Off Rails

Was wurde eigentlich aus Ruby?

16.02.2023
Von 
Josh Fruhlinger ist freier Autor in Los Angeles.
Ruby eroberte die Webentwicklung Anfang der 2000er Jahre im Sturm. Hat die Programmiersprache heute, da JavaScript und Python den Ton angeben, noch einen Platz?
Hat Ruby angesichts der Dominanz von Python und JavaScript noch einen Platz in der Welt der Softwareentwicklung?
Hat Ruby angesichts der Dominanz von Python und JavaScript noch einen Platz in der Welt der Softwareentwicklung?
Foto: Byjeng - shutterstock.com

Das Feld der Webentwicklung hat viele Programmiersprachen und Frameworks kommen und gehen sehen. Dabei leuchtete der Stern von Ruby (und der des 2004 eingeführten Frameworks Ruby on Rails) heller als die meisten anderen. Im Jahr 2008 fragte sich unsere US-Schwesterpublikation Infoworld sogar, ob Ruby und Ruby on Rails auf lange Sicht Java ersetzen könnten. Fünfzehn Jahre später erscheint diese Vorstellung abwegig: Im TIOBE-Index, der unter anderem die Popularität von Programmiersprachen erfasst, liegt Ruby (Stand Februar 2023) auf Platz 16 - zwischen Swift und Perl. Java rangiert hingegen hinter Python, C und C++ auf einem respektablen vierten Platz.

Die Karriere- und Skill-Plattform Filtered ermöglicht Bewerbern, potenziellen Arbeitgebern ihre Coding-Skills unter Beweis zu stellen und hat Ende 2022 analysiert, welche acht Sprachen zu diesem Zweck in den letzten fünf Jahren am häufigsten zum Einsatz gekommen sind. Dabei kann sich Java mit deutlichem Abstand vor Python positionieren, während Ruby gar nicht erst geführt wird. Laut Filtered wurde die Programmiersprache nur in etwa 0,5 Prozent der Fälle abgefragt beziehungsweise getestet.

Trotzdem sollten Sie Ruby noch nicht aufs Abstellgleis zu FORTRAN und ALGOL verfrachten. Wir haben mit (ehemaligen) Ruby-Programmierern über den Aufstieg und Niedergang der Programmiersprache gesprochen und die Gründe dafür erörtert. Dabei sind sich die Experten einig: Ruby hat noch eine Zukunft.

Der Aufstieg von Ruby

Für den anfänglichen Popularitätsschub von Ruby waren eine Reihe von Faktoren ursächlich. Insbesondere aber die Tatsache, dass sich damit die Frontend-Entwicklung maßgeblich beschleunigen ließ. Daran hat sich nichts geändert, wie Noel Rappin, Co-Autor von "Programming Ruby 3.2", unterstreicht: "Ruby on Rails befähigt kleine Teams immer noch, die Wirkung eines großen zu erzielen. Es ist nach wie vor einer der schnellsten Wege, um von Null zu einem echten, werthaltigen Produkt zu kommen."

Auch Pulkit Bhardwaj, E-Commerce-Coach bei BoutiqueSetup.net, weiß Ruby weiterhin zu schätzen: "Ruby war und ist noch immer die beste Sprache, wenn es darum geht, dem Benutzer ein solides Frontend-Erlebnis zu bieten. Sie ist für die Endbenutzer einfach zu bedienen und bietet eine stabile, sichere Experience. Zudem bietet Interactive Ruby auch Raum für Experimente."

Ein weiteres Argument für Ruby ist seine von Anbeginn starke Open-Source-Community. Das liegt laut Kevin Trowbridge, CTO der Expertise-Plattform Qwoted, vor allem an der Natur der Sprache selbst: "Ruby ist die 'gebildetste' aller Programmiersprachen. Sie ist einfach so intuitiv zu schreiben und zu lesen. Dazu kommt eine Philosophie, die darauf abzielt, das Produkt, die Produktivität und die Entwicklerzufriedenheit zu optimieren."

