Interview mit Ulrich Kampffmeyer

Sharepoint fordert den ECM-Markt heraus

13.12.2012
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Office 365 kann schon der Overkill sein

Es scheint aber, als könnten Cloud-Produkte trotzdem Erfolg haben.

Kampffmeyer: ja, denn ihr Einsatz ist preiswert und sie können vielfach sowohl von mobilen Devices über Apps als auch über Web-Clients und Browser genutzt werden. Die Möglichkeit, Informationen über alle Plattformen hinweg zu synchronisieren ist ein großer Vorteil. Trotzdem ist die professionelle Nutzung in größeren Unternehmen derzeit noch eingeschränkt, da zu viele Sicherheits- und Vertragsaspekte ungeklärt sind. Bisher fielen entsprechende Projekte aber eher in die Kategorie Outsourcing. Dagegen ist die öffentliche Cloud bei kleinen Unternehmen, Selbständigen und Privatleuten schon weit verbreitet. Neue Angebote von Anbietern wie Strato aber auch international von Amazon mit Glacier setzen auf den Trend. Nur braucht diese Klientel selten die volle ECM-Funktionalität. Selbst Sharepoint wie zum Beispiel in Office365 kann hier schon Overkill sein.

Sie haben den Mobile-Trend angesprochen: Ändert die App-Kultur das Anwenderverhalten? Falls ja: Mit welchen Auswirkungen für die ECM-Welt?

Kampffmeyer: Auf jeden Fall. Apps sind ja im Prinzip kleine Fat Clients. Sie lassen traditionelle Benutzungs- und auch Browser-Oberflächen altmodisch erscheinen und sind auf die technischen Möglichkeiten von mobilen Geräten optimiert. War die Unternehmens-IT bisher bemüht, alle Funktionen und Programme unter einer Benutzeroberfläche zu integrieren, gewöhnen wir uns jetzt wieder daran, spezialisierte monolithische Anwendungen zu nutzen. Diese Programme sind meist intuitiv nutzbar, was man über die meisten Softwareanwendungen im Unternehmen nicht sagen kann.

Trends wie Bring your own Device, neue Nutzungsmodelle und das Speichern von Inhalten in der Cloud tragen ein Übriges dazu bei, dass sich die Erwartungen der Anwender an Software grundsätzlich verändern. Auf ECM hat dieser Trend massiv Einfluss, da die Vielzahl an Funktionen und die sperrigen Objekte, sprich: Dokumente, stets eine besondere Herausforderung bedeutet haben. Elektronische Akten und das Blättern in 100-seitigen-PDFs sind halt nicht die typischen, akzeptierten Anwendungen auf einem Mobiltelefon, schon eher auf einem Tablett und vielleicht am Besten auf den alle Funktionen kumulierenden Ultra-eBook-Web-Tablet-Video-Fones der Zukunft.

Ein weiterer Trend, der viele Unternehmen erfasst hat, ist das Social Business. Inwieweit verändert es die Anforderungen an klassisches ECM?

Kampffmeyer: Social gibt es in verschiedensten Ausprägungen und häufig geht es nur um die Umsetzung von Web 2.0- und Social-Ansätzen im Unternehmen als Enterprise 2.0. Social Business führt diese Ansätze weiter und kann fast als legitimer Nachfolger von ECM betrachtet werden. Zumindest sind ECM-Technologien in hohem Maße notwendig, um den Anspruch von Social Business mit Interaktion und Kommunikation innerhalb des Unternehmens, mit Partnern, Lieferanten, Kunden und der Öffentlichkeit zu ermöglichen. Hierzu werden Social-Media, Web 2.0, Mobile, Cloud und Enterprise Content Management kombiniert.

Allerdings geht es dabei nicht nur um Technik, sondern für Social Business muss ein neues unternehmenskulturelles Umfeld geschaffen werden. Die Nutzung von #SocBiz, dem Hashtag für Social Business auf Twitter, muss durch Policies, Schulungen und vertrauensbildende Maßnahmen begleitet werden. Schließlich kann im Social-Zeitalter nicht mehr alles technisch abgesichert, kontrolliert oder gemanagt werden. Unternehmenskultur und Verantwortungsbewusstsein sind zu vermitteln, um die Medien überhaupt sinnvoll und gewinnbringend einsetzen zu können.

