Siemens, SBS und viele Krisen

Die Geschichte von Atos und SIS

16.01.2015
Von 
Jürgen Mauerer ist Journalist und betreibt ein Redaktionsbüro in München.

2010 - der Coup: Übernahme von Siemens IT Solutions & Services

Im Dezember 2010 folgt die überraschende Übernahme des kriselnden IT-Dienstleisters Siemens IT Solutions and Services (SIS) durch Atos Origin. Damit schließt der Münchner Konzern endgültig das Kapitel der Kommunikations- und IT-Lösungen aus dem eigenen Haus. Siemens veräußert SIS für eine Gesamtsumme von 850 Millionen Euro an Atos Origin. Nur 186 Millionen Euro zahlt der neue Eigentümer in bar, den Rest begleicht Atos Origin in Wandelanleihen und Anteilsscheinen.

Atos Origin Headquarter in Essen.
Atos Origin Headquarter in Essen.
Foto: Atos Origin

Seit Juli 2011 ist Siemens IT Solutions and Services (SIS) vollständig in Atos Origin integriert. Als Zeichen des Neuanfangs gibt sich das verschmolzene Unternehmen einen neuen Namen: Künftig wird es unter der Bezeichnung Atos firmieren. Der Dienstleister beschäftigt nun annähernd 79.000 Mitarbeiter in 42 Ländern und erzielt einen Umsatz von 8,7 Milliarden Euro. Im europäischen Ranking der größten IT-Service-Provider rückt das Unternehmen damit auf Rang zwei hinter IBM vor. In der weltweiten Liste belegt Atos den siebten Platz.

Bis zum Jahr 2013 soll der Umsatz auf neun bis zehn Milliarden Euro wachsen und die Ergebnismarge auf sieben bis acht Prozent steigen.

Im Bereich Managed Services kann Atos eigenen Angaben zufolge seine Kapazitäten durch die Übernahme von Siemens IT Solutions and Services mehr als verdoppeln. Nun befinden sich mehr als 30 große Rechenzentren, 900.000 SAP-User und das Management von mehr als 90.000 Servern unter dem Dach des Konzerns. Damit positioniert sich Atos klar als Cloud Computing-Spezialist.

Das Portfolio umfasst zudem Beratung und Technologie-Services, Systemintegration sowie Outsourcing-Dienstleistungen. Als weltweiter IT-Partner des Internationalen Olympischen Komitees ist Atos für die Gesamtleitung der Technologie-Partner verantwortlich, welche die riesige kritische IT-Infrastruktur für die Olympischen Spiele 2012 in London entwickeln und betreiben.

Für Schlagzeilen sorgt Atos-Boss Thierry Breton Ende Oktober 2011, als er gegenüber dem britischen "Telegraph" bekräftigt, bis August 2013 die interne Kommunikation per E-Mail abzuschaffen. Grund: Zwischen fünf und 20 Stunden seien Mitarbeiter in jeder Woche nur mit dem Abarbeiten von Mails beschäftigt. Das sei zu lang. Atos setzt künftig auf Instant-Messaging, interne soziale Netzwerke und Chats, um die Kommunikation effizienter zu gestalten.

2011/12: Konsolidierung und Fokus auf Cloud Computing

Die Integration von Siemens IT Solutions and Services (SIS) ist zwar seit dem 1. Juli 2011 formal abgeschlossen, das Management von Atos war bzw. ist aber noch mit der Umsetzung der vereinbarten Prozesse und Abläufe beschäftigt. Die Integration wirkte sich bislang nicht negativ auf die Geschäftszahlen aus. Im ersten Halbjahr 2012 lag der Umsatz bei 4,36 Milliarden Euro, das entspricht einem organischen Wachstum von 1,4 Prozent. In Deutschland stieg der Umsatz auf 840 Millionen Euro, was eine Steigerung von 6,2 Prozent bedeutet. Das Wachstum wurde angeführt vom Bereich Managed Services (+7,5 Prozent) aufgrund von Neugeschäft mit großen Kunden wie Bayer, ThyssenKrupp und Volkswagen. Bestehende Kunden wie BASF und Siemens trugen ebenfalls zum Wachstum bei.

Für künftiges Wachstum hat Atos zudem weitere Schritte hin zum Cloud Computing-Unternehmen unternommen. Seit Anfang 2012 gibt es Canopy, ein neues Unternehmen für Cloud Computing-Services, das aus der strategischen Allianz für Open Cloud Computing zwischen Atos, EMC und VMware hervorgegangen ist. Das Angebot basiert auf den Technologien von EMC und VMware und bietet einen B2B-Marktplatz als zentrale Vertriebsplattform für Cloud- und SaaS-Applikationen. Zum Portfolio gehören ein Enterprise Application Store für Geschäftsanwendungen, eine von Atos gemanagte Platfom-as-a-Services (PaaS) mit sicherer Java-Entwicklungsumgebung, eine Private Cloud mit vorkonfiguriertem und standardisiertem Cloud-Stack sowie Beratungsleistungen für den Umstieg in die Cloud.

Mit Canopy gibt es seit 2012 ein Atos-Unternehmen für Cloud Computing-Services, das aus der strategischen Allianz für Open Cloud Computing zwischen Atos, EMC und VMware hervorgegangen ist.
Mit Canopy gibt es seit 2012 ein Atos-Unternehmen für Cloud Computing-Services, das aus der strategischen Allianz für Open Cloud Computing zwischen Atos, EMC und VMware hervorgegangen ist.

Ergänzend dazu ist Atos auch an Yunano beteiligt, einem Joint Venture, das im November 2011 aus einer Partnerschaft von Atos mit dem chinesischen Softwarehaus Ufida hervorging. Das Angebot von Yunano umfasst CRM- und ERP-Cloud-Computing-Services für mittlere und Großunternehmen in Europa, Afrika und dem Nahen Osten.

Ein weiteres Projekt, an dem sich Atos beteiligt, ist "Helix Nebula - the Science Cloud", ein System zum verteilten Rechnen für Forschungseinrichtungen. Ziel ist, Rechenkapazitäten für aufwändige wissenschaftliche Berechnungen bereitzustellen. An dieser europäischen Cloud-Plattform sind die bekannten Forschungseinrichtungen ESA (European Space Agency, das europäische Kernforschungszentrum CERN und das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (European Molecular Biology Laboratory, EMBL) beteiligt. Auf Seiten der Industrie sind neben Atos etwa T-Systems, Cap Gemini, Orange, SAP und Telefonica dabei. Zunächst kommt Helix Nebula bei drei Vorzeigeprojekten von CERN, EMBL und ESA zum Einsatz: der Suche nach dem schwer fassbaren Higgs-Partikel, der Beschleunigung umfangreicher genomischer Analysen in der biomedizinischen Forschung sowie der wissenschaftlichen Erforschung von Naturkatastrophen.