Selbständige verzichten auf Lebensqualität
Für die Deutsche Rentenversicherung ist das Scheinselbständigkeit. Für mich ist das der Einkauf einer Ressource, die für einen definierten Zeitraum bestimmte Aufgaben wahrnimmt. Eine Ressource ohne Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Sozialversicherung, Kündigungsschutz, Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; kein Weihnachtsgeld, keine Betriebskantine, keinen Anspruch auf die betriebliche KITA, keine Einkaufsvergünstigungen, kein Betriebsrat, keine Arbeitszeitenreglungen. Darauf verzichten wir Selbständigen und zwar ganz bewusst und gewollt. Und damit sind wir den Gewerkschaften und auch einem großen Teil der Festangestellten ein Dorn im Auge, da wir deren Errungenschaften untergraben.
Was hat das mit dem Ausgangsthema Honorar zu tun? Das möchte ich an der Berufsgruppe der selbständigen Trainer deutlich machen. Ein Trainer hat ein bestimmtes Themengebiet, das er besetzt und für das er seine Leistungen in Form von Weiterbildungsprodukten anbietet. Er hat ein eigenes Vorgehen entwickelt, um seine Inhalte zu vermitteln. Er hat Unterlagen entwickelt und bietet seine Dienstleistung vielleicht auch in Kombination mit anderen Produkten wie Analyse-Tools an. Für das Training sind Inhalte und Ziele definiert. Der Kunde kauft das Training zu dem vereinbarten Preis. Ausgelastet ist ein Trainer, wenn er pro Jahr 100 Tage Training verkauft. Entsprechend kalkuliert er seine Tagessätze. Ein Trainer muss seine Produkte entwickeln und verfeinern. Er benötigt Zeit für die eigene Weiterentwicklung, Marketing und Vertrieb.
Wir IT-Selbständigen rechnen in der Regel mit 40 Stunden fakturierbare Leistung pro Woche. Mehr oder weniger regelmäßig besuchen wir Weiterbildungen oder machen Urlaub. Unsere Kunden bekommen unser Wissen und unsere Erfahrung, als Zeit - unserer Lebenszeit. Eine Veredelung des individuellen Mixes findet nicht statt. Wir kommen - abgesehen von den Attributen Know-how und Erfahrung - quasi nackt und unveredelt zum Kunden. Wir haben keine Methodik oder Tools, die eingesetzt werden. Wir bringen keinen selbst entwickelten Werkzeugkasten mit, sondern gehen in den Projektorganisationen des Kunden auf.
- Freiberuflervermittler reden Klartext
Scheinselbständigkeit, Wachstumschancen 2016, Kandidatenmarkt - das waren nur einige der Themen, über die die rund 20 Personaldienstleister diskutierten, die die COMPUTERWOCHE im Oktober 2015 zum Freiberufler-Roundtable in die Redaktion geladen hatte. - Luuk Houtepen, Sthree
Luuk Houtepen ist Head of Business Development DACH bei Sthree. Das erste Wort, das er in Deutschland lernte, war "Passt ned!". Da sucht ein bayerischer Konzern händeringend IT-Spezialisten und bekommt einen Kandidaten aus Hamburg vorgeschlagen - die Antwort lautet "passt ned". - Andreas Krawczyk, Freelancer.Net
Andreas Krawczyk, Chief Operation Officer (COO) bei Freelancer.Net, beobachtet, dass die viel zitierte Offenheit durchaus auch auf Seiten der IT-Freien fehlt. "Freiberufler sind auch oft passiv", sagt er, "sie kümmern sich zu wenig um Akquise." - Marco Raschia, top itservices
Marco Raschia, Director des Global Competenc Center Finance bei top itservices, sagt über die konservative deutsche Unternehmenskultur: "Diese Thematik haben wir ja jetzt durch die aktuelle Flüchtlingskrise auf dem Tisch." Er begrüßt, dass viele Bildungsträger Sprachkurse anbieten. - Christian Neuerburg, DIS AG
Ein weiterer großer Schmerzpunkt ist die unklare Rechtslage, Stichwort Scheinselbständigkeit. Christian Neuerburg, Manager Operations bei der DIS AG, legt denselben Katalog an Prüfkiterien an Selbständige zugrunde wie die deutsche Rentenversicherung. Neuerburg weiß: Eben jener Katalog der Rentenversicherung ist keine Drohkulisse, sondern "gelebte Realität". - Nikolaus Reuter, Etengo
Nikolaus Reuter, Vorstandschef von Etengo, engagiert sich gemeinsam mit dem Deutschen Bundesverband Informationstechnologie für Selbständige (DBITS) und leistet Lobbyarbeit auf bundespolitischer Ebene. Er sagt: "Selbst Andrea Nahles hat mit dem Dialogprozess 'Arbeiten 4.0' verstanden, dass sie ein hundert Jahre altes Gesetzeswerk nicht einfach in neue Formen klopfen kann." - Michael Girke, Q-Perior