Allerdings hat es für Ruby und Ruby on Rails dennoch nie zu einer dominanten Marktposition gereicht - auch weil andere Sprachen und Frameworks sich in der Zwischenzeit (weiter)entwickelt haben: "Ruby on Rails tauchte auf, als das Web vor einer Wachstums- und Transformationsphase stand", erinnert sich Matthew Boeh, Ruby-Entwickler seit 2006. "Von diesem Wachstum konnte Ruby profitieren und es weiter anheizen. Aber es war klar, dass es auch andere Erfolgsgeschichten geben würde. Man könnte sagen, dass Ruby ein Opfer seines eigenen Erfolgs geworden ist, da seine Community eine wichtige treibende Kraft bei der Renaissance der Kommandozeile war", sagt der Entwickler, der heute beim TypeScript-Unternehmen Lattice tätig ist.

Er fügt hinzu: "In den frühen 2000er Jahren hat Ruby Leuten, die noch nie etwas von Lisp gehört hatten, die REPL-gesteuerte Entwicklung nahegebracht und testgesteuertes Development außerhalb der Java-Welt etabliert. Das sind Dinge, die heute als Standard gelten. Natürlich hat Ruby nichts davon 'erfunden' - seine Community allerdings für Popularität und Zugänglichkeit gesorgt."

Die Ruby-Herausforderer

Wenn es eine Sprache gibt, die heute in den Bereichen dominiert, in denen früher Ruby "herrschte", ist es JavaScript. Zumindest, seitdem sie dem Browser entkommen konnte, wie Jemiah Sius, Director of Developer Relations beim Cloud-Softwareanbieter New Relic, erläutert: "Mit der Entwicklung von JavaScript zu einer Full-Stack-Sprache wurde es möglich, Frontend-, Backend- und mobile Projekte in einer Sprache oder sogar einer gemeinsamen Codebasis zu entwickeln. Ruby ist leicht zu erlernen, bietet einen sehr hohen Sicherheitsstandard und verfügt über eine aktive Community. Aber wenn jemand an Full-Stack denkt, denkt er an JavaScript, Node.js oder React."

Nach Meinung von Qwoted-CTO Trowbridge konnte JavaScript seinen Rückstand vor allem deshalb aufholen, weil es sich im Laufe der Zeit entscheidend verbessert hat: "Tatsächlich ist JavaScript Ruby im Laufe der Zeit ähnlicher geworden. Die Browser-Hersteller haben sich bemüht, JavaScript zu formalisieren, zu standardisieren, zu vereinfachen und zu optimieren. Heute ist es so viel schöner als damals."

Ruby-Experte Boeh stimmt zu und fügt an: "Das JavaScript-Ökosystem in seiner heutigen Form wäre 2004 noch unvorstellbar gewesen - es brauchte sowohl die Renaissance der Kommandozeile als auch den Durchbruch der Web-Plattform. Wussten Sie, dass es ein ganzes Jahrzehnt dauerte - von 1999 bis 2009 - bis eine einzige neue Version des JavaScript-Standards veröffentlicht wurde? Inzwischen bekommen wir eine pro Jahr. Ruby on Rails wurde eine große Sache zu einer Zeit, in der es noch möglich war, ohne Java-Kenntnisse Full-Stack-Entwickler zu sein."

In einer der angesagtesten Bereiche der Softwareentwicklung - Künstliche Intelligenz beziehungsweise Machine Learning - dominiert heute Python. E-Commerce-Experte Bhardwaj kennt die Gründe: "Python wurde in der wissenschaftlichen Gemeinschaft populär, weil es ermöglichte, Modelle und Algorithmen schneller als je zuvor zu entwickeln. Damit war es Ruby, das als langsam in punkto Ausführungsgeschwindigkeit wahrgenommen wurde, um Jahre voraus."

New-Relic-Mann Sius kann sich dem lediglich mit einem Python-Loblied anschließen: "Geht es um eine vielseitige Sprache, mit der man alles von Spielen über VR bis hin zu KI und ML entwickeln kann, weiß jeder: Python ist der klare Gewinner."