Tagtäglich lassen sich Beispiele für nicht funktionierendes Vendor Management finden, die fast immer viel Geld kosten:
Ein deutsches Unternehmen investiert mehrere Millionen Euro in den Ausschreibungsprozess eines Servicevertrags, dessen Jahresvolumen (ACV, Annual Contract Value) selbst nur 35 Millionen Euro umfasst.
Eine französische Bank kann bei den meisten ihrer Verträge nicht beantworten, was ihr genau zusteht und ob die gelieferten Leistungen dem Vereinbarten entsprechen.
Nachdem ein DAX-Unternehmen seine Service-Verträge von rund einer halben Milliarde Euro systematisch unter die Lupe nahm, fand es auf der Ebene des Lieferanten- und Vertragsmanagements schon im ersten Jahr Einsparpotenziale von rund 18 Millionen Euro.
Bei einem Umstieg vom traditionell analogen zu einem digitalen Vertrags- und Lieferantenmanagement, entscheiden vor allem zwei Faktoren über den Erfolg: Zum einen müssen alle internen und externen Beteiligten unter einen Hut gebracht werden. Und zum anderen gilt es zu identifizieren, um welche Prozesse es geht und wie diese zu gestalten sind.
Mit Blick auf die Beteiligten gilt es zwischen internen und externen Stakeholdern zu unterscheiden.
Zu den intern Betroffenen zählen:
das CxO-Management, das zum Beispiel die Provider-Performance, Risiken und den finanziellen Rahmen im Blick behält,
die Verantwortlichen seitens der Service Delivery und
die Vertragsmanager.
Seitens der externen Lieferanten sind
die jeweiligen Kundenverantwortlichen sowie
das Liefer- und Rechnungs-Management
involviert.
Intern wie extern betroffen sind
die Beschaffung und
das Account-Management
Letzteres stellt die Zusammenarbeit aller Beteiligten sicher, indem es zum Beispiel Governance-Meetings vorbereitet und leitet.
Aufseiten der Prozesse gilt es jene zu identifizieren, die für die Steuerung sämtlicher Lieferanten benötigt werden. Die aktuellen Digitalisierungsprojekte im Vertrags- und Lieferantenmanagement zeigen, dass die Unternehmen im Durchschnitt nur ein Viertel der benötigten Prozesse namentlich überhaupt kennen und dieses Viertel in der Regel nur einen geringen Reifegrad aufweist.
Die Vorbereitungen
In der Regel gilt: Selbst, wenn Unternehmen davon ausgehen, dass sie über ein Lieferantenmanagement verfügen, fehlen viele notwendige Prozesse. Häufige Lücken sind Lieferungen, die nicht kontinuierlich überprüft werden, nichtexistierende Kommunikations- und Eskalationspfade oder nicht standardisierte Finanzberichte, die deshalb für das Controlling nur begrenzte Aussagekraft besitzen.
Vor allem Contract Manager und Einkäufer haben erkannt, dass Nachholbedarf besteht. So geben die für Servicebereitstellung zuständigen Einheiten in Digitalisierungsprojekten fast durchgängig zu Protokoll, dass sie vom Contract Management abgeschnitten sind. Beide Welten agierten bislang isoliert voneinander und sind sich deshalb bewusst, dass ein Brückenschlag stattfinden muss.
Dies unterscheidet Digitalisierungsvorhaben im Vendor Management übrigens von anderen herkömmlichen IT-Projekten. Da bestimmte Notwendigkeiten klar auf der Hand liegen, ist Überzeugungsarbeit oft gar nicht oder kaum erforderlich. Die Erfahrung zeigt, dass hier die besten Anregungen von den Betroffenen selbst kommen - so sie denn am Prozessdesign beteiligt sind.
Zu den Basisprozessen eines digitalen Vendor Managements gehören
Vertragsmanagement
Lieferantenmanagement
Performance-Management
Governance der Rechnungen (Invoice Governance).
Dem Prozessdesign sollten Strategie-Workshops vorgeschaltet sein, die eine Standortbestimmung vollziehen. Dabei helfen folgende Fragen:
Was sind die Ziele des Unternehmens und wie zahlt das Vendor Management auf diese ein?
Wie sollen die einzelnen Prozesse gewichtet sein?
Welche Beteiligten sollen und müssen an Bord geholt werden?
Wie lautet das Mission Statement für die Digitalisierung des Vertrags- und Lieferantenmanagements?
