Nach einem Höhenflug in den vergangenen zwei Jahren verzeichnen Videokonferenz- und Collaboration-Anbieter wie Zoom in diesem Jahr einen deutlichen Geschäftsrückgang. Diese Entwicklung ist in der Branche seit Jahrzehnten zu beobachten: Auf den Boom folgt der Absturz. Das erste Hoch gab es in den 1990er Jahren, als der damalige Intel-Chef Andy Grove massiv in die Technologie investierte und dies später als einen seiner größten Fehler bezeichnete. Ein Jahrzehnt später gab es den zweiten Peak, als HP die Halo-Räume auf den Markt brachte - gefolgt von einem erneuten Rückgang.
Zuletzt stieg das Interesse an Video (zwangsläufig) während der COVID-19-Pandemie. Mit dem Abklingen der Pandemie ging auch das Interesse an Videokonferenzen zurück. Es besteht jedoch die Chance, dass der Markt diesmal nicht so stark schrumpft wie in der Vergangenheit. Solange sich die Branche jedoch nicht mit den seit Jahrzehnten bekannten Problemen auseinandersetzt, um die Technologie zukunftsfähig zu machen, werden Videokonferenzen nie ihr volles Potenzial ausschöpfen.
5 Gründe, warum sich Videokonferenzen (noch) nicht durchsetzen
Doch wo liegen die Probleme? Um erfolgreich zu sein, müssen die Anbieter von Videokonferenzen mehrere Anforderungen gleichzeitig erfüllen.
Der Hauptvorteil von Videokonferenzen liegt nicht in der Zusammenarbeit: Wir haben schon lange vor der Einführung von Videokonferenzen erfolgreich per E-Mail, Telefon und in Form von persönlichen Treffen zusammengearbeitet. In der Tat könnte man die meisten Videokonferenzen überspringen, eine Kopie der Präsentation verschicken und die Leute bitten, sie während eines Telefongesprächs durchzulesen - das Ergebnis wäre wahrscheinlich dasselbe. Die meisten Meetings sind nicht besonders interaktiv, sondern eher eine Art Diskussionsrunde mit Fragen. Mitarbeiterbesprechungen, Unternehmensbesprechungen, Lieferantenpräsentationen, HR-Updates und sogar Besprechungen über organisatorische Veränderungen und die Geschäftsentwicklung erfordern keine Videokommunikation in Echtzeit.
Einer der Vorteile eines Telefongesprächs besteht darin, dass man sich nicht um sein Äußeres kümmern muss. Dies war einer der beiden Gründe für das Scheitern der Desktop-Videokommunikation in den 1980er Jahren. Der andere: Die Mitarbeiter fürchteten, dass ihr Chef sie heimlich beobachtete. Das beste Argument für Videokonferenzen ist die Vermeidung von Reisen. Reisen sind teuer, bergen manchmal Sicherheits- und Gesundheitsrisiken, und die Produktivität sinkt erheblich, wenn Mitarbeiter unterwegs sind. Die wirtschaftlichen, sicherheitstechnischen und gesundheitlichen Vorteile von Videokonferenzen sollten insbesondere Flugreisen für Unternehmen fast überflüssig machen.
Es gibt jedoch fünf Gründe, warum dies (noch) nicht der Fall ist.
1. Die Technologie ist noch nicht einfach zu bedienen
Ursprünglich war Video eine Funktion des Telefons. Man rief jemanden mit dem Telefon an und aktivierte dann die Videofunktion. Das war die Vision, die AT&T vor Jahrzehnten hatte, weil man die Welt natürlich durch die Linse des Telefons betrachtete. Die Technologie wurde zwar verbessert, aber selbst in den 1990er und 2000er Jahren brauchte man oft einen Techniker, um die Geräte zu bedienen; es war etwas ganz anderes als ein einfacher Einwahlanruf. Außerdem waren nur wenige Systeme kompatibel; die Wahrscheinlichkeit, dass das eigene System nicht mit einem anderen zusammenarbeitete, war hoch.
Heute brauchen wir keinen speziellen Videotechniker mehr, nicht einmal einen speziellen Service, aber viele Systeme arbeiten immer noch nicht zuverlässig zusammen. Benutzerfreundlichkeit und Interoperabilität haben in der Telekommunikationsbranche zum Erfolg geführt, aber bei Videokonferenzen scheint beides zweitrangig zu sein.
2. Gespräche während eines Meetings sind wichtig
Wenn man sich von Angesicht zu Angesicht trifft, kann man mit seinem Sitznachbarn sprechen, sich mit seinem Gesprächspartner austauschen und sich einfach Gehör verschaffen. Bei Remote Meetings sind Sie oft so lange stumm geschaltet, bis Ihnen jemand das Wort erteilt. Wenn Sie mit jemandem sprechen möchten, müssen Sie entweder eine Chat-Nachricht schreiben (die die andere Person möglicherweise nicht sieht) oder die Person anrufen.
