SAP-CEO Christian Klein im Interview

SAP hätte mehr auf das Customizing achten sollen

12.04.2024
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Warum kein Weg an der Transformation vorbeiführt, wo die Probleme dabei liegen und welche Rolle die Cloud und KI spielen, erklärt SAP-Chef Christian Klein im CW-Interview.
SAP durchläuft einen Wandel, sagt CEO Christian Klein. "Das erfordert auch eine organisatorische Transformation."
SAP durchläuft einen Wandel, sagt CEO Christian Klein. "Das erfordert auch eine organisatorische Transformation."
Foto: SAP SE

Herr Klein, Restrukturierung ist derzeit das große Thema bei SAP. Ist es der größte Umbau der Geschichte bei SAP?

Christian Klein: Ich betrachte es eher als eine Evolution. Wir haben unsere eigene Transformation vor etwas mehr als drei Jahren gestartet. Mit der Cloud vollzieht sich nicht nur ein Technologiewechsel. Wir ändern unser Geschäftsmodell grundlegend, also die Art und Weise, wie wir Kunden bedienen und Software ausliefern.

Zuletzt kam noch das eine oder andere Thema dazu: Mit dem Durchbruch von generativer KI in 2023 hat sich das Innovationstempo deutlich beschleunigt. Intern wiederum gilt es, Hürden abzubauen, denen sich Kunden, aber auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegenübersehen.

Grundsätzlich überlegen wir sehr genau, was wir anpacken. Schließlich kostet jede Reorganisation Zeit und ist mit Aufwand für ein ordentliches Change-Management verbunden. Aber die Veränderung ist notwendig: SAP durchläuft einen Wandel und das erfordert auch eine organisatorische Transformation.

Wo soll denn die SAP in fünf Jahren stehen?

Klein: SAP ist hoch innovativ. Nutzerinnen und Nutzer haben die Chance, mit unserer Software ihren Job produktiver zu erledigen. Die Programme werden mit KI um ein Vielfaches intelligenter, bieten schnellere Analysen sowie bessere Datenkorrelationen. Damit eröffnen sich Anwenderinnen und Anwendern mehr Möglichkeiten zur Entscheidungsfindung in unterschiedlichen Bereichen, von der Supply Chain und Logistik bis zum Nachhaltigkeitsreporting, um nur einige zu nennen.

Bei SAP selbst hat es auch viele Änderungen gegeben. Es sind viele neue Talente an Bord gekommen. Am Ende ist es immer ein Mix aus erfahrenen Kolleginnen und Kollegen und jungen Top-Talenten, die wir weltweit rekrutieren. Das macht die SAP aus. Jetzt kommen mit dem KI-Thema noch einmal neue Fähigkeiten hinzu. Wir haben schon viele Data Scientists und Datenexperten. Wir werden an dieser Stelle weiterhin investieren, weil wir KI direkt in unsere Software einbetten werden.

An dieser Stelle werden wir in fünf Jahren noch einmal ein ganzes Stück weiter sein. Und dann hoffe ich, dass die Zeiten endgültig vorbei sein werden, in denen Kunden mit hohem Aufwand ERP-Upgrades einspielen mussten. Sie werden hoffentlich sagen können, dass unsere Angebote wie RISE und GROW dabei geholfen haben, Innovationszyklen schneller mitnehmen zu können. Kurzum: In fünf Jahren werden wir die Innovation, die wir liefern, viel schneller an die Kunden bringen.

Momentan sind die Anwenderunternehmen eher noch zögerlich, was die Adaption von Cloud Computing, aber auch der RISE- und GROW-Programme der SAP anbelangt - speziell hier in Deutschland. Auch die Botschaft vom vergangenen Jahr, bestimmte Kerninnovationen nur noch in der Cloud anzubieten, hat doch für einigen Unmut bei den Anwendern gesorgt. Wie wollen Sie Ihre Kunden hier mitnehmen auf die Reise?

Klein: Natürlich sehe ich ein gewisses Zögern in den Reihen der DSAG und bei ein paar anderen Kunden. Aber wissen Sie, wir haben gerade in der Region Mittel- und Osteuropa (MEE) und in Deutschland das beste Cloud-Ergebnis weltweit zu verzeichnen. Daran sehen Sie, dass viele Kunden auch hier in Deutschland die Umstellung in die Cloud angehen. Und auch die Unternehmen, die jahrelang in SAP On-Premise investiert haben, bewegen sich in Richtung Cloud - mit Microsoft Teams und Microsoft 365, mit Best-of-Breed-Anwendungen oder sie hosten ihre ERP-Systeme. Ich kenne keinen Kunden, der nicht irgendwo in seiner IT-Landschaft Cloud einsetzt.