Der hoch dynamischen und eher chaotischen Entwicklung rund um Web-Technologien steht die wachsende Anforderung an Unternehmen gegenüber, auf veränderte Gesetzvorgaben reagieren zu müssen. Ist das nicht ein unlösbarer Widerspruch?

Kampffmeyer: ECM bietet mit Archivierung, Records Management und anderen Komponenten die notwendige Infrastruktur, um alle heutigen und zukünftigen Governance- und Compliance-Anforderungen zu befriedigen. Gerade Web und neue Medien stellen Herausforderungen für das kontrollierte und gesteuerte Informationsmanagement dar. Vielfach wird Compliance mit der Erfüllung rechtlicher Anforderungen als einer der Gründe gesehen, warum ECM überhaupt notwendig bleibt. Nationale Vorschriften spielen dabei natürlich den deutschen ECM-Anbietern in die Hände, denn die Vielfalt an internationalen, regionalen, nationalen und branchenspezifischen Vorgaben lässt sich kaum in einem Standardprodukt abbilden.

Für Deutschland zu nennen wären ECM-Lösungen für die steuerrechtlichen Vorschriften wie die GDPdU, die qualifizierte elektronische Signatur (mit Nachsignieren), zur De-Mail-Integration, für die elektronische Gesundsheitskarte und E-Health, für die EID und den neuen Personalausweis etc. Allerdings handelt es sich dabei dann auch vielfach um Sonderlocken die nur in Deutschland Bedeutung und vielleicht Markt haben.

Compliance ist demnach eine Chance für die ECM-Anbieter?

Kampffmeyer: Das ist richtig. Es handelt sich um die strategischen Themen Ordnung schaffen, Nachweisfähig sein, Kontrolle und Steuerung behalten, Risiken minimieren, Informationen effizient erschließen, Wissen bewahren. Compliance-orientierte Softwarelösungen, bei denen es um Dokumentation, Nachvollziehbarkeit, Archivierung und ähnliche Aufgaben geht, werden dauerhaft gebraucht. Die Erfüllung rechtlicher Vorgaben war und ist eine der wichtigsten Triebkräfte für den Einsatz von ECM-Technologien - man kann fast schon sagen, die Haupttriebfeder. Zumal man hier offenbar nicht nach der Wirtschaftlichkeit fragen muss, wenn etwas gesetzlich gefordert ist. Dass dies so bleibt, darauf können sich die Anbieter aber nicht verlassen.

Archivierung und Records Management sind durch neue Konzepte in Frage gestellt worden. Records Management mit aufwendigen Metadaten steht im Wettbewerb zu Enterprise Search, wo die Idee ist, alle Informationen - angeblich ohne Aufwand - auf Knopfdruck zu finden. Archivierung mit speziellen Systemen wird in Frage gestellt durch Speichersubsysteme, die einfach unter die führenden Anwendungen montiert werden. ECM hat alle notwendige Funktionalität um Compliance allumfassend abzudecken, aber es gelingt offenbar nicht sich hier richtig zu positionieren.

Und was kommt nach ECM?

Kampffmeyer: Begrifflich vielleicht Social Business, vielleicht EIM Enterprise Information Management, vielleicht auch wieder Knowledge Management. Ungeachtet der Begriffe geht es aber vorrangig um die Bedeutung und den Stellenwert der ECM zu Grunde liegenden Vision - alle Information unabhängig von Erzeuger, Ort, Zeit, Format und Device strukturiert, aktuell, vollständig, authentisch, nutzbar und im Kontext verfügbar zu machen - diese Vision besteht weiterhin. Wir erleben den Wandel von einer ehemaligen Welt der Papierorganisation und der Bücher hin zu einer global vernetzten, virtuellen, elektronischen Welt. In diesem Wandel steckt unsere Generation mittendrin, sozusagen in der hybriden Übergangsära, in der alle Formen der Medien vorhanden und in Benutzung sind. Medienbruchfreie Kommunikation, Bewahrung elektronischen Wissens, freier Zugang zu Information, keine Manipulation von Benutzern und Daten, demographischer Wandel und viele andere aktuelle Themen der Kommunikation und der Informationsnutzung erfordern eine effiziente Verwaltungskomponente - und die verbirgt sich nun einmal heute noch hinter dem Akronym ECM.