Der CIO stelle sich seine Firma einmal als Auto vor, bitten die Analysten der Boston Consulting Group (BCG): Hat dieses Gefährt einen engen Kurvenradius - oder benötigt es zum Wenden viel Platz und Zeit? Diese Analogie illustriert eine für die digitale Transformation aus Sicht der Berater wichtige Messgröße: die Veränderbarkeit der geschäftskritischen Applikationen. Diese Metrik zeigt an, wie einfach eine Anwendung so konfiguriert, modifiziert oder verbessert werden kann, dass sie die Digitalisierung des Geschäfts unterstützt.
Die Messgröße "Changeability" ist so wichtig, weil sie für den Bereich der unerlässlichen Applikationen schlichtweg festlegt, in welchem Tempo die gewünschte Transformation überhaupt erfolgen kann. Und weil sie ebenfalls anzeigt, von welchen Lösungen man sich zum Zwecke der Vereinfachung besser trennen sollte. Allzu unbewegliche Fahrzeuge rangiert man besser aus, wenn man flexibel und agil sein will.
CIO ist geeigneter Steuermann
"In einer perfekten Welt gehen IT-Vereinfachung und digitale Transformation Hand in Hand", schreiben die BCG-Analysten um den in München ansässigen Senior Partner Michael Grebe auf der hauseigenen Plattform BCG Perspectives. Dazu muss man wissen, dass die Berater den Ansatz der IT-Vereinfachung im Allgemeinen propagieren - und im Speziellen nun eben auch als Instrument zur Bewältigung der digitalen Herausforderung. "Die Vereinfachung der IT ist eine wesentliche Aufgabe für jede IT-Abteilung, die wettbewerbsfähig bleiben will", formulieren die Autoren. "Sie ist aber auch eine entscheidende Grundlage für die digitale Transformation."
- Zusammen Fehler suchen, nicht den Schuldigen
Jede Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied, jede Datenverarbeitung nur so schnell wie der schmalste Engpass. Doch in einem virtualisierten oder Software-definierten Rechenzentrum diesen Schwachpunkt zu finden, ist sehr schwer. Nur wenige Tools bieten durchgängige Transparenz in einem System – von der Perspektive der Endbenutzer bis zu den Back-end-Systemen, die den Dienst bereitstellen. Überwacht man aber nur isolierte Silos, erkennt man immer nur die Symptome der Probleme am Rande beziehungsweise an der Grenze der Infrastruktur. Die Fehler lassen sich kaum zuordnen.<br /><br />Daher läuft es oftmals darauf hinaus, dass sich verschiedene Zuständigkeitsbereiche gegenseitig die Schuld an einem Fehler zuweisen, zum Beispiel Server- und Netzwerk-Admins. Ein Tool, das wirklich alles überwacht, von der Endanwender-Perspektive bis hin zu den Spindeln einer Festplatte, liegt noch in weiter Ferne. So lange müssen IT-Teams es organisatorisch schaffen, an einem Strang zu ziehen und miteinander, nicht gegeneinander, an der Problemlösung zu arbeiten. - Richtig planen, nicht nur kaufen
Ein Netzwerk ist ein System aus vielen Komponenten. In einem guten Netzwerk spielen diese gut zusammen, in einem schlechten bremsen die einen Komponenten die anderen aus. Virtual Mobility beispielsweise, also das Verschieben einer aktiven virtuellen Maschine von einem Datastore auf einen anderen, hat viele Vorteile, kann aber Bandbreite kosten. Genauso ist zu befürchten, dass Speichersysteme ins Hintertreffen geraten, wenn sowohl Rechenprozesse als auch Netzwerke stärker Software-definiert und flexibler werden.