Corona bremst Nachhaltigkeit aus

Umweltschutz wird immer wichtiger, aber...

30.04.2021
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Immer mehr Vorstände erkennen, dass Nachhaltigkeit nicht im Widerspruch zur Wirtschaftlichkeit stehen muss. Doch angesichts der Coronakrise machen etliche Betriebe Abstriche in ihrem Kampf gegen den Klimawandel.
Die Unternehmen erkennen, wie wichtig der Umweltschutz ist. Doch bei der Umsetzung gibt es noch Nachholbedarf.
Die Unternehmen erkennen, wie wichtig der Umweltschutz ist. Doch bei der Umsetzung gibt es noch Nachholbedarf.
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"Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern eine Notwendigkeit", sagt Wolfgang Falter, Partner und Leiter der Sustainability Services bei Deloitte. Erfolgreiche Unternehmen würden es verstehen, die Wechselwirkungen zwischen Wertschöpfungsketten, Gesellschaft und Umwelt wirksam zu managen. Deutsche Tech-Konzerne hätten erkannt, wie wichtig das Thema sei. "Bei der Umsetzung gibt es allerdings noch Optimierungs­bedarf", stellt der Berater fest.

Für den "Technology Sustainability Survey" hat Deloitte Anfang 2021 über 170 Experten aus deutschen Tech-Unternehmen befragt, wie sie es mit der Nachhaltigkeit halten. 86 Prozent sehen Nachhaltigkeit als einen wesentlichen Bestandteil ihrer Geschäftstätigkeit. Fast neun von zehn Führungskräften erklärten, das Thema habe in den zurückliegenden Jahren an Bedeutung gewonnen.

Das hat handfeste wirtschaftliche Gründe. Ressourcenschonend zu produzieren unterstützt Nachhaltigkeitsziele und verbessert die Unternehmensbilanzen. 57 Prozent der Befragten in der Deloitte-Studie nennen die Senkung der Betriebskosten als wesentlichen Treiber ihrer Umweltinitiativen. Knapp die Hälfte hofft, auf diese Weise neue Märkte erobern zu können, und gut vier von zehn Unternehmen reagieren auf die Nach­fragen ihrer Kunden. Dagegen stehen unten auf der Liste der Beweggründe das Mindern von Klimarisiken (21 Prozent) und intrinsisches Engagement (sechs Prozent). Nachhaltigkeitsinitiativen zahlen sich aus, und das spricht sich herum.

Eingefahrene Routinen aufbrechen

Der Deloitte- Umfrage zufolge nehmen 84 Prozent der Führungskräfte schon jetzt positive Effekte ihrer bisherigen Aktivitäten wahr. Allerdings gibt es in vielen Betrieben eine deutliche Diskrepanz zwischen kommuniziertem und praktiziertem Engagement in Sachen Nachhaltigkeit. Vor allem in größeren Unternehmen sei dies zu spüren, berichtet Deloitte. Es sei oft ein langwieriger und komplexer Prozess, eingefahrene Systeme, Routinen und Normen aufzubrechen.

"Natürlich steht die Tech-Branche beim Thema Nachhaltigkeit vor großen Herausforderungen", lautet das Fazit von Milan Sallaba, Partner und Leiter des Technology-Sektors bei Deloitte, "doch das Potenzial, dass hier schlummert, ist noch größer." Es sei im Zweifel sinnvoll, kleine Schritte zu mehr Nachhaltigkeit zu gehen, um die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit nicht unnötig groß werden zu lassen.

Doch das scheint gerade in Krisenzeiten nicht immer einfach zu sein. Vielen Unternehmen macht die Coronakrise einen Strich durch ihre Rechnung. Eine andere weltweite Umfrage von Deloitte unter 750 Führungskräften in 13 Ländern hat ergeben, dass knapp zwei Drittel der Unternehmen pandemiebedingt mehr oder weniger große Abstriche bei ökologischen Nachhaltigkeitsinitiativen machen müssen. Positiv zu bewerten ist laut den Ergebnissen des "Climate Check Pulse Survey" jedoch, dass kein Betrieb seine Bemühungen ganz einstellen will.

Unsere Welt steht am Wendepunkt

Die Krise habe zudem gezeigt, dass individuelle Maßnahmen wie der Verzicht auf Reisen einen positiven Einfluss auf die Umwelt habe. Mehr als zwei Drittel der Manager (68 Prozent) wollen daher ihre veränderten Verhaltensweisen beibehalten, um ihren eigenen CO2-Fußabdruck zu verringern. 60 Prozent der Führungskräfte sehen die Welt an einem Wendepunkt, spätestens jetzt müsse reagiert werden. 80 Prozent gaben an, wegen des Klimawandels besorgt zu sein.

