Schöne neue Arbeitswelt

IT-Jobs nur noch auf Zeit?

14.06.2010
Von 
Winfried Gertz ist Journalist in München. Er arbeitet in einem Netzwerk von zahlreichen Anbietern kreativer Dienstleistungen. Das Spektrum reicht von redaktioneller Hörfunk- und Fernsehproduktion über professionelle Fotografie bis zu Werbetexten für Industrieunternehmen und Non-Profit-Organisationen.
Für die einen Arbeitgeber ist es ein legitimes Mittel, verstärkt auf nicht fest beschäftigte Mitarbeiter zu setzen. Anderen ist Bindung wichtig.

Sie haben den Job!" Der Softwareentwickler traut dem Braten nicht und hakt nach: "Verstehe ich Sie richtig: Unbefristet?" Erst als sein Gesprächspartner nickt, begreift er, dass der Bewerbungsmarathon endlich zu Ende ist. Gut ausgebildete Informatiker, die das Angebot einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstelle für einen Scherz halten, sitzen regelmäßig im Büro von Jens Wagener. "Das ist die Ausnahme", schildern sie dem Geschäftsführer des Lünener Softwarehauses Itemis ihre Bewerbungserfahrungen. "Immer mehr Konkurrenten stellen nur befristet ein", wundert sich Wagener. "Damit tun sie sich keinen Gefallen. Vertrauen baut man so nicht auf."

Schöne neue Arbeitswelt. Jeder zweite Arbeitnehmer, der eine neue Stelle antritt, ermittelte das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), wird inzwischen befristet eingestellt. 2001 waren es erst 32 Prozent. Schon macht das Wort von der "verlängerten Probezeit" die Runde. Eine schönfärberische Floskel: Tatsächlich verlagern Arbeitgeber damit die Risiken auf die Schultern der Beschäftigten. Ist den Unternehmen die Aussicht, Beschäftigungsverhältnisse schnell und einfach beenden zu können, wichtiger als die langfristige Bindung loyalen Stammpersonals? Schießt mancher Arbeitgeber angesichts des Fachkräftemangels hier nicht ein Eigentor?

Besonders betroffen von befristeten Verträgen sind Berufseinsteiger. Zwar ergeht es IT-Absolventen, die als temporär beschäftigte Arbeitskraft zumindest ein paar Monate gutes Geld verdienen können, nicht so mies wie Geisteswissenschaftlern. "Die reihen in Verlagen, Museen oder PR-Agenturen ein unbezahltes Praktikum ans andere", beobachtet Susanne Schneider von der Berliner Initiative Fairwork. Auch viele einstige BWL-Studenten werden ins kalte Wasser geworfen. Hoffnungsvoll beginnen sie ihre Karriere nach dem Motto: "Ich stelle als Praktikant meine Arbeitskraft billig zur Verfügung und habe dafür immerhin bei einem namhaften Konzern oder Markenartikler gearbeitet."

Überstundenabbau statt Entlassungen

Stephan Pfisterer, Bitkom: 'Firmen sind bei Einstellungen vorsichtiger geworden.'
Stephan Pfisterer, Bitkom: 'Firmen sind bei Einstellungen vorsichtiger geworden.'

Für den Branchenverband Bitkom ist die Zunahme von befristeten Jobs für Hochschulabsolventen keinesfalls kritikwürdig. "Firmen sind vorsichtiger bei langfristigen Investitionen wie Personaleinstellungen", erläutert Bildungs- und Arbeitsmarktexperte Stephan Pfisterer. Stellenangebote auf Zeit seien ein viel besseres Signal an Absolventen als ein Einstellungsstopp. "Dass überhaupt eingestellt wird, ist wichtig."

In Krisenzeiten rücken die Personalkosten als weitaus größter Kostenblock immer in den Blickpunkt. Aber verglichen mit der New Economy, nach deren Scheitern Fachkräfte in Scharen entlassen wurden, agieren Unternehmen heute vorsichtiger. Statt Mitarbeiter zu feuern, werden Überstunden abgebaut, Nebenleistungen gestrichen und nur noch Praktikanten, Zeitarbeiter und befristet Beschäftigte angeheuert.