Atos Q-score

Benchmark für Quantencomputer?

14.12.2020
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Die Rechenleistung von Quantencomputern vergleichen? Bislang fehlte aufgrund der unterschiedlichen Prozessortechnologien hierzu eine verlässliche Metrik. Diese will Atos nun mit Q-score entwickelt haben.
Das IBM Q SYSTEM ONE ist einer der ersten industriell verfügbaren Quantencomputer und rechnet mit 20 Qubits.
Das IBM Q SYSTEM ONE ist einer der ersten industriell verfügbaren Quantencomputer und rechnet mit 20 Qubits.
Foto: Boykov - shutterstock.com

Wie messe ich die Performance eines Quantencomputers? Eine gebräuchliche Kennzahl zur Leistungsbewertung von Quantenrechnern ist heute die Anzahl der Qubits, also der Recheneinheit von Quantencomputern (Siehe auch "Wie Quantencomputer funktionieren"). Allerdings, so argumentiert Atos, seien Qubits flüchtig und unterschieden sich in ihrer Qualität (etwa hinsichtlich Geschwindigkeit, Stabilität oder Konnektivität) von Quantentechnologie zu Quantentechnologie (Ionenfallen, Silizium, Photonik und viele mehr). Deshalb seien Qubits kein geeignetes Vergleichswerkzeug.

Zielführender ist es in den Augen des französischen IT-Dienstleisters, wenn zur Leistungsbewertung eines Quantencomputers dessen Effizienz bei der Lösung praxisnaher Probleme - an denen herkömmliche Rechner scheitern - gemessen werden. Genau hier soll der Q-score (Qs) ansetzen, indem er bekannte kombinatorische Optimierungsprobleme löst. Dies soll zu objektiven und vergleichbaren Ergebnissen führen.

Ein Qubit ist zwar die Basis der Quanteninformatik, eignet sich aber in den Augen von Atos schlecht für einen Leistungsvergleich der Quantencomputer.
Ein Qubit ist zwar die Basis der Quanteninformatik, eignet sich aber in den Augen von Atos schlecht für einen Leistungsvergleich der Quantencomputer.
Foto: Astibuag - shutterstock.com

Q-score: So misst der Quanten-Benchmark

Im Detail misst Q-score hierzu die tatsächliche Leistung von Quantenprozessoren bei der Lösung eines Optimierungsproblems, was repräsentativ für das bevorstehende Quantencomputing-Zeitalter (NISQ - Noisy Intermediate Scale Quantum) ist. Um Vergleichbarkeit und Einheitlichkeit zu gewährleisten, verwendet Q-score ein kombinatorisches Standard-Optimierungsproblem. Dabei handelt es um das Max-Cut-Problem, ähnlich des Travelling Salesman Problems (TSP). Der Score wird so auf Grundlage der maximalen Anzahl an Variablen innerhalb eines solchen Problems berechnet, die eine Quantentechnologie optimieren kann (zum Beispiel: 23 Variablen = Q-score: 23 Qs).

Ähnlich dem Travelling Salesman Problem soll Q-score anhand des Max-Cut-Problems die Leistung eines Quantencomputers errechnen.
Ähnlich dem Travelling Salesman Problem soll Q-score anhand des Max-Cut-Problems die Leistung eines Quantencomputers errechnen.
Foto: OpturaDesign - shutterstock.com

Beim TSP-Problem geht es um die Lösung folgender Herausforderung: Ein Reisender muss eine Anzahl von n Städten in einem Rundkurs besuchen, wobei die Entfernungen zwischen allen Städten bekannt sind und jede Stadt nur einmal besucht werden sollte. Was ist die absolut kürzeste mögliche Route, so dass er jede Stadt genau einmal besucht und in die Ausgangsstadt zurückkehrt?

Auf den ersten Blick erscheint dies einfach zu sein. Doch das Problem wird schnell komplex, wenn es darum geht, eine definitive, perfekte Antwort unter Berücksichtigung einer zunehmenden Anzahl von n Variablen zu geben. Max-Cut hingegen ist ein allgemeineres Problem mit einer breiten Palette von Anwendungen, zum Beispiel für die Optimierung von elektronischen Platinen oder die Positionierung von 5G-Antennen.

Q-score-Werte: Aussagekraft

Um die Aussagekraft eines Q-score-Wertes beurteilen zu können, lohnt sich ein Blick auf das klassische High Performance Computing. Die leistungsstärksten Exascale-HPCs, die demnächst auf den Markt kommen, werden wohl laut Atos mit einem äquivalenten Q-score von fast 60 aufwarten. Die beste, heute verfügbare Quantum Processing Unit (QPU) dürfte dagegen einen Q-Wert von etwa 15 Qs erreichen. Angesichts der jüngsten Fortschritte erwarten die Franzosen aber, dass die Quantenleistung im kommenden Jahr Q-Werte von über 20 Qs erreichen wird.

Auch wenn sich die Ergebnisse derzeit um einen Q-score von 15 Qs bewegen, ist der Fortschritt auf dem Gebiet des Quanten-Computing laut Atos schnell: So habe der geschätzte durchschnittliche Q-score vor einem Jahr noch im Bereich von 10 Qs gelegen. Wie schnell der Fortschritt sein könnte, zeigt ein Blick in die McKinsey-Analyse "A game plan for quantum computing". Dort prognostizieren die Forscher, dass bereits ab 2022 Quantenrechenleistung as a Service aus der Cloud zur Verfügung stehen könnte.

Q-score: Quantum Supremacy messen

Insgesamt lässt sich der Q-score für QPUs mit mehr als 200 Qbits messen. Damit eignet er sich als Metrik, um Quantenüberlegenheit (Quantum Supremacy) zu identifizieren und zu messen. Definiert wird Quantenüberlegenheit als die Fähigkeit von Quantentechnologien, ein Optimierungsproblem zu lösen, das klassische Technologien nicht zum gleichen Zeitpunkt lösen können.

Ein kostenloses Software-Kit, mit dem sich Q-score auf jedem Prozessor ausführen lässt, soll im ersten Quartal 2021 verfügbar sein. Dabei basiert Q-score laut dem IT-Dienstleister auf einem Open-Access-Softwarepaket und baut auf drei Säulen auf:

  1. Anwendungsgesteuert: Q-score ist das ein Messsystem, das auf in naher Zukunft verfügbaren Quantenalgorithmen basiert und die Fähigkeit eines Quantensystems misst, praktische betriebliche Probleme zu lösen;

  2. Offenheit und Benutzerfreundlichkeit: Q-score ist universell und kostenlos. DasSoftwarepaket, einschließlich Tools und Methodik, erfordert keine große Rechenleistung, um die Metriken zu berechnen;

  3. Objektivität und Zuverlässigkeit: Atos kombiniert nach eigenen Aussagen einen hardware- und technologie-agnostischen Ansatz mit der Expertise im Entwurf und der Optimierung von Algorithmen. Die Q-score-Methodik wird veröffentlicht und zur Bewertung freigegeben.

Letztlich können alle Hersteller Q-score auf ihrer Technologie laufen lassen und werden von Atos dazu aufgefordert, dann ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. Atos selbst will jedes Jahr eine Liste der leistungsfähigsten Quantenprozessoren der Welt veröffentlichen, basierend auf deren Q-score. Ein erster Bericht soll 2021 erscheinen und konkrete Selbstbewertungen der Hersteller enthalten.