Der Zeithorizont, in dem Ereignisse geplant, prognostiziert und erwartet werden können, ist von vormals Jahren auf Monate geschrumpft - und das bei steigender Komplexität. In den Zeiten der Digitalisierung ist die herkömmliche Vorgehensweise "erst planen, dann handeln" oft nicht mehr möglich.
Mehr denn je ist heute deshalb pro-aktives, agiles Handeln anstelle einer Planwirtschaft am Reißbrett erforderlich. Agilität im Geschäft, in der Kundenorientierung und im Technologieeinsatz haben sich branchenübergreifend zu wesentlichen Erfolgsbausteinen für Unternehmen entwickelt. Die fortschreitende Digitalisierung wird diesen Prozess noch beschleunigen.
Vor einem Jahrzehnt waren die meisten Führungskräfte weniger besorgt über diese Entwicklungen. Insbesondere der technologische Fortschritt wurde getrennt vom Kerngeschäft betrachtet und auch so gesteuert. "Digital" war lediglich ein Kanal, ein "Marketing-Ding", und oft etwas, das im Keller von IT-Nerds verantwortet und über Kosten gesteuert wurde.
Diese Entwicklung hatte seinen Höhepunkt in der These von Nicolas Carr, der die Frage "Does IT Matter" klar mit "Nein" beantwortete. Informationstechnologie war zu dieser Zeit kein wettbewerbsdifferenzierender Faktor und wurde lediglich als notwendiges Übel oder Commodity wahrgenommen. Sie musste wie Strom aus der Steckdose möglichst günstig zur Verfügung stehen und so wurden die Technologieeinheiten in Unternehmen auch behandelt. Es gab kaum einen IT-Verantwortlichen, der seine Kosten nicht an wie auch immer gearteten Benchmarks messen musste. Effizienzsteigerungen auf der Geschäftsseite nach dem Motto "20 Prozent gehen immer" wurden unmittelbar in eine Senkung der IT-Kosten um 20 Prozent übersetzt. Die zunehmende Agilisierung im IT-Umfeld wurde durch die Geschäftsseite müde belächelt, wenn sie überhaupt wahrgenommen wurde.
Diese Situation hat sich grundlegend gewandelt. Heute wissen wir, dass Digitalisierung in vielen Unternehmen ein allumfassender Teil des Geschäftsmodells ist. Die Kunden – sprich die Märkte mit ihren technologischen Möglichkeiten – treiben die Unternehmen vor allem in die "Agilität" (lateinisch agilis: flink; beweglich). Sie fordern die Fähigkeit von Unternehmen, auf die Umweltveränderungen schnell und adäquat zu reagieren.
- "Aligning the Organization for Its Digital Future"
Eine Firma, die technologisch nicht mit der Zeit geht, treibt ihre Mitarbeiter aus dem Haus. So lässt sich die Studie „Aligning the Organization for Its Digital Future” zusammenfassen, die der Berater Deloitte gemeinsam mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) durchgeführt hat. An der Studie haben weltweit rund 3.700 Befragte teilgenommen. - Digital-Strategie
Mehr als jeder Zweite attestiert seinem Unternehmen, eine klare und kohärente Digital-Strategie entwickelt zu haben. - Verantwortung
Die Verantwortung für die digitale Strategie ist in jedem dritten Unternehmen auf Vorstandsebene verankert. - Barrieren
Nur acht Prozent der Studienteilnehmer erklären, fehlende technologische Skills verhinderten, dass ihr Unternehmen von digitalen Trends profitiert. Hauptschwierigkeit ist die Konkurrenz unterschiedlicher Ziele. - Skills
Mehr als vier von zehn Befragten trauen der Belegschaft zu, die Digitalisierungs-Strategie ihrer Firma auch umzusetzen. - Disruption
Ebenfalls mehr als vier von zehn Befragten erklären, ihr Unternehmen bereite sich angemessen auf Disruptionen vor.