"An der Wartungsverpflichtung werden wir nicht rütteln"

Natürlich hat SAP ein Erbe im Hinblick auf On-Premise-Systeme. Deswegen sagen wir auch: Wir stellen nicht morgen um, sondern haben zunächst eine langfristige Wartungsverpflichtung für On-Premise-Anwendungen von uns ausgesprochen. An der werden wir selbstverständlich nicht rütteln.

Aber wie wollen Sie ihre Klientel von der Cloud-Reise überzeugen?

Klein: Wir haben Anreize geschaffen. Wir rechnen an, was die Kunden in der Vergangenheit in unsere Lösungen investiert haben. Das ist der kommerzielle Aspekt. Darüber hinaus investieren wir mit generativer KI in unsere Tools, um die Migration zu vereinfachen.

SAP kommt S/4HANA-Kunden entgegen

Viel wichtiger ist aber - und das sehe ich bei uns selbst - die Transformation in den Unternehmen, die stattfinden muss. Das verstehen die Kunden mittlerweile auch. Alle Geschäftsmodelle, egal in welcher Industrie, und auch gerade hier in Deutschland, ändern sich zurzeit fundamental.

Deswegen warne ich davor, lediglich die alten Prozesse eins zu eins in die neue Softwarewelt zu überführen oder das ERP-Upgrade einfach nur über ein Hosting abzubilden. Es geht um viel grundlegendere Themen wie Prozess-Standardisierung und die Definition neuer Geschäftsmodelle. Und es geht vor allem darum, diese Innovationen, die Unternehmen letztlich wettbewerbsfähig halten, und zwar in Bezug auf Produktivität oder Nachhaltigkeit konsumierbar zu machen.

Das haben die Unternehmen mittlerweile erkannt. Hier stelle ich offen gesagt keinen Widerstand in Deutschland fest. Es geht einzig um die Frage: Wie gelange ich dort hin? Mit dem neuen Vorstandsbereich unter Thomas Saueressig (Customer Services & Delivery, Anm. d. Red.) fokussieren wir uns genau auf dieses Thema. In der Vergangenheit haben viele SAP-Anwender ihre Systeme sehr stark angepasst, also viel Customizing betrieben. Das wirft jetzt Fragen auf: Was brauche ich davon überhaupt noch? Und wenn ich davon einiges benötige: Wie kann ich es in die neue Welt mitnehmen?

Antworten auf diese Fragen will SAP im Zuge der RISE- und GROW-Programme geben. Hier laufen klar vorgegebene und reglementierte Migrationsprozesse ab. SAP gibt im Grunde genommen vor, wie der Umzug abzulaufen hat. Denken Sie, das ist aus Sicht der Anwenderunternehmen in Ordnung, ein ganzes Stück weit die Kontrolle abzugeben?

Klein: In manchen Gesprächen, die ich mit Kunden führe, kommt auch die Frage nach der Kontrolle. Dazu Folgendes: Im Zuge von RISE übernehmen wir den Basisbetrieb - aber wirklich nur den Basisbetrieb - des SAP-Systems. Wir kennen diesen Stack rund um die HANA-Cloud, wissen auch um sämtliche Innovationen auf der Infrastruktur und kennen die Lifecycle-Management-Ebene sehr gut - schließlich haben wir all das selbst entwickelt.

Über diesen Basisbetreib hinaus sind die Kunden gestaltungsfrei. Auch bei der Partnerwahl, mit dem die Kunden das RISE-Paket implementieren möchten, ist die SAP agnostisch. Im Idealfall laufen die nächsten Upgrades hochautomatisiert. Es gibt keine aufwändigen Projekte mehr, die Millionen verschlingen, um die SAP-Systeme wieder in die Spur zu bringen.

50 Jahre SAP: Der Softwarekonzern steht am Scheideweg

Aus meiner Sicht ist es äußerst sinnvoll, diesen SAP-Basisbetrieb extern an uns zu vergeben. Wir bieten gute Service-Level-Agreements (SLAs), eine hohe Systemverfügbarkeit und solide Cybersecurity-Maßnahmen. Andere Anbieter machen das auch. Dort müssen Anwender allerdings alles End-to-End von einem Anbieter abnehmen. Wir sind hier flexibler und auch offener.