Für viele ist Bosch nach wie vor der klassische Automobilzulieferer: Egal, ob Lichtmaschine, Scheinwerfer, ABS, Xenon, ESP, Zündkerze oder Scheibenwischer, hochwertiges Autozubehör kommt für den Volksmund von Bosch. Ein Charakterisierung, die dem Unternehmen, das sich zu 92 Prozent im Besitz der Robert Bosch Stiftung befindet, nicht mehr gerecht wird. Zwar steuert der Automotive-Bereich noch rund 60 Prozent zum Umsatz bei, doch Bosch gehört neben Siemens zu den leuchtenden Beispielen, die zeigen, wie deutsche Unternehmen allen Unkenrufen von Economist und Spiegel zum Trotz in ihren Marktsegmenten die digitale Transformation meistern. Und sogar zu digitalen Vorbildern für ihre globalen Konkurrenten und Partner werden.
Von IoT zur Economy of Things
So hat Bosch alleine 2018 insgesamt 52 Millionen internetfähige Produkte verkauft, über ein Drittel mehr als im Vorjahr. Zudem vernetzt Bosch bereits mehr als zehn Millionen Geräte unterschiedlicher Hersteller mit seiner Open Source-basierten Bosch IoT Suite. Jetzt arbeitet Bosch mit Partnern daran, dass die Dinge künftig in sicheren Ökosystemen kommunizieren und auch interagieren. Unter dem Motto "Vom Internet of Things zur Economy of Things" präsentierte Bosch-Chef Volkmar Denner auf der Bosch Connected World in Berlin einen Ausblick auf die "Ökonomie der Dinge".
Eine Ökonomie, die mittlerweile in allen Branchen ihre Auswirkungen und Folgen hat, nicht nur in den von US-Konzernen wie Google, Amazon oder Uber dominierten Branchen. Egal, ob Landwirtschaft, Bauwesen, Transportwirtschaft, Medizin etc. überall sind IoT, Künstliche Intelligenz (KI), AR und VR und andere IT-Technologien mit von der Partie, wenn es um die Realisierung komplexer Projekte geht. Und die einst bodenständige, schwäbisch geprägte Bosch Gruppe will in dieser Ökonomie als digitaler Hipster bei Themen wie IoT, Smart Factory und Smart Home sowie intelligente Mobilität ganz vorne mitspielen.
Ohne Digital Twins geht nichts
Wie sich die Wirtschaft dank IoT und Digitalisierung bereits verändert hat, zeigen etwa die Beispiele des Bahnhofsneubaus Stuttgart 21 oder die futuristische Architektur der auf Stelzen aufliegenden Adidas Arena in Herzogenaurach. Ohne Digital Twin, digitalisierte Supply Chain etc. sind solche Großprojekte nach den Worten von Ulrich Klotz, technisch im Vorstand der Züblin AG für den Hoch- und Ingenieurbau in Deutschland, Benelux und Skandinavien verantwortlich, nicht mehr zu bewältigen. So sei eine Realisierung der 28 Kelchstützen, die das Dach der Bahnhofshalle von Stuttgart 21 später stützen, ohne Digitalisierung und Digital Twin nicht vorstellbar. Zudem handelt es sich bei den 28 aus weißem Beton gegossenen Stützen jeweils um Einzelstücke, für die Schalungs- und Bewehrungselemente individuell angepasst werden müssen, so dass jedes Mal eine neue Gussform gebaut werden muss. Dabei können die rund 32.000 Armierungseisen pro Kelch nur mit IT-Unterstützung genau genug gebogen werden.
Unter dem Strich kann Bosch mittlerweile auf eine illustre Anwendergemeinde mit prominenten Namen blicken. Dabei hat das Unternehmen in den letzten zehn Jahren rund zehn Millionen Devices an die Bosch IoT Suite angebunden. Zu den mehr als zehn Millionen angebundenen Dingen zählen unter anderem Gateways in Gebäuden, vernetzte Fahrzeuge sowie Sensoren in der städtischen Infrastruktur oder der digitalen Landwirtschaft. Insgesamt hat Bosch mit Kunden laut eigenen Angaben bislang weltweit mehr als 250 IoT-Projekte auf Basis der Bosch IoT Suite realisiert. Alleine von 2018 bis 2019 sei die Zahl um rund 20 Prozent gestiegen.
Ein Maschinenbauer wird Systemhaus
Eine Entwicklung, die auch das Unternehmen intern verändert hat - wie etwa den Bereich Bosch Rexroth. Der Anbieter von Antriebs- und Steuerungstechnik beschränkt sich im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr nur auf das klassische Ausrüstungsgeschäft, sondern übernimmt zunehmend auch die Rolle eines Systemhauses beziehungsweise -integrators. So unterhält Bosch Rexroth eine 500 Mann starke Truppe, die Softwarelösungen erstellt und appliziert.
Oder um es mit den Worten von Bosch-Chef Denner zu formulieren, "die IT ist in den traditionellen Industrien angekommen". Und hat diese zumindest wie im Falle von Bosch gehörig umgekrempelt, wie die länderübergreifende Markenkampagne "Live Like a Bosch" mit ihrem Rap-unterlegten Video zeigt- Mit der Kampagne möchte sich die Gruppe weltweit als IoT-Company und Vorreiter einer vernetzten Welt positionieren - sowohl im B2C- als auch im B2B-Segment.
Doch die Transformation vom klassischen zum digitalisierten Unternehmen impliziert laut Denner noch mehr: "Die Kultur des Unternehmens muss sich dabei dramatisch wandeln". Ein kultureller Wandel, der für Denner bei den Führungskräften zu beginnen hat: "In der Vergangenheit hatten sie lediglich die Rolle des Entscheidungsträgers, in der digitalen Welt müssen sie Coach, Experte und Moderator in einer Person sein."