Diversity

Warum Unternehmen Vielfalt fördern sollten

27.07.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Diversity ist die Zukunft, das Zeitalter der alten weißen Männer geht zu Ende. Kaum einer zweifelt noch daran, dass Vielfalt Kreativität und Innovationskraft beflügelt. Doch dafür braucht es auch einen Wandel der Unternehmenskultur.
Divers zusammengesetzte Teams sind kreativer und erfolgreicher.
Divers zusammengesetzte Teams sind kreativer und erfolgreicher.
Foto: creativetan - shutterstock.com

Es geht um Fairness und das Firmenimage, vor allem aber um Produktivität: Divers zusammengesetzte Teams, was Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft und sexuelle Orientierung anbelangt, sind kreativer, innovativer und oft auch effizienter. Daher schreiben sich immer mehr Unternehmen die Themen Diversity & Inclusion (D&I) groß auf die Fahnen.

Doch in der Umsetzung tun sich die Betriebe schwer. Vielerorts wird das Thema auf die Frage reduziert, wie hoch der Frauenanteil in Führungspositionen oder dem Top-Management ist. Oft ist die Bilanz blamabel, weshalb im nächsten Schritt über Quoten diskutiert wird. Doch der Blick auf die Geschlechterparität greift zu kurz: Schließlich gilt es viele Menschen mit einem LGBTQ-Hintergrund (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender and Queer), deren Bedürfnisse und Erfahrungen ebenfalls berücksichtigt werden sollten.

Das gelingt vor allem konservativen Unternehmen mit einer langjährigen Tradition oft nur schwer. Ein Kulturwandel ist erforderlich, auch deshalb, weil die jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Generation Z und der Millennials großen Wert auf einen fairen Umgang untereinander legen - unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Behinderung oder sexueller Orientierung. Die jüngeren Generationen sind eher bereit, sich dafür einzusetzen als die älteren.

Diversity ist kein Nischenthema

Immerhin scheinen die meisten Betriebe inzwischen aufgewacht zu sein. Das Thema Diversity Management verankert sich tiefer in ihren Strategien und Organisationsstrukturen. Laut einer Umfrage der PageGroup aus dem Frühjahr dieses Jahres beschäftigten sich 69 Prozent der über 300 befragten Unternehmen in den vergangenen Jahren mit der Frage, wie sie ihre Belegschaften divers aufstellen können. Damit wird aus Sicht der PageGroup deutlich: "Vielfalt ist weder ein Nischenthema, noch ist es ein kurzfristiger Trend, mit dem Unternehmen für einige Jahre mitziehen, um ihn dann wieder fallen zu lassen."

Diversity wird für immer mehr Unternehmen zu einem relevanten Thema, so das Ergebnis einer Umfrage der PageGroup.
Diversity wird für immer mehr Unternehmen zu einem relevanten Thema, so das Ergebnis einer Umfrage der PageGroup.
Foto: PageGroup

Bereits 2015 und 2018 hatte das Beratungshaus Betriebe zum Thema Diversity Management befragt. Vor sechs Jahren hatte sich sich noch nicht einmal die Hälfte der Firmen damit beschäftigt (45 Prozent). 2018 waren es dann schon 63 Prozent. Und in der neuesten Umfrage bekennen nur noch 13 Prozent der befragten Manager, dass sie sich nicht um die Vielfalt in der eigenen Belegschaft kümmern. Der wachsende Stellenwert, den das Management dem Thema Diversity und Inclusion beimisst, spiegelt sich auch an anderer Stelle in der Umfrage wider. In immer mehr Unternehmen schreibt sich das Senior- und Top-Management das Thema ins Hausaufgabenheft. Waren 2018 erst 22 Prozent der Vorstände so weit, so sind es jetzt bereits 30 Prozent. Gleichzeitig nimmt der Anteil der Betriebe, in denen die Verantwortung bei den Personalabteilungen liegt, ab - von 69 auf 57 Prozent.

