Data Governance - es fehlt ein einheitlicher Standard
Inwieweit spielt denn das Governance-Thema rund um Daten, Datenhaltung und Datenaustausch aus Ihrer Sicht noch eine Rolle bei den Unternehmen - gerade auch was den Weg in die Cloud anbelangt?
Klein: Gerade im Public-Sektor und in regulierten Industrien ist Governance ein wichtiges Thema. SAP bietet dafür spezifische Lösungen an - wie werden die Daten gehalten, wie werden sie administriert und wie werden die Datenarchitekturen dann auch in der Cloud betrieben?
Aber es fehlt immer noch an einem einheitlichen Standard, auch über die EU-Staaten hinweg. Das macht es dann sehr kompliziert, wenn Sie kundenindividuell Lösungen oder das Regelwerk diskutieren müssen. Jetzt haben wir zwar einen Rahmen (das im Sommer 2023 von der EU verabschiedete Data Privacy Framework, Anm. d. Red.), der muss sich allerdings noch in der Praxis bewähren. Die ganzen Grauzonen mit all ihren Unsicherheiten müssen zunächst beseitigt werden.
Regulieren - ja, aber auch Chancen geben
Wie sehen Sie grundsätzlich all diese Regulierungsbemühungen auf EU-Ebene - mit dem AI-Act, Digital Markets Act, Digital Services Act, Regeln für die Lieferketten. Wird da zu viel reguliert oder halten Sie es für richtig, dass die Politik da Leitplanken vorgibt?
Klein: Ich bin absolut für Leitplanken bei Themen wie KI oder Datensicherheit. Die Herangehensweise finde ich richtig: Regulieren - ja, einen klaren Rahmen vorgeben - ja, aber wir müssen der Technologie auch eine Chance geben "zu atmen", und die Innovation nicht durch zu viel Regulierung schon von Anfang an zu stark behindern. Diese Tendenz sehen wir in Europa durchaus. Es gibt auch hier einige Anbieter, Mistral oder Aleph Alpha, die ihre eigenen Modelle entwickelt haben. Lassen wir die Startups doch erstmal in der Praxis ankommen. Dann sehen wir die Risiken und können entsprechend handeln.
Nur die Reihenfolge sollte passen. Wir sollten gerade diesen Startups nicht schon vom ersten Tag an zu viele Hürden stellen.
Klein fordert Digitalministerium, das auch entscheiden kann
Ist diese Bürokratie auch der Grund, warum die Digitalisierung gerade im hiesigen Public Sector nicht wirklich vorankommt? Die Ampel hatte sich im Regierungsprogramm einiges vorgenommen?
Klein: Wir stehen uns oft selbst im Weg. Viele wollen mitreden, aber es tauchen auch große Fragezeichen auf, wenn es um das Thema Digitalisierung geht. Deswegen plädiere ich nach wie vor für ein Digitalministerium, das nicht nur den Namen trägt, sondern eine Entscheidungshoheit erhält. Digitalisierung im Bildungsbereich oder dem Gesundheitswesen ist technisch kein Problem. Es zählt allein der Wille.
Woran scheitert es aber immer wieder?
Klein: Ich glaube, wir sind ein Stück weit gefangen in unseren alten eingefahrenen Konzepten und Strukturen. Stichwort Föderalismus. Er hat in vielen Bereichen seine Berechtigung und seine Vorteile, das ist in Deutschland allein schon historisch bedingt. Beim Thema Digitalisierung allerdings nicht. Beispiel Steuererklärung: Viele EU-Staaten haben dies vereinfacht, standardisiert und digitalisiert. Bei uns in Deutschland ist das Ländersache und jedes Bundesland macht mehr oder weniger sein eigenes Ding, wenn ich das so salopp formulieren darf. Hierfür eine Lösung zu finden, erscheint schwierig. Ich kenne in der Politik aber niemanden, die oder der den digitalen Wandel nicht möchte.
Föderalismus tut der Digitalisierung nicht gut
Unsere Verfassung ist das wichtigste Gut in unserer Demokratie. Aber man sollte darüber nachdenken, wo unser Föderalismus ein Fundament unserer Demokratie darstellt und wo es eher sinnvoll ist, die Kompetenzen und die Entscheidungsgewalt auf Bundesebene zu heben. Das wäre sicher auch aus Kostengründen ein richtiger Schritt.
Sehen Sie die Politik auch in der Pflicht, den IT-Sektor hierzulande stärker zu unterstützen? Wie haben gute Hochschulen, einige interessante Startups, aber nur einen Softwarekonzern von Weltrang - SAP. Der nächstgrößere, die Software AG, wird gerade regelrecht zerfleddert.
Klein: An diesem Beispiel können Sie beobachten, wie dynamisch die Tech-Branche ist. Viele Entscheidungen, die SAP in den letzten Jahren rund um die eigene Transformation getroffen hat, sind dadurch besser nachvollziehbar.
