Das Ropo-Phänomen
Wer die Facebook-Seite der Allianz öffnet, dem springt gleich das knallrote Dach der Münchner Fußballarena ins Auge. Es verdeutlicht, dass Online-Marketing nichts mehr mit dem dumpfen Einhämmern von Werbebotschaften zu tun hat. Stattdessen bietet die Allianz den Nutzern ein Thema an, dass viele von ihnen interessiert: Bundesliga-Fußball der Spitzenklasse.
"Nur weil Facebook da ist, machen irrelevante und schlecht dargestellte Informationen nicht automatisch die Runde", so Lukowsky. Facebook sei wohl kaum das richtige Medium, um das Kleingedruckte eines Vertragswerks zu kommentieren. "Die Kunst" sei vielmehr, "eine produktive Kommunikation mit dem Kunden hinzubekommen". Und dazu zähle auch ein Format wie "Frag den Star", wo beispielsweise der FC-Bayern-Angreifer Mario Gomez erzählt, was er so zu Hause macht.
Das nimmt sich wie Spielerei aus, hat aber geschäftskritische Auswirkungen. "Das Konsumentenverhalten hat sich verändert", erläutert Lokowsky: "Bevor ein Kunde mit einem Vertreter redet, will er sich erst einmal im Internet vorinformieren." Das bestätige auch eine Studie, die die Allianz schon 2010 mit Google unternommen habe: "Im Fachjargon nennen wir das Ropo: Research online - purchase offline", so der Markt-Manager.
Um neue Kunden zu bekommen, muss man also zum einen im Netz auffindbar sein und zum anderen auch die richtigen Inhalte anbieten. Offenbar hat der Versicherungskonzern diese erste Hürde genommen. Die Allianz-Deutschland-Seite habe beinahe 24.000 Follower, sagt Lukowsky, "obwohl wir auf Verlosungen und ähnlich billige Tricks verzichten".
- Gartner-Tipps für Social Media
Die Kunst aber ist es, a) diese Kultur der Kommunikation zu fördern und b) die in ihr entstehenden Informationen herauszufiltern und in bestehende Business-Intelligence-Systeme zu integrieren. Zwölf Schritte gilt es laut Gartner für den CIO zu befolgen. - Aufmerksam schärfen:
IT und Business müssen sich bewusst werden, dass in den Informationen aus Sozialen Netzwerken ein Wert für das Business steckt. Das Sammeln und Interpretieren dieser Erkenntnisse - Social Analytics - muss darauf ausgerichtet sein, nach ihnen zu handeln. - Know-How ausbilden:
Ist das Wissen einmal da, sollte der CIO Entwicklungs-Pläne für wichtige Rollen in der Social-Media-Strategie gestalten. - Verständnis wecken:
Der CIO muss dem Business vermitteln, wie wichtig und hilfreich es ist, Menschen aus verschiedenen Abteilungen zu vernetzen und sie an Probleme zu setzen. - Vorleben:
Der CIO muss selbst in Sozialen Netzwerken aktiv sein - und dies auch kommunizieren. Nur wer diese Tools nutzt, kann sie auch glaubwürdig vertreten. Einmal die Woche sollte der IT-Chef mit den Kollegen, die am aktivsten sind in Sachen Social Media, Gedanken austauschen. - Loslegen:
Der CIO sollte sowohl Gruppen mit Leuten aus dem ganzen Unternehmen zusammenbringen als auch bestehende Gruppen an die Möglichkeiten heranführen, die in Social Media stecken. - Motivieren:
Mit Anreizen, und sei es öffentlicher Anerkennung, kann der CIO die Kollegen aus IT und den Fachabteilungen dazu bringen, selbst Social Media Projekte auf die Beine zu stellen. - Ziele stecken:
Social Media soll Business Value generieren, und deswegen auf Kern-Bereiche des Business zielen: Time to Market, Kundenbindung oder die Produktivität der Mitarbeiter. - Die IT-Governance überdenken:
Das Ziel muss das effektive und flexible Management von Informationen sein, nicht Kontrolle der Technologie. Das Auge der Security aber muss sich auf die neuen Technologien einstellen. - Social Media in die Architektur einbinden:
Dazu gehört, Tools und Prozesse zu gestalten, mit denen sich die Informationen zielführend verarbeiten lässt. Das Ziel ist, dass die Business-Entscheider nur die richtige Frage stellen müssen, um schnell Informationen für nachhaltige Entscheidungen zu bekommen. - Eine Strategie festlegen:
Sie sollte enthalten, wer die Adressaten und Teilnehmer der kollaborativen Kommunikation sind, wie weit das Engagement gehen soll - und wohin es das Unternehmen führen soll. - Zurückziehen:
Die IT sollte sich alsbald von der Kontrolle über die Social-Media-Ressourcen verabschieden und sich darauf konzentrieren, Verbindungen zwischen den Menschen herzustellen.