Die Tatsache, dass das Thema in der Unternehmenshierarchie höher aufgehängt wird, könnte auch daran liegen, dass die Vorteile einer divers zusammengesetzten Belegschaft immer offensichtlicher werden. "Teams, die Diversity leben, profitieren von den verschiedenen Charakterzügen, interkulturellen Kompetenzen und Erfahrungen der einzelnen Teammitglieder", schreiben die Berater der PageGroup. "Es ergibt sich ein Mix aus verschiedenen Sichtweisen, Meinungen und Know-how. Jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin erlebt dadurch ein aufregenderes Arbeitsumfeld, geprägt von Neugier, Spaß und Teamspirit. Sie entwickeln zudem kreative Lösungsansätze und innovative Ideen."

Diversität fördert Kulturwandel

Das bestätigen auch die Ergebnisse der Umfrage. In gut der Hälfte der Unternehmen nahmen die Verantwortlichen im Zuge von mehr Diversity in der Belegschaft einen Wandel der Unternehmenskultur wahr. Die Befragten sprachen von einer spannenderen Arbeitsatmosphäre (53 Prozent), einer besseren Zusammenarbeit in Teams (52 Prozent) sowie einer intensiveren Mitarbeiterbindung (50 Prozent) und einer grundsätzlich gesteigerten Mitarbeiterzufriedenheit (47 Prozent).

Auch in der Außenwirkung macht sich der Fokus auf mehr Diversity positiv bemerkbar. "Diversity ist zum Aushängeschild vieler Unternehmen geworden", konstatieren die Analysten. Ziel sei es, attraktiver für Kunden sowie für Bewerberinnen und Bewerber zu werden. Unternehmen, die auf Vielfalt und Chancengleichheit setzten, steigerten ihre Attraktivität nach innen wie nach außen, so das Fazit der Studie. Zwei Drittel der Befragten attestierten sich ein attraktiveres Employer Branding, knapp die Hälfte ein verbessertes Unternehmensimage aufgrund des Einsatzes von Diversity Management.

"Vielfaltsthemen werden immer dynamisch sein", konstatiert Goran Baric, Geschäftsführer der PageGroup Deutschland. "Wenn wir proaktiv und aufmerksam beobachten, welche neuen Facetten sich in Zukunft auftun und entsprechend handeln – dann haben wir Diversity richtig verstanden."
"Vielfaltsthemen werden immer dynamisch sein", konstatiert Goran Baric, Geschäftsführer der PageGroup Deutschland. "Wenn wir proaktiv und aufmerksam beobachten, welche neuen Facetten sich in Zukunft auftun und entsprechend handeln – dann haben wir Diversity richtig verstanden."
Foto: PageGroup

Um das Bewusstsein in der Unternehmenskultur zu verankern, braucht es geeignete Maßnahmen. Vielfalt lasse sich nicht verordnen, sie müsse vielmehr konkret gefördert werden, so das Credo der Analysten. Zu den Angeboten für Diversity Management zählen die befragten Betriebe flexible Arbeitszeitmodelle (80 Prozent), angepasste Rekrutierungsprozesse (69 Prozent), die auf gendergerechte Sprache achten und in den Auswahlverfahren vermehrt Bewerberinnen und Bewerber mit untypischen Lebensläufen berücksichtigen, sowie familienfreundliche Angebote (50 Prozent) und alters- und behindertengerechte Arbeitsplätze (47 Prozent).

Neben dem Einstellen von Menschenmit vielfältigen kulturellen Hintergründen (90 Prozent) und dem Bemühen um ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis (78 Prozent), gewinnt auch die Integration von Menschen mit Behinderungen stark an Relevanz (47 Prozent). Ein Thema, an dem Unternehmen der PageGroup zufolge in naher Zukunft nicht mehr vorbeikommen dürften, ist der offene Umgang mit LGBTQ-Themen. 54 Prozent der Befragten geben an, offener mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten und Orientierungen umgehen zu wollen und deren Akzeptanz und Toleranz zu fördern. Vor drei Jahren lag der Anteil erst bei einem Drittel.

Diversity mit immer neuen Dimensionen

Gerade der zuletzt genannte Aspekt zeigt, dass sich das Thema Diversity nicht nur auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis beschränkt. "Es kristallisieren sich neue Facetten und Themengebiete heraus, die Unternehmen mit zielgerichteten Maßnahmen in der Firmenkultur implementieren müssen", heißt es in der Studie.