Schließlich wirken sich die Folgen nicht nur auf Umwelt und Gesellschaft, sondern auch auf ihren Geschäftsbetrieb aus. Klimabedingte Ereignisse beeinträchtigen Geschäftsmodelle und Lieferketten weltweit. Dazu kämen Ressourcenknappheit und steigende Ressourcenkosten, fassen die Deloitte-Berater die Sorgen der Manager zusammen. Vor allem Unternehmen der Energie- und Konsumgüterindustrie seien bereit, ihre Bemühungen um ökologische ­Nachhaltigkeit in den kommenden zwölf Monaten zu intensivieren. Hintergrund sei, dass diese Branchen am stärksten von der Ver­knappung und Verteuerung der Ressourcen betroffen sind.

"Auch in Zeiten der Coronapandemie mit ihren einschneidenden Folgen für die Wirtschaft bleiben Klimaschutz und Nachhaltigkeit weit oben auf der Agenda vieler Unternehmen", konstatiert Volker Krug, CEO von Deloitte Deutschland. "Zahlreiche Branchen machen die Erfahrung, dass klimabedingte Katastrophen ihren wirtschaftlichen Erfolg gefährden." Da­gegen könnten Unternehmen mit effizienten Nachhaltigkeitsinitiativen nicht nur ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und den Erwartungen ihrer Kunden gerecht werden, sondern auch einen langfristigen, finanziell messbaren Mehrwert schaffen.

Green Deal – die Politik macht Druck

Krug ist zuversichtlich, dass Nachhaltigkeitsinitiativen nicht dem wachsenden Kostendruck geopfert würden. "Obwohl derzeit manche Projekte verschoben werden, sind sich die Verantwortlichen in den Unternehmen doch einig, dass sie beim Thema Klimawandel gegensteuern müssen." Der Deloitte-Berater verweist zudem auf die sich verschärfende Regulatorik. Angesichts der Auflagen des Green Deals innerhalb der EU sollten Firmen beachten, dass bereits im kommenden Jahr Maßnahmen und Berichtspflichten zum Umweltschutz verlangt würden. "Darauf müssen sich viele Unternehmen in diesem Jahr vorbereiten."

Immerhin sind die Führungskräfte zuversichtlich, die Folgen des Klimawandels noch in den Griff bekommen zu können. Knapp zwei Drittel glauben, dass mit sofortigem Handeln die schlimmsten Auswirkungen begrenzt werden können. Ein Drittel befürchtet, dass bereits der Punkt erreicht sei, an dem es kein Zurück mehr gibt – in Deutschland sind 44 Prozent der Manager eher pessimistisch. Ein breiter Konsens besteht laut der Deloitte-Umfrage darüber, dass die Bemühungen um Nachhaltigkeit verstärkt werden müssten. Darüber hinaus sei ein kollektives Handeln erforderlich, um öko­logische Fortschritte zu erzielen. Sich weg­ducken kommt für die meisten nicht in Frage. Die Mehrheit der Unternehmen will an der für November 2021 geplanten UN-Klimakonferenz im schottischen Glasgow teilnehmen.

Digitalisierung für mehr Klimaschutz

Der IT-Lobbyverband Bitkom hat gemeinsam mit Accenture eine Studie zu den Klimaeffekten der Digitalisierung vorgelegt. Demzufolge könnten digitale Technologien zur Hälfte dazu beitragen, dass Deutschland bis zum Jahr 2030 seine Klimaziele erreicht. Lag Deutschlands CO2-Ausstoß 2019 noch bei 805 Megatonnen, so darf er 2030 noch 543 Megatonnen betragen. Damit müssen in den kommenden Jahren insgesamt 262 Megatonnen CO2 eingespart werden.

Um dieses Ziel zu erreichen, mahnt der Bitkom einen beschleunigten Einsatz digitaler Lösungen an. Nur so ließe sich in den kommenden zehn Jahren der CO2-Ausstoß um bis zu 151 Megatonnen verringern. Rechnet man die CO2-Bilanz digitaler Geräte und Infrastrukturen mit ein, betrage die durch Digitalisierung erreichbare CO2-Einsparung 129 Megatonnen netto. Bleibe man dagegen bei einer eher moderaten Geschwindigkeit beim Digitalisierungsausbau, betrage der Nettoeinspareffekt in Sachen CO2 lediglich 86 Mega­tonnen.

"Auch mit Blick auf den Klimawandel ist ein beschleunigter Umbau unserer Wirtschaft hin zu einer digitalen Ökonomie das Gebot der Stunde", sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. "Wir brauchen eine konsequent klimaorientierte Digitalstrategie. Mithilfe digitaler Technologien können wir enorme Mengen CO2 einsparen und gleichzeitig unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit und unsere Krisenresilienz steigern."