CW: 2011 war das Jahr des Burnouts. Was kann es danach noch geben?
Raoul Wintjes: Das Massen-Phänomen "Burnout" wird langsam entmystifiziert. Ein bewussterer Umgang mit den eigenen Ressourcen wird gesellschaftsfähig. Chefs achten mehr darauf, wie ihre Mitarbeiter arbeiten. Die Bedeutung der Präsenzkultur nimmt ab. Gleichzeitig handeln gerade junge Jobsuchende immer mehr Vorteile für sich aus: Extraleistungen wie 60 Tage Urlaub oder 30 Tage Urlaub am Stück sind für gefragte Mitarbeiter durchaus denkbar.
- Karrieretrends 2012
Die Karriereexperten.com, ein Netzwerk von Coaches und Beratern, haben die wichtigsten Karrieretrends zusammengestellt und bewerten ihre Relevanz für 2012. - 1. Arbeitswelt
Die Arbeitswelt bleibt zweigeteilt: Auf der einen Seite die hoch qualifizierten Fachkräfte mit hohen und weiter stark steigenden Gehältern, auf der anderen Seite die Geringqualifizierten, aber auch weniger gefragte Akademiker mit niedrigen Löhnen. Mehr und mehr zeigt sich: Fachkraft ist nicht gleich Fachkraft. Gefragt sind vor allem Kräfte aus dem IT- und ingenieurnahen Umfeld, die zu ihrer inhaltlichen Spezifikation noch Methodenwissen und kommunikative Fähigkeiten mitbringen. - 2. Auswahlverfahren
Der Trend geht hin zu Online-Verfahren. E-Assessment-Center gibt es schon lange, das Vorstellungsgespräch per Skype nur vereinzelt. Das setzt sich nun langsam durch. Die Webcam wird zu einem wichtigen Tool im Bewerbungsprozess, in dem vermehrt Skype und andere Formate eine Rolle spielen. - 3. Bewerbung
2011 kam das Tool Visualize.me auf den Markt, mit dem ein Lebenslauf als Infografik dargestellt werden kann. Einige Karriereexperten sahen das erste Mal Lebensläufe, die auch in Word wie eine Infografik gestaltet waren. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Bewerbungen werden in 2012 informeller, frischer und frecher und vielleicht gerade deshalb qualitativ nicht besser. Daher gilt nach wie vor: Bewerbungen müssen die Informationen enthalten, die Entscheider brauchen. Mit Infografiken ist das nur teilweise möglich. Zum Beispiel sollten Führungskräfte darauf achten, ihre Leistungen möglichst an Zahlen und Fakten orientiert darzulegen. - 4. Berufseinstieg
Rare Studienplätze durch doppelte Abiturjahrgänge und Wegfall der Wehrpflicht. Der Einstieg ins Studium musste für viele Fächer erkämpft werden. Die neuen Abiturienten werden durch die Situation unter Druck gesetzt. Zudem meinen sie, sie bräuchten Spitzennoten, sie dürften keine Zeit verlieren und müssten sich gleich nach dem Schulabschluss für den richtigen Weg entscheiden. Die Gelassenheit früherer Generationen fehlt heute. Genau eine solche sei aber nötig, um erfolgreich in den Beruf zu starten. Es bleibt abzuwarten, zu welchen Entwicklungen diese Verspannung bei der Berufswahl mittelfristig führt. - 5. Fachkräftemangel
Unternehmen professionalisieren ihre Personalsuche, um dem Mangel zu begegnen, denn das Schwinden des Fachkräftepotenzials hat längst begonnen. Große Recruiting-Veranstaltungen wie die "Nacht der Unternehmen" in Stuttgart oder Aachen, Anwerbung von spanischen Spezialisten und die Diskussion über "Employer Branding" zeigen dies deutlich. Die umworbenen Fachkräfte selbst wissen indes noch nicht, wie sie den gewonnenen Spielraum für sich nutzen können. Dabei könnten sie viel aktiver ihre Berufs- und Lebensziele festlegen und sie selbstbewusster verfolgen. - 6. Gefragte Skills
Die sozialen Kompetenzen stehen auf der Wunschliste für den perfekten Kandidaten im nächsten Jahr genauso im Vordergrund, wie das für die Position erforderliche Fachwissen. Englisch ist für alle Ebenen inzwischen Standard, gutes Englisch keine Besonderheit mehr. Wurde das vor zehn Jahren noch in Vorstellungsgesprächen thematisiert, wird es heute einfach vorausgesetzt. Ein Niveau von B1 nach europäischem Referenzrahmen (GER) gilt inzwischen als unterer Durchschnitt für einen Akademiker. - 7. Karriere machen