Lokaler Bezug bleibt erhalten
Erst wenn der Kunde angebissen hat, geht es zum eigentlichen Business. Und ab hier übernehmen die regionalen Vertreter. Die Facebook-Dachseite leitete die Besucher über Links auf die jeweiligen Agenturseiten um (zu finden über die Link-Sammlung "Allianz vor Ort").
Die Vertreter erstellen ihre eigenen Seiten - mit Hilfe von Templates, die die Allianz ihnen zur Verfügung stellt. Dazu Lukowsky: "Vertreter ist eben nicht gleich Vertreter. Der eine ist sehr stark im geschäftlichen Kontext unterwegs, der andere bei bestimmten Zielgruppen, der dritte hat eine Landagentur etc." Die Inhalte der Facebook-Seiten müssten deshalb auf die jeweilige Agentur zugeschnitten sein. Und diese Möglichkeit biete die Allianz. Das Template erlaube dem Vertreter, mit ein wenig Anpassungsarbeit und der Integration seiner Daten einen eigenen Facebook-Auftritt zu lancieren, um damit in seiner dezentralen Community aktiv zu sein.
Laut Lukowsky ist es wichtig, dass der lokale Bezug nicht verloren geht: "Der Erfolg des Modells besteht ja darin, dass der Vertreter in seinem begrenzten Umfeld als der Mann von der Allianz bekannt ist - eine geschätzte und vertrauenswürdige Person, die man beim Kirchgang, im Skatverein und Tennisclub trifft und die deshalb erster Ansprechpartner in Sachen Versicherung ist."
Gerade in den Dörfern wandere mittlerweile ein Großteil der Kommunikation ins Netz, weiß der Markt-Manager: "Der Kirchen-Chor hat kein Schwarzes Brett mehr, sondern eine Web-Seite. Auch der Ausflug des Kindergartens wird im Internet angekündigt." Die Facebook-Seiten der Agenturen seien insofern "nichts anderes als die Übertragung des traditionellen Erfolgsmodells der Allianz-Vertreter in die digitale Welt."
Im vergangenen Jahr ist der Versicherungskonzern mit 50 Agenturen in den Pilotversuch eingestiegen. Wie Lukowsky beteuert, machte er dabei "extrem gut Erfahrungen - sowohl auf der Vertreter- als auch auf der Kundenseite. Im Laufe dieses Jahres werde das Template ausgerollt. Etwa 300 Agenturen hätten bereits Interesse angemeldet. "Wir zwingen keinen Vertreter, auf Facebook aktiv zu sein", beteuert Lukowsky, "man muss das wollen, und es muss einem liegen, sonst geht der Schuss nach hinten los."
Am Ende werden es die ohnehin schon Internet-aktiven Vertreter sein, die mitmachen, vermutet der Marketier. Immerhin seien das "mindestens ein Drittel der 10.000 Vertreter, die wir allein in Deutschland haben".