Intel-CEO Pat Gelsinger traute sich anlässlich der Bilanzpräsentation für das zweite Quartal des laufenden Jahres eine Prognose zu: "Ich erwarte, dass die Talsohle im Halbleitermarkt in der zweiten Jahreshälfte 2021 erreicht wird." In der Folge werde es allerdings noch ein bis zwei Jahre dauern, ehe sich die Situation wieder entspanne und die Fabriken der großen Nachfrage der verschiedenen Industrien weltweit wieder Herr würden.
Der Mangel an Elektronikbausteinen hat für die deutsche Industrie unangenehme Nebenwirkungen. Hart ausgebremst wurden zuletzt beispielsweise die Autobauer. Bei BMW liefen in der zweiten Julihälfte im sächsischen Werk nahe Leipzig nur an einem von fünf Tagen Autos vom Band. Grund für die massiv gedrosselte Produktion sei das Fehlen von Halbleitern. Auch Volkswagen macht der Chipmangel zu schaffen. Im ersten Halbjahr 2021 habe man eine hohe sechsstellige Zahl an Fahrzeugen nicht produzieren können, hieß es bei den Wolfsburgern. Die Probleme beträfen nahezu den gesamten Konzern und fast alle Pkw-Marken, klagte Einkaufschef Murat Aksel auf der Online-Hauptversammlung am 22. Juli. In den Monaten Mai und Juli hatten auch Audi und Daimler Tausende von Mitarbeitern an mehreren Produktionsstandorten in Kurzarbeit schicken müssen, weil Halbleiterkomponenten fehlten und ganze Produktionsstraßen angehalten werden mussten.
Wachstumsprognose kassiert
Der Automobilverband VDA rechnet wegen der Produktionsprobleme mit einem deutlich geringeren Umsatzwachstum in dieser Branche. Mittlerweile könne man hierzulande nur noch von einem Produktionsplus von drei Prozent auf 3,6 Millionen Fahrzeuge ausgehen, befürchten die Autolobbyisten. Zuvor war die Branche von einem Plus in Höhe von 13 Prozent auf vier Millionen Fahrzeuge ausgegangen. Aktuell verhindere der anhaltende Engpass bei Halbleitern eine raschere Markterholung, erklärten die VDA-Verantwortlichen.
Daran dürfte sich so schnell nichts ändern, deutet man die Signale seitens der Halbleiterindustrie richtig. "Wir befinden uns nach wie vor in einem stark eingeschränkten Umfeld, in dem wir nicht in der Lage sind, die Kundennachfrage vollständig zu befriedigen", musste Intels Finanzchef George Davis einräumen und bestätigte damit den vorsichtig-skeptischen Ausblick seines Chefs Gelsinger. Erst Mitte Juli hatte sein Kollege Wendell Huang, CFO bei der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), dem drittgrößten Halbleiterfertiger der Welt nach Intel und Samsung, ebenfalls vor anhaltenden Engpässen gewarnt, die sich bis weit ins kommende Jahr hinziehen könnten.
Währenddessen dürfte die Nachfrage nach Prozessoren, Chips und anderen Halbleiterprodukten weiter steigen. Gerade im Zuge der sich beschleunigenden Digitalisierung in vielen Unternehmen steigt die Nachfrage nach IT-Produkten. Dazu kommt, dass der PC-Markt im Laufe der Coronakrise deutlich angezogen hat. Millionen Menschen, die in die Home-Offices umzogen, mussten mit neuen Rechnern und anderem Equipment ausgestattet werden. Mit Windows 11, dem neuen Betriebssystem aus dem Hause Microsoft, das im Herbst dieses Jahres offiziell auf den Markt kommen dürfte und neue Hardwareanforderungen stellt, dürfte die nächste Runde im PC- und Notebook-Karussell eingeläutet werden.
Weniger Geräte - höhere Preise
Gartner zufolge sollen die IT-Ausgaben 2021 weltweit im Vergleich zum Vorjahr um fast neun Prozent auf 4,2 Billionen Dollar zulegen. Das größte Wachstum werden den Analysten zufolge die Gerätehersteller verbuchen. Deren Umsatz soll um fast 14 Prozent von 697 auf 794 Milliarden Dollar zulegen. Das könnte aber auch daran liegen, dass die Preise für Devices anziehen. "Die Halbleiterknappheit wird die Lieferkette empfindlich stören und die Produktion vieler elektronischer Gerätetypen im Jahr 2021 einschränken", konstatierte Kanishka Chauhan, Principal Research Analyst bei Gartner. "Die Foundries erhöhen die Wafer-Preise, und im Gegenzug erhöhen die Chip-Hersteller die Gerätepreise."
