Agilität ersetzt veraltete Managementkonzepte

Strategische Digitalisierung statt Digitalstrategie

02.02.2017
Von   
Oliver Laitenberger leitet bei der Managementberatung Horn & Company das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Technologie.

Veränderte Spielregeln im digitalen Zeitalter

Um sich den veränderten Spielregeln zu stellen, versuchen vielen Unternehmen ihr Heil in einer alles umfassenden Digitalstrategie. Diese ist so überwältigend, dass deren Erstellung erstens mehrere Monate dauert, zweitens viele Ressourcen verbraucht und damit viel Budget kostet und drittens am Ende durch die Verantwortlichen nicht entschieden werden kann, weil die Budgets für die Umsetzung jeglichen bekannten Rahmen sprengen. Die bekannten Managementansätze taugen also nur bedingt, um den Herausforderungen der digitalen Transformation gerecht zu werden.

Handeln ist der Schlüssel zur digitalen Transformation

Die Herausforderungen der Digitalisierung sind mittlerweile in vielen Branchen bekannt.Es bedarf deshalb nicht weiterer Strategiepapiere und mehrjähriger Planungen. Die Umsetzung tritt mehr und mehr in den Vordergrund. An die Stelle einer lang andauernden Planung treten das schnelle Verproben von Ideen und das tatsächliche Handeln.

Insbesondere im Agieren, in der Orchestrierung von Geschäftsagilität, Kundenorientierung und Technologie liegt der Schlüssel zur digitalen Transformation. Dies gelingt, indem mit kleinen Schritten der beste Weg im Labyrinth der digitalen Zukunft gefunden wird. Dies mag allerdings nicht immer der geradlinige sein, er stellt aber sicher, dass ein Ziel - nämlich die Nachhaltigkeit des Unternehmens als solches - erreicht wird.

Veränderung wird in kleinen Schritten, mit überschaubaren Investitionen und hoher Geschwindigkeit vorgenommen. Im Sinne eines "Fail fast - Fail often" werden dadurch schnelle Richtungskorrekturen möglich. In Summe fällt das Unternehmen damit nicht der Disruption und der Dematerialisierung zum Opfer. Dies Vorgehensweise lässt sich als "strategische Digitalisierung" bezeichnent.

Digitalstrategie

Strategische Digitalisierung

Signifikante, hohe Investitionen

Kleine, überschaubare Investitionen als Startpunkt

Mehrjährige Entwicklungen

Erste Ergebnisse nach Wochen beziehungsweise wenigen Monaten in Form eines "Minimum Viable Products"

Projektfokus mit "Output"-Orientierung

Produktfokus mit "Outcome"-Orientierung

Nutzenversprechen & Business-Case

Demonstrierbarer Wert

Organisationseinheiten

Kleine, cross-funktionale Teams

Management-Kultur (Präsentation)

Leadership-Kultur (Partizipation & Umsetzung)

Extrinsische Motivation

Intrinsische Motivation

Kundenanalytik

Real-World-Kundenbeteiligung

Unterschied zwischen Digitalstrategie und strategischer Digitalisierung

Dies klingt in Summe nach einer Mischung aus Lean-Startup, Agilität und Innovation. Das ist es zum Teil auch. Wenn Sie glauben, dass der Hauptvorteil darin liegt, in kleinen Schritten ein Ergebnis zu produzieren, dann ist das nur zum Teil richtig. Der größte Vorteil einer solchen Vorgehensweise für Unternehmen liegt im Unternehmen selbst: Durch das schnelle Handeln in kleinen, überschaubaren Schritten bauen Unternehmen einen wichtigen Erfolgsfaktor auf: Agilität.

Allein die bisherige Darstellung kann für viele ziemlich erschreckend - oder sogar buchstäblich unmöglich - erscheinen. Aber es gibt auch gute Nachrichten: Es sind kleine Elemente, welche die Barrieren für eine derart große Veränderung drastisch senken und den Wert für Unternehmen und Kunden steigern. Ein agiles Veränderungsmanagement ist gefragt. Dazu muss ein Unternehmen folgende Schritte durchführen:

1. Liquide, "crossfunktionale" Teams statt historisch gewachsener Struktur-Silos

Auf den Punkt gebracht: Unternehmen müssen historisch gewachsene Struktur-Silos durch autonome Netzwerkstrukturen ersetzen. Tayloristische Organisationmodelle haben dazu geführt, dass sich End-to-End-Wertschöpfungsketten zergliedert haben. Die Definition von Eingangs- und Ausgangskriteren an den Grenzen ließen Barrieren entstehen, die im Laufe der Zeit kontinuierlich gewachsen sind. Am Ende sichert jeder nur sein eigenes Terrain ab - was zu hohen Reibungsverlusten und langen Latenzzeiten führt.

Dies lässt sich insbesondere auch an der Schnittstelle zwischen Geschäft und Informationstechnologie beobachten. Das lang gepriesene Alignment zeigt sich in vielen Unternehmen mehr als Mythos, denn als Realität. Am Ende findet sich immer eine fehlende IT-Funktionalität, die dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass der Business-Case nicht erfüllt wird oder sich das Produkt doch nicht so häufig verkauft.

Interessanterweise hat sich die Situation mit der Einführung von agilen Entwicklungsmodellen nicht grundlegend verbessert. Das Konzept des "Product-Owners" scheitert oftan der Grenze und wird durch Proxy-Konstrukte ersetzt. Der "Product-Owner" kommt wieder aus dem Fachbereich und "vertritt" das Business. Warum wird nicht offen und ehrlich gesagt, dass das Geschäft die hunderprozentige Leistungserbringung durch die IT voraussetzt?

Doch mehr noch: Eine Trennung in Business und IT wird generell durch eine produktorientierte Ausrichtung überflüssig. Es bedarf eines cross-funktionalen Teams, das in der verantwortungslosen Welt heutiger Organisationsstrukturen endlich Verantwortung für ein Produkt jenseits von nervigen Verzögerungen, Missverständnissen, Redundanzen, Zuständigkeitsgerangel und ähnlichem entwickelt. Ein cross-funktionales Team ist eines mit verschiedenen Spezialisierungen, das gemeinsam auf ein gemeinsames Ergebnis hinarbeiten.

Interessanterweise bedürfen der Umbau und die Umsetzung von mehr Autonomie in cross-funktionalen Teams mehr von dem, was starre Strukturen ohnehin schon haben: klare Regelungen. Cross-funktionale Teams geben sich selbst ein starkes Reglement in Bezug auf die Abläufe. Das klingt auf den ersten Blick widersprüchlich: Ist die Forderung nach mehr Regelung nicht eine Fortsetzung von Hierarchie mit anderen Mitteln? Nein, denn die Regelwerke sind selbstorganisiert entworfen und nicht aufoktroyiert. Und dies lässt sich auch in agilen Projekten der Informationstechnologie beobachten: Agile Projekte unterliegen am Ende des Tages einem rigideren Regelwerk als es klassische je formulieren können. Erst diese Einsicht ebnet den Weg zum Erfolg.