Was die Unterstützung des IT-Sektors anbelangt, so ist die Lobby für andere Industrien wie die Automobil- oder Chemie-Industrie um ein Vielfaches größer. Was ich nicht verstehe: Das Thema Digitalisierung ist ein Schlüsselbereich für alle Industrien hierzulande und damit sehr wichtig. Daher wünsche ich mir - und da spreche ich jetzt nicht nur für SAP, sondern gerade auch für die vielen Startups, die wir hier in Deutschland haben -, dass die Politik mehr unterstützen würde.
Der Bund könnte in meinen Augen ebenfalls mehr tun. Dabei geht es nicht nur um Fördergelder. Es geht auch darum, Türen zu öffnen, einen passenden Rahmen zu schaffen und gemeinsam Digitalisierungsprojekte anzugehen. Selbstverständlich sind auch wir bei SAP gefragt, diesen Startups zu helfen, beispielsweise über die technische Anbindung an Plattformen oder den Zugang zu Kunden. Das tun wir auch.
Graue Eminenz bei SAP: "Da tun wir Hasso Plattner Unrecht"
Lassen Sie uns den Bogen zurückschlagen zu SAP und den anstehenden Veränderungen. Dieses Jahr steht mit dem Abgang von Hasso Plattner eine Zäsur an. Ist das auch in gewisser Weise ein Befreiungsschlag und die junge Manager-Generation kann jetzt endlich so machen, wie sie will?
Klein: Ich denke, da tun wir Hasso Plattner Unrecht. Er hat mich gerade erst wieder angerufen und gefragt, wie die Dinge stehen. In den letzten Jahren hat Hasso Plattner mir, wie der gesamte Aufsichtsrat übrigens, den Rücken gestärkt. Ohne diese Unterstützung hätten wir die Strategiewechsel vor drei Jahren nicht durchziehen können - vor allem mit dem Wissen um das Risiko eines um 30 Prozent absackenden Aktienkurses.
Plattner will Ala-Pietilä statt Renjen: SAP wechselt Kandidaten für Aufsichtsratsvorsitz aus
Die Veränderungen werden sicher weitergehen, auch was den Generationswechsel im Vorstand betrifft. Wir haben Expertise von außen hineingebracht. Auch da habe ich viel Unterstützung erfahren. Gerade Hasso Plattner hat immer wieder Menschen von außen zu SAP gebracht und gefördert. Es ist wichtig, dass wir nicht nur intern Top-Talente fördern, sondern uns auch immer wieder externes Know-how dazu holen.
Wenn Sie von Zäsur sprechen, hängt diese nicht nur am Aufsichtsrat. Für unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren die letzten drei, vier Jahre nicht einfach. Wir müssen im internationalen Wettbewerb bestehen. Da geht es um Wachstum, Gewinn und Cashflow. Das alles ordentlich auszubalancieren, auch da bin ich sehr dankbar für die Unterstützung der Arbeitnehmervertretenden. Sie hätten sich das eine oder andere Mal bestimmt mehr gewünscht für die Mitarbeitenden - trotzdem war die Unterstützung immer da.
Viele Mitarbeiter bei SAP sind Entwicklerinnen und Entwickler. Letztens hat der Nvidia-Chef jungen Menschen abgeraten, Software-Developer zu werden, weil in Zukunft KI alle Programme schreiben wird. Sehen Sie das ähnlich?
Klein: Ich sehe das gerade im Kontext von SAP anders. Wir nutzen generative KI in der Softwareentwicklung und erwarten dadurch hohe Produktivitätszuwächse. Aber wir bilden auch hochkomplexe betriebswirtschaftliche Prozesse mit unserer Software ab. Dabei muss die Betriebswirtschaft immer in den Kontext gesetzt werden. Das kann KI nicht komplett übernehmen. Deshalb bin ich überzeugt, dass das Berufsbild des Softwareentwicklers nicht verschwinden wird.
Gleiches gilt für die SAP insgesamt?
Klein: Ich fühle mich sehr gut auf die nächste Phase vorbereitet. Wir werden den Wandel erfolgreich meistern. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Deutschland und Europa weiterhin ein sehr starkes Technologieunternehmen haben werden. Das ist auch für unsere Kunden ein gutes Zeichen.
"Keiner möchte eine technisch abgehängte SAP"
Keiner möchte eine SAP, die technisch abgehängt ist, die nicht in der Cloud und bei KI mitspielen kann, weil wir mit gefühlt 60 ERP-Releases in der Vergangenheit verhaftet sind, während unsere Konkurrenz - bildlich gesprochen - mit hoher Geschwindigkeit zu 100 Prozent in die Cloud rast.
Was erwarten Sie sich persönlich?
Klein: Ich bin jetzt 24 Jahre an Bord und mit SAP groß geworden. Natürlich habe ich eine enge Bindung ans Unternehmen, aber ich sehe das Thema etwas breiter: Ich möchte, dass wir in Deutschland und in Europa ein Technologieunternehmen haben, das auch in Zukunft zu den Besten der Branche gehört. SAP kann das schaffen. Und das treibt mich jeden Tag an.