"Digital" ist kein Kanal mehr, es ist auch nichts, mit dem sich irgendwelche Digital Junkies im Keller beschäftigten. Machen wir uns nichts vor: Das Beispiel Kodak zeigt, dass die digitale Transformation die meisten, wenn nicht gar alle Geschäftsmodelle in den Grundfesten erschüttern und verändern wird. "Digital" hat sich zu einer Säule der Unternehmensstrategie entwickelt. Es ist ein Multiplikator und Verstärker der Geschäftsbemühungen und etwas, das sich über die traditionellen organisatorischen Silos zwischen Geschäft und Technologie sowie Märkte und Kunden erstreckt.
Bedingt durch den Veränderungsdruck der Märkte muss sich deshalb das interne Wirksystem in Unternehmen ganzheitlich neugestalten – von der Strategie über Strukturen und Prozesse bis hin schließlich zu den (IT-) Systemen. In dieser Kette folgt Technologie der Agilisierung im Geschäft und befeuert diese. Kein Wunder also, dass die Verantwortung für die Digitalisierung deshalb auch in verstärktem Maße von den Technologieeinheiten zu den GuV-Verantwortlichen, sprich: bis in die höchsten Unternehmensspitzen wandert.
Digitalisierung erfordert neue Managementkonzepte und Spielregeln
Nicht nur die Autobauer realisieren, dass die Neuentwicklung eines Fahrzeugs nicht mehr Jahre dauern darf. Alle Branchen spüren, dass im Wettbewerb der Faktor Zeit den Faktor Kosten längst an Bedeutung überholt hat. Wie sonst wäre der Erfolg von Firmen wie Apple oder Google zu erklären? Diese Veränderungen haben einen maßgeblichen Einfluss auf Geschäftsmodelle und -systeme und deren Spielregeln:
Spielregeln bisher | Spielregeln heute |
Es gibt einen definierbaren Endzustand oder Zielzustand für das Management. | Es gibt keinen definierbaren Endzustand. Die Einigung auf eine Richtung ist das Beste, was Unternehmensverantwortliche tun können, um beweglich zu sein beziehungsweise beweglich zu werden. Meist müssen diese mehrgleisig fahren, nach dem Motto "Das eine tun, ohne das andere zu lassen." |
Mehrjährige Entwicklungen sind akzeptabel. | Es darf heute nicht mehr Jahre dauern, bis Ergebnisse sichtbar werden. Erste Resultate müssen nach Wochen beziehungsweise wenigen Monaten in Form eines "Minimum Viable Products" vorliegen, welches mit Kunden verprobt werden kann. |
Ein detaillierter Plan kontrolliert Risiken. | Ein detaillierter Plan liefert nur ein falsches Gefühl der Kontrolle. Er begrenzt die Fähigkeit der Unternehmen, die gesteckten Ziele zu erreichen. Nur konkrete Arbeitsergebnisse (zum Beispiel Prototypen zum Zwecke des Feedbacks et cetera) helfen Risiken zu steuern. |
Benchmarks bringen Klarheit und unterstützen Entscheidungen. | Benchmarks führen zu einem Investitionsstau und bauen "Schulden" für die Zukunft auf. Im schlimmsten Fall verzögern Unternehmen seit langem notwendige Investitionen, nur um Benchmarks zu erfüllen. |
Ein "überzeugender" Business-Case sorgt für ein Commitment des Top-Managements. | Es gibt keine zuverlässigen, langfristigen Indikatoren, um die Finanzmodelle eines Business-Case zu stützen und Prognosen zu verteidigen. |
Herkömmliche Entscheidungsprozesse behalten im digitalen Zeitalter ihre Gültigkeit. | Herkömmliche Entscheidungsprozesse haben ihre Gültigkeit verloren, auch wenn Unternehmensverantwortliche immer noch nach Antworten suchen, die aufgrund der hohen Veränderungsgeschwindigkeit, des asymmetrischen Wachstums in veränderten Märkten und den digitalen Auswirkungen nicht mehr existieren. |