<br /><br />Technologien für die geografische Verschiebung von Workloads wie Metro vMotion und Storage vMotion reifen zunehmend und werden von immer mehr Unternehmen eingeführt. Doch der schnelle Workload-Transfer kann neue Probleme für das gesamte Unternehmensnetzwerk mit sich bringen. Das zeigt: Es ist nicht mit der Anschaffung großartiger neuer Technik getan. Vielmehr erfordert das moderne Rechenzentrum Menschen, die genau planen können und zielgerichtet in Technologien investieren. Nur so können sie sicherstellen, dass Systeme der Mobilität gerecht werden, die durch Server-Virtualisierung und Software-definiertes Networking möglich wird. - Dazulernen, nicht nur abarbeiten
Es scheint, als müssten IT-Experten zunächst einmal Virtualisierung in all ihren Ausprägungen und Formen durchdringen, um dann ihre eigene spezielle Bedeutung innerhalb der IT zu verstehen. Dazu sollten Unternehmen Schulungen anbieten, die über das Aufgabengebiet des einzelnen Administrators hinausgehen. So können Unternehmen eine hohe Sicherheit und Stabilität im gesamten Netzwerk fördern. Solche Schulungen werden aber bisher selten angeboten. Das IT-Team ist in aller Regel mit zu vielen Dingen auf einmal beschäftigt und muss eine zu große Anzahl von Aufgaben zur bloßen Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs bewältigen. Somit fehlt die Zeit, um an Schulungen zum Erwerb von Fähigkeiten, die über die individuelle Kernaufgabe hinausgehen, teilnehmen zu können. - Services hochverfügbar machen, nicht Menschen
99,999 Prozent - die fünf Neunen der Verfügbarkeit entsprechen einer Ausfallzeit von nur 5,26 Minuten pro Jahr. Nur sehr wenige Mitarbeiter im Büro wissen, was hinter der Buchse in der Wand alles passiert, um sicherzustellen, dass sie rund um die Uhr auf Facebook oder Pinterest posten können. Sie haben sich daran gewöhnt, dass das Netzwerk wie elektrischer Strom stets verfügbar ist. Die IT-Mitarbeiter tragen die Hauptlast dieser Herausforderung. Sie sorgen für diese hohe „Uptime“. Das Tragische: Manche scheuen sich schon vor ihrer eigenen „Downtime“.<br /><br />Aber IT-Experten müssen nachts, am Wochenende und in Urlaubszeit auch einmal abschalten dürfen. Nicht die technische Seite der Upgrades von Programmen, die manchmal zu Wochenendeinsätzen führen, ist das Problem. Die wirklichen Probleme tauchen erst auf, wenn Benutzer anfangen, mit diesen aktualisierten Programmen zu arbeiten. Dann kommen die Support-Anrufe. Dies wird sich niemals ändern lassen - und dennoch ist es die wichtigste Aufgabe von IT-Managern, ihre Mitarbeiter zu schützen. Sie müssen sie dabei unterstützen, Beruf und Privatleben zu vereinbaren, um Burn-out zu vermeiden. - Flexibilität vorantreiben, nicht übertreiben
Die meisten Fehler in der Unternehmens-IT haben eine einfache Ursache: eine Änderung. Daher überwachen die Teams, die für die Applikationen zuständig sind, ihre geschäftskritischen Anwendungen mit Argusaugen. Jegliche Veränderung muss genauestens geprüft und vorab getestet werden. Aber zu den schönen Seiten von Virtualisierung und Automatisierung gehört gerade, dass sich mit ihnen schnell und unkompliziert neue Systeme erstellen lassen. Genauso leicht können Änderungen an bestehenden Systemen oder sogar an ganzen Clustern von Systemen und Anwendungs-Stacks vorgenommen werden. Wie passt das zusammen? Gar nicht. Hier prallen Kulturen aufeinander. Die zuständigen Teams müssen Wege finden, die Leistungsfähigkeit und Flexibilität der Virtualisierung zu nutzen, ohne Instabilität in kritischen virtualisierten Anwendungen zu riskieren – eine große Herausforderung. - Koordinieren, nicht nur virtualisieren
