Platzt jemand in sein Büro herein, stellt der Hannes Wöhren die ausgestreckte Hand mit der Kante aufrecht auf den Tisch. Mit der Geste erinnert sich der IT-Chef selbst daran, sich nicht unterbrechen zu lassen. Gleichzeitig formt er damit einen Schutzschild, signalisiert dem Kollegen: "Ich habe jetzt keine Zeit, bitte komm später wieder." Die Handbewegung hat der CIO eines Ingenieurbüros aus Norddeutschland mit seiner Psychotherapeutin einstudiert. Ein halbes Jahr lang ließ sich Wöhren, der seinen richtigen Namen in diesem Zusammenhang nicht in den Medien lesen will, wegen eines Burnout-Syndroms behandeln. Der 39-Jährige hat sich in dieser Zeit Verhaltensweisen angeeignet, die ihm erlauben, längere Zeit am Stück konzentriert zu arbeiten und Stress aus seinem Arbeitstag zu verbannen.
Gemeinsam mit fünf DV-Kollegen betreut Wöhren die rund 300 Ingenieure seines Arbeitgebers. Sie arbeiten außer am deutschen Stammsitz in Büros in New York, Moskau und im arabischen Raum. An den Standorten im arabischen Raum ist der Freitag Ruhetag, dafür brauchen die Ingenieure dort an Sonntagen - für sie ein normaler Arbeitstag - IT-Unterstützung. "Das nimmt uns hier die Freizeit", sagt Wöhren. Aber auch die Ingenieure am Firmensitz in Deutschland durchkreuzen ihrem IT-Chef des Öfteren Wochenendpläne anderer Art. Wartungsfenster an Samstagen oder Sonntagen anzuberaumen sei "äußerst schwierig, weil dann oft das halbe Büro vollsitzt und arbeitet", sagt Wöhren.
Mit typischen Ingenieuren habe er es zu tun, sagt er. Kreative, die statt in geordneten Prozessen häufig spontan handelten. Weil sie Bürogebäude in Moskau ebenso konstruieren wie Hochhäuser in Peking, brauchen die Ingenieure immer wieder Module für ihre Statiksoftware, die an die Baunormen in verschiedenen Ländern angepasst sind. "Oft fällt ihnen das erst in letzter Sekunde ein, und dann brauchen sie das Modul natürlich sofort", sagt Wöhren.
Im Schlafanzug IT-Probleme gelöst
Seit 2004 ist der Informatiker bei seinem jetzigen Arbeitgeber für die IT verantwortlich. Die Erwartung an ihn von außen, ständig verfügbar zu sein, und der eigene Anspruch, in kürzester Zeit Probleme zu beheben, versetzten ihn in ständigen Stress. Könne jemand wegen eines IT-Problems nicht arbeiten, dürfe er ihn nicht warten lassen, denn das koste ja Geld, war lange Wöhrens Haltung. "Ich hatte den Anspruch, alles perfekt zu machen, zurückschalten ging nicht."
Hatte er nach dem Aufstehen Kaffee aufgesetzt, zückte Wöhren als Erstes den Blackberry, statt seiner Frau einen guten Morgen zu wünschen. Empfing er Meldungen über Probleme, fuhr er, noch im Schlafanzug, den Rechner hoch, um sie zu lösen. Ähnlich verliefen die Abende. Statt gemeinsam mit der Ehefrau etwas zu unternehmen, arbeitete Hannes Wöhren vorm Computer.
Zu Spannungen in der Ehe führte das lange Zeit nicht. "Meine Frau ist Lehrerin. Da hat man gerade in den ersten Berufsjahren viel zur Unterrichtsvorbereitung zu tun. Sie saß selbst bis nachts am Rechner", sagt Wöhren. Dass er nicht mehr abschalten konnte, ständig unter Strom stand, wurde ihm nicht bewusst. Irgendwann war es doch seine Frau, die ihn aufwachen ließ. Sie entwickelte eine Magersucht, hungerte sich herunter - wohl, um auf sich aufmerksam zu machen, wie ein Arzt später meinte. "Ich habe das nicht einmal gemerkt", sagt Hannes Wöhren.
Der Arzt seiner Frau war es, der Hannes Wöhren dann fragte, was eigentlich bei ihm nicht stimme. Der IT-Leiter hatte zu der Zeit Rückenschmerzen, für die ein Orthopäde keine Ursache fand. Er schlief schlecht, hatte einen gereizten Magen. Unspezifische Symptome. In der Zusammenschau mit Wöhrens beruflicher und privater Situation war für den Arzt klar: Der IT-Chef befindet sich in einem Burnout. Berufstätige und Medien benutzen den Begriff schnell und inflationär. Experten sind zurückhaltender: Burnout ist für sie keine eigenständige Krankheit, klar definierbare Symptome für das Ausgebranntsein gibt es nicht. Burnout kommt in unterschiedlicher Gestalt daher. Einigkeit besteht darin, dass die Betroffenen in einem Zustand dauerhafter körperlicher und emotionaler Erschöpfung sind.
Hohe Arbeitslast und Stresssituationen, wie Hannes Wöhren sie beschreibt, kennen viele IT-Manager. Nicht zwangsläufig erwächst daraus ein Burnout. Wöhren rutschte über fast drei Jahre in diesen Zustand. Als Ausgangspunkt gilt für ihn heute, nach den Gesprächen in seinen Therapiesitzungen, die missglückte Zusammenarbeit mit einem früheren Kollegen. "Er war ein völlig anderer Typ als ich: sehr ruhig, und wenn ich ihm etwas aufgetragen hatte, musste ich immer wieder nachfragen", sagt Wöhren. Seine perfektionistische Haltung lief im Zusammenspiel mit dem IT-Kollegen ins Leere.