Eine geleakte E-Mail an Führungskräfte von Tesla hatte auf erschreckende Weise deutlich gemacht, was der Gründer und CEO Elon Musk vom Home-Office hält - nämlich gar nichts. Daraufin hat der CEO per Twitter nochmals nachgelegt:
They should pretend to work somewhere else
— Elon Musk (@elonmusk) June 1, 2022
Musks Befehl zur Rückkehr in die Büros ist schockierend weit von allem entfernt, was wir in den vergangenen zwei Jahren über Remote Work und Mitarbeiterbindung gelernt haben (sollten). Auffällig ist, dass Musk nur wenige Tage nach seinem "Erlass" in einer weiteren E-Mail schrieb, Tesla müsse rund zehn Prozent seiner Belegschaft abbauen. Das klingt fast so, als habe er die Zügel mit seinem Rückkehrbefehl anziehen wollen, um die Kündigungsrate zu erhöhen und in der Folge keine Entlassungen aussprechen zu müssen. Doch ich gebe zu: Das ist reine Spekulation.
Musk ist unehrlich
Der Tesla-CEO ist schlicht unehrlich, wenn er die Arbeit im Home-Office als "Scheinarbeit" abwertet. Außerdem ist er undankbar, denn jeder weiß, dass Tesla-Beschäftigte mehr arbeiten als Menschen in anderen Firmen. Die Unternehmenskultur bei Tesla wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geprägt, die sich weit mehr als 40 Stunden pro Woche einsetzen. Der Erfolg des Unternehmens und seine Vormachtstellung auf dem Elektroauto-Markt hängt sogar davon ab, dass die Beschäftigten Extrarunden drehen und oft 60 oder 70 Stunden pro Woche arbeiten.
Und doch will der Tesla-Herrscher jetzt 40 Stunden pro Woche im Firmenbüro vorschreiben. Will er auf die Arbeitsstunden, die darüber hinausgehen, wirklich verzichten? Meiner Ansicht nach weiß Musk ganz genau, dass Mitarbeitende, die 40 Stunden pro Woche im Büro und dann auch noch von zu Hause aus arbeiten, ungewöhnlich produktiv sind. Umso bitterer sind für diese Menschen die öffentlichen Aussagen ihres Chefs.
Aktuellen Daten zufolge, sind Mitarbeiter im Home-Office heute produktiver als zu Beginn der Pandemie. Sie passen ihr Verhalten und ihre Einstellung an Remote Work an, während die Unternehmen ihre Managementsysteme, Technologien und Workflows entsprechend ausrichten. Laut der Website "Tracking Happiness", die sich mit der Erforschung der psychischen Gesundheit befasst, sind Remote-Mitarbeiter auch glücklicher. Deshalb engagieren sie sich stärker für die Ziele ihres Unternehmens, sind produktiver und auch loyaler - die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung sinkt.
Musk wird einlenken
Ich prophezeie, dass Musk zurückrudern wird, sobald er sieht, dass wertvolle Mitarbeiter das Handtuch werfen und bei der Konkurrenz anheuern. Einige Silicon-Valley-Unternehmen wollten zuletzt ihre Mitarbeiter zurück ins Büro zwingen, und noch immer hat sich die Haltung der Firmenchefs wieder gewandelt - unter anderem bei Apple. Dessen CEO Tim Cook dürfte angesichts der Rebellion etlicher Mitarbeiter und des Abgang eines der weltweit führenden KI-Experten zu Google schockiert gewesen sein. Auch Google selbst hatte für einige Mitarbeiter die Rückkehr ins Office angeordnet. Nachdem die Belegschaft mit Streik drohte, machte der Konzern einen Rückzieher.
Musk ist vor allem eines: Kapitalist. Er sollte wissen, dass auch der Arbeitsmarkt ein Markt ist. Bleibt er bei seiner Linie, werden Beschäftigte - darunter auch solche, denen Tesla seinen Erfolg verdankt - kündigen und zur Konkurrenz abwandern. Vielleicht hat Musk tatsächlich geglaubt, sein Vorstoß würde die Fluktuation erhöhen und ihn von der imageschädigenden Aufgabe befreien, Personal abzubauen. In dem Fall hätte er sich aber um die Kontrolle darüber gebracht, welche Mitarbeiter den Hut nehmen.
Es ist absehbar, dass die wertvollsten Mitarbeiter von Tesla auch die besten Angebote von der Konkurrenz erhalten. Sie werden die ersten sein, die das Unternehmen verlassen, wenn Musk nicht einlenkt. Der Tesla-Chef ist vieles, aber nicht dumm. Deshalb wird er - wie Apple und Google vor ihm - das Ruder wieder umwerfen. (hv/fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.