Netzwerk, Speichersysteme, Anwendungen und Rechenprozesse – diese vielfältigen Aufgabenbereiche treffen sich mittlerweile auf der Virtualisierungsschicht. Server-Virtualisierung ist die mit Abstand ausgereifteste Komponente eines Software-definierten Rechenzentrums. Die nächste Herausforderung wird darin bestehen, über die Grenzen der Rechenprozesse hinauszublicken. Es gilt herauszufinden, wie sich Änderungen und Tätigkeiten mit anderen Technologiebereichen am besten koordinieren lassen. Das Tempo der Veränderungen in dieser miteinander verbundenen Technologie nimmt ständig zu. Daher werden diejenigen IT-Experten, welche die Virtualisierungsschicht managen, zunehmend als die koordinierende Stelle fungieren, um andere Teams auf Kurs zu halten. Sie haben keine Wahl. - Das Wichtige in einer Konsole vereinen, nicht alles und jedes
Es ist der Traum jedes Admins: eine Oberfläche, von der sich alles steuern lässt. Diese Idee existiert seit vielen Jahren und wurde bis zum Überdruss vermarktet und verkauft. Dennoch: Sie ist eine Chimäre. Niemand besitzt eine solche Konsole. Und solange Start-ups ständig Neuerungen hervorbringen, die unser Leben einfacher machen, werden wir bis in alle Ewigkeit umsonst darauf warten. Zwar kann jeder IT-Verantwortliche eine Konsole finden und konfigurieren, mit der er schon einmal den größten Teil der Aufgaben von einer Benutzeroberfläche aus abdecken kann, aber IT-Profis müssen sich damit abfinden: Wer sehr spezielle oder neue Technologie oder Hardware nutzt, wird immer auch spezielle Tools für bestimmte Tätigkeiten im Laufe des Arbeitstags benötigen.
Grebe führt - mit unterschiedlichen Mitautoren - diesen Zusammenhang gleich in zwei aktuellen Artikeln aus. Der Text "Simplifying IT to Accelerate Digital Transformation" erklärt den Ansatz auf einer grundsätzlichen Ebene. Im Artikel "Will Your Software Help or Hinder Digital Transformation?" setzt sich BCG demgegenüber mit der Bedeutung von Messungen in diesem Prozess auseinander und empfiehlt Dashboards als geeignetes Tool zur unabdingbaren fortlaufenden Erfolgskontrolle. Aber auch in diesem Text gibt es grundlegende Hinweise. Zum Beispiel den, dass viele Redundanzen in einzelnen Abteilungen gar nicht auffallen können. Unterstützung auf höchster Ebene sei deshalb unbedingt erforderlich - und der CIO ein geeigneter Steuermann.
Zwei Arten von Vereinfachungsprojekten
Die methodische IT-Simplifizierung erhöht nach den Erfahrungen der Berater Agilität, Flexibilität und Effizienz - drei Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche digitale Häutung. Überdies seien Projekte mit diesem Fokus mit hohen Einsparungen verbunden. BCG unterscheidet zwei Arten von Vereinfachungsprojekten: Zum einen ganzheitliche Programme mit dem Potenzial, die gesamte IT-Kostenbasis um bis zu 30 Prozent zu kürzen - die Anwender müssen sich hierbei aber auf eine mehrjährige Transformationsphase einstellen; zum anderen Projekte mit dem Augenmerk auf einem speziellen Problem oder nur wenigen davon.
Auch diese eng angelegten Vereinfachungsprojekte können laut BCG 15 bis 20 Prozent an budgetären Einsparungen bringen. Oder anders ausgedrückt: Firmen können dadurch teilweise 40 bis 70 Prozent ihrer Anwendungen loswerden. Eine vereinfachte Anwendungslandschaft mache es leichter, neue digitale Dienste zu vernetzen oder End-to-end-Prozessautomatisierung zu implementieren, so BCG.