Während die einen die Fabrik der Zukunft noch für eine ferne Vision halten, nimmt sie bei anderen immer schneller konkrete Formen an. So zeigten erst kürzlich auf der Hannover Messe 2019 klassische Anlagenbauer und IT-Player die ganze Bandbreite an Lösungen, die bereits heute zur Verfügung stehen, sowie Konzepte, an denen noch gearbeitet wird. Dabei führte die HMI eines deutlich vor Augen: KI- beziehungsweise genauer Machine-Learning-Produkte sind da und verfügbar. Was vor ein bis zwei Jahren nur erste Gedankenspiele waren, ist mittlerweile in Form von konkreten Lösungen zu finden. Letztlich geht es darum, Produktion und Prozesse intelligent zu machen.
Eine Herausforderung, die nicht nur die klassischen IT-Player angenommen haben, sondern auch die zahlreichen Hidden Champions, für die der deutsche Mittelstand global bekannt ist. Egal, ob flexible Produktion mit sich selbst organisierenden Maschinen, oder intelligente Fehlererkennung und Qualitätsprüfung, viele Anbieter offerieren mittlerweile Produkte mit KI/ML-Unterstützung.
Verliert Deutschland wirklich den Anschluss?
Dieser Markteindruck lässt die öffentliche Diskussion darüber, dass Deutschland in Sachen KI/ML den Anschluss verliere, in einem ganz anderen Licht erscheinen. So überboten sich auch im Rahmen der HMI Verbände wie der VDI etc. mit Warnungen, "dass Deutschland den Anschluss im globalen KI-Wettbewerb verliert", wie etwa VDI-Präsident Volker Kefer beklagte. "Es wäre fahrlässig, bei der KI weiter an Boden zu verlieren", appellierte Kefer an die Politik, "daher fordert der VDI, ausreichende Fördermittel speziell in den Bereich industrielle Anwendungen von KI-Technologien sowie in die Stärkung von generellem KI-Know-how zu investieren."
Sicher, angesichts der globalen Konkurrenz gibt es für die deutschen Unternehmen keinen Grund, sich auf ihren Erfolgen auszuruhen. Auch die erneut von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier auf dem Leaders Dialogue in Aussicht gestellten drei Milliarden Euro zur KI-Förderung sind im Vergleich zu den USA oder China noch nicht einmal der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Zumal es sich hierbei um eine Mogelpackung handelt, denn 2,5 Milliarden werden lediglich umverteilt, werden also an anderer Stelle fehlen. Mit Blick auf die USA forderte Altmeier allerdings auch, dass nicht nur der Staat Geld für KI bereitstellen müsse, sondern auch die Konzerne in der Pflicht stünden zu investieren, wie es etwa Google, Amazon und andere täten.
Letztlich, so mahnte der CDU-Politiker, hänge unser Lebensstandard davon ab, ob es uns gelingt, die Arbeitsplätze der Zukunft nach Deutschland zu holen. Es könne nicht angehen, so der Minister weiter, dass Deutschland zwar ein führendes Land in der KI-Forschung sei, aber die eigentliche Wertschöpfung dann, wie etwa beim intelligenten, elektrischen Auto, zu 60 bis 65 Prozent außerhalb Deutschlands stattfindet. Noch liegt sie im Automobilbereich zu 80 bis 90 Prozent in Deutschland.
Wo die Wertschöpfung stattfindet ist auch eine Frage des Know-how. Was ist wichtiger: das Domänen-Know-how des Shopfloors oder das Wissen der IT? Um diese Frage entwickelt sich ein neuer Streit - vergleichbar mit dem, den wir damals bei Industrie 4.0 und IoT erlebten. Nur, dass es diesmal vielleicht keinen Sieger geben kann, denn erfolgreiche KI/ML-Projekte stellen sowohl hohe Anforderungen an das Prozesswissen in der Produktion als auch an das IT-Wissen, um eine Echtzeitverarbeitung der Daten sicherzustellen. "Wir verschmelzen klassische Fabrikautomation mit Informationstechnologie und ermöglichen Interoperabilität durch offene Standards (OPC UA, TSN, 5G). Soft- und Hardware werden entkoppelt und somit die Flexibilität und Ökonomie für den Kunden optimiert", skizzierte Heiner Lang, Leiter des Geschäftsbereichs Automation and Electrification Solutions der Bosch Rexroth AG die derzeitige Situation.
Ingenieur versus ITler?
Die Frage, wer bei diesem Thema führen darf, beantwortete Christoph Schmitz, Senior Partner und Leiter der globalen Manufacturing Practice bei McKinsey, ganz anders. Für ihn sind es weder der "Ingenieur mit seinem Zoo an Gadgets, noch der ITler, der alles in die Cloud bringt". Schmitz zufolge gehört die Entscheidung in die Hand der Business Leader, die kritisch hinterfragen, was die Investitionen unter dem Strich bringen.
Doch nicht nur die Frage, wer über die Investitionen in KI/ML entscheidet, ist offen, sondern auch, wo die entsprechenden Daten verarbeitet werden sollen -alles in die Cloud, oder doch lieber auf eine ortsnahe Verarbeitung im Edge setzen? Naturgemäß sprechen sich Cloud-Anbieter wie AWS eher für eine Verarbeitung in der Cloud aus. So biete die Cloud mehr Rechen-Power für die KI-Algorithmen. Zudem könnten dort aufgrund des günstigen Speicherpreises mehr Daten, wenn nicht sogar alle Daten abgelegt werden. Schließlich wisse der Anwender nicht, welche Algorithmen er in Zukunft einsetze. Vielleicht würden ja in ein paar Jahren Lösungen entwickelt, die aus bereits vorhandenen Daten - die heute nutzlos erscheinen - ganz neue Erkenntnisse gewinnen.