Goran Baric, Geschäftsführer der PageGroup Deutschland, verweist auf eine neue Dimension, die sich derzeit schon abzeichne: Die soziale Herkunft der Bewerberinnen und Bewerber spiele in vielen Rekrutierungsprozessen keine Rolle mehr. Doch es gebe immer noch Unternehmen, die lernen müssten, Diversität auch in sozialen Kategorien zu denken und zu integrieren, sagt Baric. "Vielfaltsthemen werden immer dynamisch sein", konstatiert der PageGroup-Mann. "Wenn wir proaktiv und aufmerksam beobachten, welche neuen Facetten sich in Zukunft auftun und entsprechend handeln - dann haben wir Diversity richtig verstanden."

Nachholbedarf in Sachen LGBTQ

Gerade bei der Gleichstellung von Mitarbeitern aus dem LGBTQ-Spektrum gibt es noch einiges zu tun, wie eine Untersuchung der Boston Consulting Group (BCG) zeigt. Gemeinsam mit dem Lesbian, Gay, Bisexual & Transgender Community Center in New York haben die Analysten 2000 Mitarbeiter mit einem LGBTQ-Hintergrund und 2000 heterosexuelle Mitarbeiter in den USA zu ihren Erfahrungen am Arbeitsplatz befragt. Demzufolge wollen sich vier von zehn LGBTQ-Mitarbeitern noch immer nicht outen. Gut die Hälfte derer, die sich intern zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen, tun dies nicht nach außen, also Kunden und Klienten gegenüber. Ein gutes Drittel der bekennenden Homosexuellen hat der Umfrage zufolge während der Arbeit schon die sexuelle Orientierung verheimlicht oder Teile der eigenen Identität versteckt. Drei Viertel gaben an, im vergangenen Jahr mindestens eine negative Erfahrung im Zusammenhang mit ihrer LGBTQ-Identität am Arbeitsplatz erlebt zu haben, wobei 41 Prozent sogar von mehr als zehn solch unerfreulichen Erlebnisse sprachen.

Trotz aller Bemühungen und Fortschritte sei es eine unbestreitbare Tatsache, dass sich die meisten LGBTQ-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter am Arbeitsplatz nicht wirklich einbezogen fühlten, lautet das Fazit der Studie. Das habe negative Folgen für den gesamten Betrieb. "Menschen in dieser Situation können während der Arbeitszeit nicht authentisch sein", konstatieren die BCG-Analysten. "Sie können damit auch nicht ihr Bestes geben."

Wer in seinem Arbeitsumfeld offen zu seiner sexuellen Orientierung stehen kann, fühlt sich sicherer und ist damit auch produktiver, hat eine Studie der Boston Consulting Group herausgefunden.
Wer in seinem Arbeitsumfeld offen zu seiner sexuellen Orientierung stehen kann, fühlt sich sicherer und ist damit auch produktiver, hat eine Studie der Boston Consulting Group herausgefunden.
Foto: BCG

Führungskräfte im Bereich Diversity and Inclusion (D&I) müssten BCG zufolge den Kulturwandel im eigenen Unternehmen vorantreiben. Es gelte, die Beziehungen zwischen allen Menschen innerhalb der Belegschaft zu verbessern - vom einfachen Angestellten bis hin zum Topmanager. Die Analysten sprechen von den "1000 täglichen Berührungspunkten". Negative Erfahrungen in diesen Interaktionen seien kostspielig, warnen sie: "Mitarbeiter, die mehr negative Berührungspunkte erleben, sind um 40 Prozent weniger produktiv und kündigen 13-mal häufiger ihren Job."

Die vielfältigere Zusammensetzung der Belegschaften macht die Arbeit an der Unternehmenskultur für die Verantwortlichen allerdings nicht unbedingt leichter. Neben der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung gilt es verschiedene persönliche Merkmale zu berücksichtigen wie Herkunft, Hautfarbe, Alter sowie unterschiedliche Lebensfaktoren wie religiöse Zugehörigkeit, die Position im Unternehmen und Einkommen sowie die Frage, ob Pflegeaufgaben beispielsweise für Kinder oder hilfsbedürftige Eltern zu erledigen sind. Jede und jeder in der Belegschaft bringe seine ganz persönliche Lebensgeschichte und die damit verbundenen Erfahrungen mit, sagen die BCG-Analysten. Damit erfordere ein erfolgreicher Kulturwandel eine sogenannte "Segment-of-One"-Perspektive, die den individuellen Lebenskontext und die Bedürfnisse jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters berücksichtigt.

