Off Rails

Was wurde eigentlich aus Ruby?

16.02.2023
Von 
Josh Fruhlinger ist freier Autor in Los Angeles.

Der Niedergang von Ruby

Doch es lag nicht nur an den Eigenschaften von Ruby selbst, dass JavaScript und Python die Vorherrschaft erlangten. "Auf dem Papier sind Python und Ruby ziemlich gleichwertig", analysiert Manager Trowbridge. "Beide sind dynamische, interpretierte Skriptsprachen, die sich am besten auf dem Server machen. Sie nutzen den Speicher nicht sehr effizient und sind daher teuer in der Ausführung, aber sie bieten eine unglaubliche Flexibilität und sind daher auch recht schnell zu schreiben und anfängerfreundlich."

Geht es allerdings um Datenwissenschaft, hat Python die Nase vorn. In erster Linie weil Bibliotheken wie TensorFlow und Keras sofort verfügbar sind. "Diese Frameworks machen es Programmierern leicht, Datenvisualisierungen zu erstellen und Machine-Learning-Programme zu schreiben", erklärt Bhardwaj.

Viele dieser Bibliotheken wurden von Community-Mitgliedern entwickelt, was andere zu Beiträgen inspirierte - ein Schneeballeffekt, den jeder kennt, der sich mit Open Source beschäftigt. Dabei hat allerdings ein großer Player maßgeblichen Einfluss genommen: Google veröffentlichte das Framework TensorFlow, das Python als interne Skriptsprache nutzt. Als Hersteller des dominierenden Webbrowsers hat Google zudem ein offensichtliches Interesse daran, JavaScript zu verbessern - was der Konzern laut Trowbridge auch geschafft hat: "JavaScript ist viel schneller und speichereffizienter als früher. In mancher Hinsicht fühlt es sich fast wie eine Low-Level-Sprache an."

Im Fall von Ruby gibt es keinen Unternehmenssponsor dieser Größe, der Ressourcen bereitstellt, um die Sprache zu verbessern. Dazu kommt: Einige Nischen, die einst Ruby besetzte, gibt es inzwischen nicht mehr, wie Entwickler Boeh aus eigener Erfahrung zu berichten weiß: "Ich habe meine Karriere damit begonnen, Marketing-Websites und Online-Shops für die Kunden einer lokalen Kreativagentur zu erstellen. Meiner Meinung nach wird oft übersehen, wie sehr das untere Ende der Webentwicklungswelt automatisiert wurde. Innerhalb von ein paar Jahren war das gesamte Geschäft nicht mehr lebensfähig - niemand, der einigermaßen mit WordPress oder Shopify zurechtkam, war noch an solchen maßgeschneiderten Websites interessiert."

Warum Ruby dennoch nicht stirbt

Dennoch wird Ruby nicht verschwinden - und der E-Commerce-Gigant Shopify ist dafür der Hauptgrund, denn Ruby on Rails ist seine wichtigste Entwicklungsplattform. E-Commerce-Spezialist Bhardwai kann das gut nachvollziehen: "Ruby ist aufgrund seiner dynamischen Funktionalität und Flexibilität immer noch die beste Lösung, um E-Commerce-Anwendungen zu entwickeln. Sie können Ihre App mit verschiedenen Modulen aufbauen und diese später verändern. Das macht es einfacher, zusätzliche Funktionen einzubinden."

Natürlich ist Shopify nicht mit einem Technologie-Gigant wie Google vergleichbar, dennoch bemüht sich das Unternehmen, zu einem Mäzen für Ruby zu werden. So hat Shopify kürzlich den Just-in-Time-Compiler YJIT entwickelt, der die Performance von Ruby optimiert und als Standard akzeptiert wurde. Auch CTO Trowbridge ist sich sicher, dass Ruby und Ruby on Rails weiterhin relevant bleiben werden: "Es gibt viele Sprachen, die nach wie vor stark genutzt werden, auch wenn sie nicht mehr so populär sind, wie sie es einmal waren. Ich würde Java als das beste Beispiel dafür anführen und vermute, dass Ruby und Java eine ähnliche Entwicklung durchlaufen werden."

Und schließlich gibt es ja auch noch die Ruby-Community, die weiterhin mit Enthusiasmus und Hingabe bei der Sache ist. Das findet man nicht bei allen Programmiersprachen - selbst bei einigen nicht, die Ruby in vielen Bereichen übertrumpfen konnten. Cosmin Andriescu, CTO von Lumenova AI, meint zum Beispiel, Ruby on Rails habe mit seiner riesigen Menge an Bibliotheken immer noch einen großen Vorteil gegenüber vielen JavaScript-Frameworks: "Die zeichnen sich vor allem durch instabile APIs und unausgereifte Tools für die Webentwicklung aus."

Boeh charakterisiert Python etwas unverblümter als die Sprache, die die meisten Leute seiner Erfahrung nach absolut hassen würden - und offenbart dann: "Für persönliche Projekte nutze ich immer noch Ruby - und ich hoffe, das auch wieder professionell tun zu können. In der Ruby-Welt gibt es im Moment viele spannende Entwicklungen - und jede Menge Job-Möglichkeiten. Ruby wird vielleicht nie wieder das 'next big thing', aber ich bin davon überzeugt, dass es gekommen ist, um zu bleiben." (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Infoworld.