Derweil versuchen die Halbleiterhersteller ihre Kapazitäten auszubauen. Ende März 2021 hatte Intel-CEO Gelsinger eine groß angelegte Fertigungsoffensive angekündigt. Im Rahmen der Initiative "Integrated Device Manufacturing 2.0" (IDM 2.0) will der Halbleiterhersteller Milliardenbeträge in den Bau neuer Fertigungsanlagen investieren. Allein 20 Milliarden Dollar will sich Intel zwei neue Anlagen in Arizona kosten lassen. Auch in Europa sollen die Kapazitäten ausgebaut werden. Darüber hinaus will sich Intel mit dem Ausbau seiner Produktionsanlagen verstärkt als Auftragsfertiger für andere Hersteller positionieren, auch um seine Fabs effizienter auszulasten. Dafür hat der Konzern eine Geschäftseinheit gegründet, die Intel Foundry Services (IFS). Mittlerweile scheint diese Initiative erste Früchte zu tragen. So will Amazon Web Services (AWS) einzelne Halbleiter-Komponenten für seine Cloud-Infrastruktur bei Intel fertigen lassen. Auch der Mobile-Chip-Spezialist Qualcomm hat angekündigt, auf Intels Produktionskapazitäten zurückgreifen zu wollen.
Milliarden für neue Fertigungsanlagen
Kurzfristig werden all diese Initiativen allerdings wenig bringen. Die Produktion von Qualcomm-Chips bei Intel soll erst 2024 starten. Zudem ist der Bau neuer Fabriken komplex und teuer. Das liegt an den immer kleiner werdenden Strukturbreiten der Leiterbahnen, die höhere Leistung und weniger Energieverbrauch versprechen. So kämpft Intel seit Jahren mit Problemen in seiner 7-Nanometer-Fertigung. Dazu kommt, dass die Palette der Chiptypen immer breiter wird. Die Hersteller benötigen von den Halbleiterherstellern spezielle Chips beispielsweise für das Internet of Things (IoT) oder für KI-Szenarien.
Angesichts all dieser Entwicklungen kommt Bewegung in die weltweite Halbleiterszene. Gelsinger will Übernahmen zum Ausbau der eigenen Kapazitäten nicht ausschließen. Erst kürzlich hatte es Spekulationen darüber gegeben, Intel wolle Globalfoundries kaufen, einen der weltweit größten Auftragsfertiger der Welt. Angeblich habe Intel 30 Milliarden Dollar geboten. Globalfoundries-Chef Thomas Caulfield erteilte derlei Ambitionen jedoch eine klare Absage. "An dieser Geschichte ist nichts dran", sagte er. Stattdessen kündigten die Verantwortlichen des US-amerikanischen Auftragsfertigers an, selbst mehrere Milliarden Dollar in den Bau neuer Anlagen, zum Beispiel in Malta, sowie den Ausbau bestehender Fabs in den USA, Singapur und Dresden zu investieren.
Europa will Chipindustrie anschieben
Der Halbleitermangel und die daraus resultierenden Probleme für die deutsche Industrie haben den deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmaier aufgeschreckt. Im Februar kündigte der CDU-Politiker gemeinsam mit seinem französischen Amtskollegen Bruno LeMaire an, mit Milliardeninvestitionen die europäische Chipindustrie anschieben zu wollen. Die Rede war von bis zu 50 Milliarden Euro, die im Rahmen eines Important Project of Common European Interest (IPCEI) fließen sollen. Das ist auch das Preisschild, mit dem die Unternehmensberatung McKinsey den Rückstand Europas auf die USA und China beziffert.
Anfang Juli versprach Altmaier bei einem Besuch im "Silicon Saxony", die dort ansässige Industrie mit bis zu zehn Milliarden Euro aus dem deutschen Staatssäckel unterstützen zu wollen, um Produktionskapazitäten hochzufahren. Der Trend, dass in Europa immer weniger Mikrochips hergestellt würden, müsse umgekehrt werden, so der Wirtschaftsminister.
Derweil machen die Halbleiterhersteller unverblümt klar, dass sie finanzielle Unterstützung seitens der Politik erwarten. Globalfoundries-Chef Thomas Caulfield spricht von Investitionen, nicht von Subventionen. Es gehe um den Zugang zu Zukunftstechnologien. Auch Intel-Chef Pat Gelsinger hofft zu profitieren. Im Juni besuchte er Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gelsinger stellte Europa Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Dollar für bis zu acht neue Fabs in Aussicht. Allerdings will er dafür 40 Milliarden Dollar an Subventionen. Doch bis der erste Stein der neuen Anlagen gebaut ist, dürften noch etliche Jahre ins Land gehen.