Neben Führungslaufbahnen etablieren sich Experten-, Spezialisten- und Projektlaufbahnen. Das mittlere Management, lange als Übergangsposition gesehen, rückt in den Vordergrund als zentraler Baustein des Unternehmenserfolges. Somit ist das mittlere Management ein Karriereziel und nicht nur die Zwischenstufe zum Topmanagement. Nirgendwo sonst sind soziale Fähigkeiten so wichtig wie hier. - 8. Social Media
Facebook werde der neue Renner für Personalberater, orakeln manche Blogs. Nur, wie soll man dort suchen? Das geht nicht. Deshalb gilt es hier zu entscheiden. Für die Jugend, die in erste Ausbildung und erste Joberfahrungen hineinwächst, wird Facebook zum beliebtesten Stellenmarkt. Sie findet im größten Netzwerk ihre Jobs über schon vorhandene Kontakte. 300 Facebook-Freunde sind für einen 18jährigen heute nichts mehr. Für weiterführende Karrieren bleiben Facebook und Co. jedoch bedeutungslos. Die richtig interessanten Job-Deals werden weiter über persönliche Kontakte oder Headhunter angebahnt und offline geschlossen. - 9. Recruiting
Hochglanzbroschüren, die viel versprechen, aber nichts halten, ziehen den Nachwuchs nicht mehr an. Portale wie Kununu.com, die Arbeitgeber bewerten, werden zur normalen Anlaufstelle für Jobsuchende. Gleichzeitig wird den Siegeln wie "Great Place to work" nicht mehr viel zugetraut. Jobsuchende wünschen sich glaubwürdige Unternehmen. Authentische Kommunikation wird immer wichtiger - nach innen und nach außen. Nur die Unternehmen, die sich im Klaren sind, was und wen sie wirklich wollen, und dies umsetzen, haben Chancen im "War for Talents". Gleich, ob sie sich im Web, via Social Media, in Magazinen, am Telefon oder auf Messen präsentieren. - 10. Weiterbildung
Das Thema Burnout wurde 2011 groß geschrieben, teilweise aber auch mystifiziert. Bei den Firmen ist inzwischen angekommen, dass sie etwas tun müssen, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Deshalb werden Trainings zur Burnout-Prophylaxe der Renner 2012. Firmen werden sich zunehmend darauf einstellen, da auch ihr eigener Ruf davon abhängt, wie sie mit dem Thema Burnout umgehen.
CW: Was heißt das für die Manager?
Wintjes: Der Ruf nach sozial kompetenten, teamfähigen und Mitarbeiter-orientierten Managern wird 2012 noch lauter. Viele Führungskräfte sind darauf unzureichend vorbereitet. Sie rechnen auch nicht damit, dass Mitarbeiter zunehmend Forderungen stellen. Was die Firmenspitze fordert, ist bei den Managern teils noch nicht angekommen. Hier besteht erheblicher Schulungsbedarf.
CW: Sie sprechen vom demografischen Wandel. Welche Folgen hat dieser noch?
Wintjes: Die Unternehmen müssen sich öffnen, das bezieht sich nicht nur auf den Abbau der Präsenzkultur. Sie müssen sich auch neu aufstellen, um überhaupt gute Fachkräfte zu gewinnen. Jeder muss sich klar sein: Familienfreundlichere Rahmenbedingungen erschließen inländische Arbeitsmarktreserven, da die gezielte Zuwanderung auf niedrigem Niveau stagniert und Fachkräfte weiterhin fehlen. So hat sich etwa schnell herausgestellt, dass die Öffnung des deutschen Marktes für osteuropäische Kräfte im Mai 2011 kaum zu dem teils erwünschten, teils befürchteten Zustrom geführt hat. Die deutsche Wirtschaft ist auf die inländischen Arbeitnehmer angewiesen.
CW: Auf welche Branchen wird sich das besonders beziehen?
Wintjes: Natürlich vor allem auf die, die den Mangel am deutlichsten spüren. High Tech mit Fokus auf Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Effizienz (zum Beispiel Antriebstechnik) sowie Medizintechnik sind Wachstumstreiber.
CW: Welche Themen werden Ihrer Meinung nach kommen?
Wintjes: Der Renner dürfte weiterhin Corporate Social Responsibility sein sowie auch ökosoziale Bilanzierung und gerechte globale Arbeitsteilung. Das sind die Herausforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen, die 2012 und darüber hinaus erfolgreich sein wollen. Survival of the fittest - ja - aber fit wird neu definiert.