Richtlinien und Sanktionen reichen nicht aus

Bisherige D&I-Initiativen waren meist darauf ausgelegt, einen formellen Rahmen für das gesamte Unternehmen zu definieren. Dabei ging es beispielsweise um Quoten für eine besser ausbalancierte Geschlechterparität oder die Sanktionierung von Diskriminierungen. Das reicht aber nicht aus, um Diversity und Inclusion auch in den vielen kleinen alltäglichen Interaktionen zu berücksichtigen. Nur mit Richtlinien lässt sich laut BCG kein inklusiver Arbeitsplatz schaffen, kein Verhalten ändern und kein Vorurteil abbauen. "Wenn Unternehmen eine integrativere Kultur schaffen wollen, müssen sie verstehen, wie sich die Zusammensetzung der LGBTQ-Belegschaft entwickelt und mit welchen besonderen Herausforderungen diese Mitarbeiter konfrontiert sind."

Aus Sicht von BCG lassen sich zwei zentrale Trends identifizieren:

  1. Menschen mit LGBTQ-Hintergrund machen einen immer größeren Anteil innerhalb der Belegschaften aus. Das sei vor allem auf einen signifikanten Anstieg der Anzahl von Frauen zurückzuführen, die sich als LGBTQ identifizierten. Die Zeiten, in denen vor allem über schwule weiße Männer nachgedacht wurde, sei längst vorbei. Der Frauen-Anteil der LGBTQ-Gruppe liegt der Umfrage zufolge bei 54 Prozent. Dazu kommt, dass sich die LGBTQ-Belegschaft heute hinsichtlich Hautfarbe und Herkunft wesentlich heterogener darstellt. Dieser Trend dürfte sich in Zukunft weiter verstärken.

  2. Zweitens sind heterosexuelle Beschäftigte zunehmend für LGBTQ-Themen sensibilisiert, wobei dies vor allem für die jüngeren Jahrgänge zutrifft. Dieser Hetero-Gruppe liegt das Thema Inklusion mehr am Herzen als älteren Kolleginnen und Kollegen. Sie kennen mit größerer Wahrscheinlichkeit Menschen mit entsprechendem Hintergrund in ihrem Arbeitsumfeld und haben ein Gespür für diskriminierende Kommentare und Handlungen gegenüber LGBTQ-Kolleginnen und -Kollegen. "Junge Mitarbeiter - die Zukunft der Belegschaft - beobachten genauer und treffen Karriereentscheidungen auf Grundlage der Unternehmenskultur, einschließlich der Einbeziehung von LGBTQ-Themen", stellen die BCG-Analysten fest.

Die LGBTQ-Belegschaft ist also keine statische oder monolithische Gruppe mit einem bestimmten Satz an Erfahrungen und Bedürfnissen. Viele Unternehmen kategorisieren diese Gruppe bei der Entwicklung ihrer D&I-Strategien aber immer noch so, warnen die Analysten. Infolgedessen seien die Bedürfnisse großer Teile der LGBTQ-Belegschaft meist unterrepräsentiert, und diese Menschen fühlten sich nicht mit einbezogen.

Für ihre D&I-Strategie müssten Unternehmen daher jede dieser Identitäten und alle Permutationen, wie sie sich bei einer Person überschneiden können, berücksichtigen. Es empfehle sich der Blick auf die einzelnen Personen, und das muss aus Sicht von BCG gar nicht komplex sein. Schließlich gehe es nicht darum, unzählige Untergruppen mit entsprechenden Regeln zu definieren. Es gehe vielmehr darum, eine Kultur zu schaffen, in der alle Menschen in der Belegschaft mit der notwendigen Sensibilität sämtliche Lebensfaktoren verstehen, die ihre LGBTQ-Kolleginnen und -Kollegen so einzigartig machen.