Wie Michael Girke, Partner bei Q-Perior, beobachtet, beschäftigt das Thema Scheinselbständigkeit ganze Compliance-Abteilungen. Manche Branchen allerdings wollen schon gar nicht mehr mit Freiberuflern zusammenarbeiten, etwa Risiko-averse Versicherungen. - Daniela Kluge, Gulp
„Wir Dienstleister haben es mit zwei herausfordernden Zielgruppen zu tun. Auf der einen Seite steht der selbstbewusste Freiberufler, der weiß, was er kann und was er wert ist. Auf der anderen Seite sind die Endkunden nicht mehr bereit, jeden Preis zu zahlen. Trotzdem ist der durchschnittlich erzielte Stundensatz der IT- und Engineering-Freiberufler in 2015 laut unserer Stundensatz-Umfrage um 50 Cent marginal auf 80,50 Euro gestiegen - ein Anzeichen für einen starken Kandidatenmarkt." - Andreas Dittes, Talentwunder
„Die Fachkräfte wissen um ihren Wert. Vor allem die jüngere Generation hat nicht nur finanzielle Ansprüche, sondern erwartet von ihrem Auftraggeber Flexibilität, etwa in Hinblick auf eine Vier-Tage-Woche oder eine Home-Office-Regelung.“ - Sven Herzberg, Goetzfried
„Diese Erwartungen der Generation Y (Teilzeiteinsatz, Home Office, etc) decken sich häufig aber nicht mit denen des Kunden. Ein IT-Freiberufler hat in der Regel vor Ort zu sein, auch anderswo werden keine Kompromisse gemacht: So gilt Deutsch nach wie vor als Projektsprache. Ohne Deutschkenntnisse wird es für Freiberufler schwierig, ein Projekt zu finden.“ - Carlos Frischmuth, Hays
„Deutsche Unternehmen wünschen sich zu einem überwiegenden Anteil den Einsatz deutschsprachiger Freiberufler in der IT - allerdings verzeichnen wir parallel dazu eine kontinuierliche Öffnung der internationalen Projektmärkte insbesondere für IT-Freelancer aus Deutschland!“ - Andreas Nader, Questax
„Unsere Kunden erwarten nach wie vor, dass der Freiberufler bei Ihnen vor Ort im Einsatz ist, zum einen weil die freiberuflichen Experten ihr Wissen an die Mitarbeiter weitergeben sollen. Zum anderen erfordern etwa agile Methoden wie Scrum, dass alle Entwickler präsent sind und sie sich mitunter täglich austauschen und untereinander abstimmen.“ - René Troche, Westhouse Consulting
„In großen Unternehmen entscheidet der Einkauf, welche Freiberufler beauftragt werden. Und sie arbeiten in der Regel nur noch mit vier bis fünf Personaldienstleistern zusammen. Mehr Offenheit und Breite findet man in kleinen und mittelständischen Betrieben.“ - Stefan Frohnhoff, emagine
„Das Thema Scheinselbständigkeit sorgt sowohl bei Unternehmen als auch bei Freelancern schon seit geraumer Zeit für Unsicherheit.“ - Shahin Rejaei Pour, iPAXX
„Ein IT-Experte ist ein Mensch, man kann ihn nicht wie eine Ware bestellen und aus dem Regal holen.“ - Maxim Zvezdan Probojcevic, SOLCOM
„Der Markt wächst auch deshalb, weil die Auftraggeber mit der Qualität, die deutsche Freelancer abliefern, sehr zufrieden sind.“ - Frank Shams, 1st Solution
"Ich habe den Eindruck, dass ein Freiberufler oft auf einen Skill reduziert wird. Dabei besteht das eigentliche „ Können" darin, ihn mit all seinen „Fähigkeiten" zu bewerten.“
"Das wollen unsere Kunden so", wird häufig entgegnet. Allerdings werden sie das nicht mehr lange von uns Selbständigen kaufen können. Und was machen wir dann? Mich schreiben IT-Selbständige an, die unter der Last dieses Projektalltages zusammenbrechen zu drohen und denen die Kraft ausgeht. Es kostet viel Energie, wenn man seinen Kunden das Wertvollste verkauft, was man besitzt: die eigene Lebenszeit. Und genau das machen wir. Wie sieht der Ausweg aus dem Dilemma aus? Wie können wir diesem Problem entkommen?
Hierzu ein Beispiel: Meine Kunden haben ein bestimmtes Problem, das ich für sie lösen soll. Ich habe bereits ein fertiges Produkt, das ich präsentieren kann und das sie mögen. Eine vorgedachte Lösung, die mit seinen Inhalten, in seinem Layout am Ende abgeliefert wird und individuell für ihn erstellt wurde. Ich habe einen Prozess entwickelt, um zielgerichtet zu den Ergebnissen zu kommen. Es gibt Arbeitsschritte, die ich nicht selbst vornehme, sondern von Dritten erledigen lasse. Zehn Jahre Veredelung meiner Lebens- und Arbeitszeit sind für den Kunden sichtbar und die bekommt er, wenn ich beauftragt werde. Der Kunde hat etwas speziellere Wünsche oder Vorstellungen? Dann lässt sich mein Produkt abwandeln und anpassen. Meine Kunden bekommen sehr viel mehr als meine Erfahrung, mein Wissen und meine Lebenszeit: Sie bekommen eine vorgedachte und entwickelte Lösung, die ihnen viel Zeit und Aufwand spart.