Dies führt dazu, dass sich entfernte Teilnehmer im Vergleich zu den physisch Anwesenden wie Bürger zweiter Klasse fühlen. Sie haben keine Zeit für ein persönliches Gespräch, werden möglicherweise nicht angehört, können keine Geschäftsbeziehungen aufbauen oder haben keine Möglichkeit, sich wirklich gut mit anderen auszutauschen. Das Zulassen von Side-Chats, das viele Sitzungsleiter ablehnen, würde helfen. Denn in einer Videokonferenz können so Informationen ausgetauscht werden, die in einem physischen Meeting störend wären.
3. Auch der Austausch nach dem Meeting ist wichtig
Menschen, die zu Besprechungen reisen, treffen sich oft nach dem Ende der Besprechung, um sich auszutauschen. Das kann auf dem Flur sein, beim Mittag- oder Abendessen oder wenn sie in einem Raum an einem Nebenprojekt arbeiten. Die persönliche Anwesenheit bei einer Besprechung hat einen teambildenden Effekt, der den Teilnehmern zusätzliche Karrieremöglichkeiten eröffnet und dazu beiträgt, dass gemeinsame Projekte schneller vorankommen. Aber der soziale Charakter von Besprechungen, der durch videospielähnliche Tools, das Metaverse oder sogar ein gemeinsames Mittagessen über das Videosystem angesprochen werden könnte, wird einfach nicht in großem Umfang umgesetzt. Daher fühlen sich Mitarbeiter, die nicht an einem Meeting teilnehmen, zu Recht benachteiligt.
Zwar könnte der soziale Charakter von Besprechungen durch videospielartige Tools, das Metaverse oder sogar ein digitales Mittagessen über das Videosystem nachgebildet werden. Diese Möglichkeiten werden jedoch nicht in großem Umfang genutzt, so dass sich remote zugeschaltete Mitarbeiter zu Recht benachteiligt fühlen.
4. Hybride Besprechungen funktionieren nicht
Wenn Sie ein Meeting abhalten und einige Ihrer Mitarbeiter sind von zu Hause aus zugeschaltet, ist das für alle Beteiligten unangenehm. Die Kameras zeigen nur selten, wer sich gerade entfernt hat, und es ist nicht ungewöhnlich, dass sich die Anwesenden heimlich über die Abwesenden lustig machen oder die Stummschaltung ignorieren. Remote-Teilnehmer fühlen sich auch als Eindringlinge. Ist die Lautstärke zu hoch, wirken sie laut und aggressiv, ist sie zu niedrig, werden sie als passiv wahrgenommen.
Und wenn man einen Fehler macht? Im persönlichen Gespräch kann man die Situation vielleicht korrigieren. Aber wenn man nur über den Bildschirm teilnimmt, ist das schwieriger - vor allem, wenn man gar nicht merkt, dass man etwas Falsches gesagt hat.
Kurz gesagt: Bei hybriden Meetings sind die Teilnehmer, die im Raum sind, die Schlaueren.
5. Die beste Videotechnologie ist noch nicht verfügbar
Ein Problem bei der persönlichen Teilnahme an einem Meeting ist, dass Reisen anstrengend ist. Man ist vielleicht müde, zerzaust oder nicht in Bestform. Aber mit der neuen Videotechnologie können Sie sich von Ihrer besten Seite zeigen, selbst wenn Sie im Schlafanzug unterwegs sind. Generative AI könnte Ihren Vortrag verfeinern und ihn sogar für Sie halten, während Sie das Publikum beobachten und Online-Fragen beantworten. Das würde den Zuhörern das Gefühl geben, dass Sie auf ihre Bedürfnisse eingehen. Sie könnten sogar Chat GPT und ähnliche Tools verwenden, um Fragen zu beantworten, während Sie sprechen - und Ihre Kommentare in Echtzeit auf der Grundlage der eingehenden Fragen ändern.
Oder Sie lassen eine digitale Version von sich selbst an einem Meeting teilnehmen, um Fragen zu Ihrer Arbeit zu beantworten. Ein solcher Avatar könnte Sie auch bei Besprechungen vertreten, bei denen unterschiedliche Zeitzonen ein Problem darstellen.
Die Vorteile von Videokonferenzen liegen auf der Hand: geringere Reisekosten, mehr Sicherheit für die Mitarbeiter, höhere Produktivität, zufriedenere Mitarbeiter und eine bessere Work-Life-Balance. Auch wenn die ständige Notwendigkeit, Mitarbeiter an entfernten Standorten mit ihren Unternehmen zu verbinden, wahrscheinlich einen katastrophalen Zusammenbruch der Branche verhindern wird, wird sie ihr volles Potenzial erst dann entfalten, wenn die von mir genannten Probleme gelöst sind. Irgendwann wird die Branche das schaffen - aber nicht heute. (mb)
Dieser Artikal basiert auf einem Beitrag der US-Schwesterpublikation Computerworld.