Als Initiator und "Sponsor" empfiehlt sich dabei in der Regel der CIO, CFO oder der Chief Sourcing Lead. Mit ihm lassen sich in der Vorbereitung die benötigten Stakeholder, Rollen und Fähigkeiten auf dem Reißbrett skizzieren. Kommen dann schließlich alle Beteiligten zu den ersten Strategie-Meetings zusammen, sollte sie ein möglichst unabhängiger Moderator in der Rolle des Stakeholder Managers zueinander führen. Denn viele Abteilungen haben zuvor noch nie miteinander gesprochen, geschweige denn an einem gemeinsamen Ziel gearbeitet.
Standards bevorzugt
Das Prozessdesign als Folgeschritt nach den initialen Strategierunden folgt dem bekannten Vorgehen der Prozessanalyse und -verbesserung. Gap-Analyse und -Dokumentation sowie darauf aufbauende Verbesserungsmaßnahmen legen im Rahmen einer Roadmap fest, wie die identifizierten Lücken Schritt für Schritt geschlossen und digitalisiert werden können. Bei der Abarbeitung dieser Roadmap ermöglicht eine kontinuierliche Dokumentation, dass Verbesserungen, falls nötig, noch einmal nachgezogen werden.
So weit, so bekannt. Neu hingegen ist der mittlerweile fast durchgängige Willen der Unternehmen, beim Vendor Management auf Industriestandards zu setzen, anstatt - wie zumeist in der Vergangenheit - individuelle Lösungen zu bevorzugen. Nicht mehr die Digitalisierung der bestehenden Ist-Prozesse ist heute das Mittel der Wahl, sondern Industriestandards wie ITIL, COBIT und andere allgemein bewährte Vorgehensweisen aus dem Multi-Provider-Umfeld.
Diese Kehrtwende speist sich sicherlich aus den oft ernüchternden Erfahrungen, welche die meisten Unternehmen in unzähligen IT-Projekten der vergangenen Jahre gemacht haben. So wurde nicht nur viel Geld für ein individuelles Prozessdesign und dessen Zertifizierung ausgegeben. Mehr noch: Unternehmen begaben sich in eine Abhängigkeit von ihren Lieferanten. Denn diese mussten aufwändig auf die Individualprozesse ihrer Auftraggeber geschult werden, was wiederum die Preise in die Höhe trieb.Zudem ließen sich Lieferanten nur schwer auswechseln und ersetzen, bedeutete doch jeder neue Lieferant auch wieder erheblichen Einarbeitungsaufwand. Und da die Zahl der Lieferanten anstieg, potenzierte sich dieser Kreislauf zunehmend.
Dies erklärt die Kehrtwende hin zum Standard, gerade im Vendor Management. Ist es hier doch auch das Ziel, Lieferanten möglichst einfach an Bord holen, einbinden oder auch wieder loslösen zu können. Insofern übernimmt das Design der Prozesse bei diesem Thema heutzutage meistens die angebotenen Standards und ist somit kein großes Thema mehr. Der Fokus liegt fast ganz auf dem Übergang vom manuellen zum digitalen Vorgehen.
Digitaler Aufbau statt Transition
Vor allem das Vertragsmanagement besteht traditionell aus einem Sammelsurium an Ressourcen aus unterschiedlichsten Bereichen. Professionelle Kräfte für das Sourcing oder Vertragsmanagement sind die absolute Ausnahme. Die meisten Mitarbeiter stammen aus den Fachbereichen und verfügen in der Regel nur über Fragmente der notwendigen Skills.
Dementsprechend gleicht die Transition des analogen Vendor Managements in die digitale Welt mehr einem Aufbau von Prozessen und Fähigkeiten. Durch die damit einhergehende Standardisierung der Prozesse stellt sich in der Praxis zumeist eine Erleichterung bei den beteiligten Mitarbeitern. Die standardisierten Prozesse und Rollen des digitalisierten Vendor Managements eignen sich insofern sehr gut, um die vorhandenen Mitarbeitern durch Learning by Doing zu Experten zu machen, ohne dass sie eine entsprechende Ausbildung mitbringen müssen.
Da die Digitalisierung immer auch mit Automatisierung einhergeht, steht und fällt diese Lernkurve auch mit der Qualität der eingesetzten Werkzeuge. Diese sollten die Mitarbeiter Schritt für Schritt durch die Prozesse führen und auf auftretende Fehler aufmerksam machen. Dies trifft auch auf die begleitenden Trainings und Schulungen zu - vor allem Online-Trainings, die zum Beispiel Quiz- und Testelemente aufweisen sollten, um möglichst didaktisch zu wirken.Vor allem in der Anfangsphase ergänzen klassische Gruppenseminare die Ausbildung der Mitarbeiter. Für leitende Funktionen hat sich zudem zusätzliches Eins-zu-Eins-Coaching bewährt.