dazu muss man wissen, dass der Regulatory-Bereich ein Arbeitnehmer-Markt ist, das heißt, man kann die Experten nicht mit langweiligen Aufgaben belasten", berichtet Regina Freunscht, Head of Regulatory Affairs Operations im Unternehmensbereich Healthcare von Merck, im Gespräch: "Nicht nur, dass die Mitarbeiter heute nicht mehr so wie vor 5 Jahren arbeiten wollen - neu eingestellte Kollegen gaben auch an, sie wollen in drei Jahren nicht mehr so wie heute arbeiten.
Entsprechend wichtig sei es, Ressourcen freizuräumen, die es den Experten ermöglichen, sinnschaffend zu arbeiten", erklärt Freunscht. "Da wir in dem Bereich wachsen, aber nicht ständig mehr Geld investieren können, kam die Idee, bestimmte Tätigkeiten durch Robotic Process Automation (RPA) zu automatisieren", berichtet die Merck-Managerin. Dies setzte jedoch einen Sprung ins kalte Wasser voraus, denn wie Freunscht erklärt: "Jeder spricht über RPA, aber es gibt kaum Beispiele aus der Praxis."
Fakten schlagen Meinungen
Mangels Blaupausen entschloss sich die Managerin dazu, eine Vorreiterrolle einzunehmen und ein eigenes Projekt zu starten - allerdings nicht nach der Standard-Vorgehensweise, denn wie sie erläutert, "das hätte viel zu lange gedauert", und auch nicht mit einem Extra-Team. Besonders war auch die Vorgehensweise: Anstatt sich auf das Bauchgefühl zu verlassen und Mitarbeiter nach Vorgängen zu fragen, die sie gerne automatisieren würden, setzte Merck auf Process Mining, um die "Pain Points" und Möglichkeiten zu identifizieren. Dazu wurde ein Schwerpunktsystem ausgewählt und der darin laufende Datenverkehr überprüft.
"Ziel war es, die 20 Prozent der Prozesse zu finden, die zu 80 Prozent des Datenverkehrs und -Volumens beitragen", erklärt Freunscht. Mit diesen datengestützten Erkenntnissen habe man dann echte Lernerfolge erzielt. "Ohne das Gender-Thema allzu sehr zu strapazieren, haben die harten Daten und Fakten mir dabei geholfen, um als Frau unter männlichen Wissenschaftlern Gehör zu finden", berichtet die Merck-Managerin.
Scrum statt Six Sigma
Merck startete im November 2018 das Projekt SARA (Smart Assistants for Regulatory Affairs) mit Unterstützung der Managementberatung Leadvise Reply. Dazu wurden Experten-Teams zusammengestellt und Rapid Prototypes definiert, die in den darauffolgenden zwölf Wochen entwickelt wurden. "Die Anwender spielen mit den unfertigen Prototypen, es erfolgt ein Feinschliff und wenn alles funktioniert, wird es validiert und geht von der Entwicklung in die Produktion", beschreibt Freunscht die Vorgehensweise. Zusätzliche Ressourcen habe es nicht gegeben, aber die Mitarbeiter seien hoch motiviert gewesen und profitierten heute bereits davon.
Ein Beispiel für ein umgesetztes Projekt ist das automatische Erkennen und Weiterbearbeiten von Zulassungsbescheiden. Dazu muss man wissen, dass Merck seine Anträge für Neuzulassungen oder Änderungsanträge nicht nur bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) oder dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einreichen muss, sondern praktisch jedes Land seine eigene Zulassungsbehörde besitzt. Selbst eine Änderung des Logos, wie sie Merck 2015 vornahm, erfordert dabei eine neue Genehmigung.