Alle reden von der digitalen Transformation. Dabei denkt fast jeder zuerst an das Digitale, nur wenige an die Transformation. Doch die meisten Unternehmen fangen nicht auf der grünen Wiese an; ihre Systeme und Anwendungen sind oft über Jahrzehnte gewachsen, in unterschiedlichen Sprachen programmiert, für Plattformen jeglicher Art optimiert und über teils abenteuerliche Hängebrücken miteinander verbunden.
Die gewachsenen Systeme wegwerfen und alles neu entwickeln ist utopisch, denn sie sind unternehmenskritisch: Das darin enthaltene Wissen lässt sich nicht ohne Weiteres ersetzen. "Legacy heißt Vermächtnis und sollte eigentlich etwas Positives sein", sagt Stefan Tilkov, CEO der innoQ Deutschland GmbH mit Sitz in Monheim. Dass der Begriff negativ besetzt sei, liege nur daran, dass die "geerbten" Anwendungen so unbeweglich sind. Sie schneller, flexibler und agiler zu machen, ist das Ziel der Legacy-Modernisierung.
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Den Modernisierungsdruck spüren viele Unternehmen - und nicht erst seit gestern. In den großen Konzernen, in vielen Behörden, aber auch bei den größeren Mittelständlern schlummert so manche Legacy-Leiche im Keller. Budgets für die Wiederbelebung wollen aber allenfalls die extrem datengetriebenen Unternehmen, vor allem in der Finanzwirtschaft, locker machen.
In anderen Betrieben segeln Modernisierungsprojekte auch schon mal unter falscher Flagge. "Im Zusammenhang mit dem Stichwort Digitalisierung wurden Mega-IT-Budgets freigesetzt, die nun aber erst einmal für die Modernisierung der Kernsysteme investiert werden", hat Gunnar Tacke, Managing Business Analyst bei Capgemini, festgestellt.
- Andreas Espenschied, Senior Vice President bei der Software AG
„In einer standardisierten Entwicklungsumgebung kann man die Systeme Zug um Zug erneuern, was vor ausufernden Projekten bewahrt. Eine Big-Bang-Modernisierung wächst sich oft aus, weil man alles reinpacken will, was man über die Jahre versäumt hat. Zielführend ist es, einen kontinuierlichen Modernisierungsprozess zu implementieren.“ - Henning von Kielpinski, Vice President Geschäftsentwicklung und Allianzen bei der ConSol Software GmbH
„Eine hybride Cloud trennt Applikationslandschaften in einen lokalen oder in der Private Cloud betriebenen und einen damit verbundenen Remote-Anteil, der in der Public Cloud liegt. Der Hybrid-Gedanke ist schwierig umzusetzen, wenn er sich nicht von selbst aufdrängt. Manche Sachen gehen einfach nicht hybrid, und dann bringt es auch nichts, es mit Gewalt zu versuchen.“ - Georg Lauer, Senior Principal Business Technology Architect bei CA Deutschland GmbH
„Der Frage der Modernisierung ist keine Plattformdiskussion, sondern eine über geschäftskritische Systeme. Viele Unternehmen haben noch Mainframes und werden sie auch behalten. Häufig wollen die Kunden nur Teile der Funktionen in einer neuen Technik realisieren. Dazu kann man sich den Blick in die Anwendungslogik am Ende nicht ersparen.“ - Daniela Schilling, Geschäftsführerin der Delta Software Technology GmbH
„Kaum ein Unternehmen möchte seine Backend-Anwendung neu schreiben. Das kostet zu viel für das, was es bringt, und das Risiko ist enorm. Außerdem kann man mit einem neuen Frontend eher neue Kunden gewinnen. Aber dann läuft im Hintergrund Code, der in 40 Jahren gewachsen ist und zig Millionen Lines of Code umfasst, über den das Wissen aber inzwischen verloren gegangen ist.“ - Stefan Tilkov, CEO innoQ Deutschland GmbH
„Viele Unternehmen versuchen es mit einer IT der zwei Geschwindigkeiten. Die funktioniert aber nicht. Es ist ja nicht mit einem neuen Frontend getan, wenn die Geschäftsprozesse darunter unflexibel bleiben und sich nur unendlich langsam verändern lassen. Eine Two-Speed-IT kann nur einen Übergangsstatus beschreiben, darf also nicht das Ziel sein. Kernsysteme ändern sich zwar nicht so häufig, sollten aber dazu in der Lage sein.“ - Gunnar Tacke, Managing Business Analyst bei Capgemini:
„Den Modernisierungsdruck gab es immer, aber jetzt ist das Thema wieder aktuell. Was der Grund dafür ist? Unter dem Stichwort Digitalisierung wurden Mega-IT-Budgets freigesetzt, die nun erst einmal für die Modernisierung der Kernsysteme investiert werden. Allerdings hat das allein mit Digitalisierung noch nichts zu tun.“ - Axel Rupp, Partner bei Deloitte Consulting GmbH
Bei den Digitalisierungsstrategien wird häufig mehr Wert auf das Frontend gelegt: always online, Mobile, Customer Centricity, Omnichannel heißen die wichtigen und richtigen Anforderungen. Aber das Thema Backend darf nicht vernachlässigt werden. Hier wird letztlich das Geld verdient.“
Warum Legacy-Modernisierung?
So kommt es, dass sich derzeit schon fast ein Modernisierungs-Boom abzeichnet. Davon profitieren auch die Berater und Systemhäuser. Axel Rupp, Partner bei der Deloitte Consulting GmbH, sieht vier Treiber für diesen "ständig wachsenden Markt":
Die Entwickler, die das technische und das Business-Knowhow der Anwendungen haben, gehen in den kommenden Jahren nach und nach in den Ruhestand (der Fachjargon spricht hier vom "Brain Drain").
In der Implementierung von Geschäftsanforderungen dominieren immer mehr die Faktoren Agilität, Effizienz und Geschwindigkeit. Da können die älteren Systeme nicht mithalten.
Dasselbe gilt für offene Schnittstellen und Interoperabilität in der Systemlandschaft, die mittlerweile "Key" sind.
Die Betriebskosten der gewachsenen Systeme, vor allem auf dem Mainframe, sind sehr hoch, verglichen mit virtuellen Umgebungen oder Cloud-Ansätzen.
Allerdings beschränkt sich der Modernisierungsbedarf keineswegs auf den Mainframe. Daran erinnerte Georg Lauer, Senior Principal Business Technology Architect bei der CA Deutschland GmbH, seine Diskussionspartner: "Das hier ist keine Plattformdiskussion, sondern eine über geschäftskritische Systeme." Viele Unternehmen wollten ihre Mainframes durchaus behalten, und sie suchten nach Wegen, sie sinnvoll in eine moderne Umgebung einzubinden.
Auf der anderen Seite sind Legacy-Probleme auch bei Anwendern zu finden, die noch nie etwas mit Mainframes zu tun hatten. Laut innoQ-Geschäftsführer Tilkov gibt es "Unmengen von Delphi-, C++ oder Java-Programmen, die niemand mehr warten kann".
Zum Thema Legacy-Modernisierung führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch. Die Studie soll zeigen, wie deutsche Manager das Thema Legacy-Modernisierung in ihren Unternehmen angehen. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann hilft Ihnen Frau Nicole Bruder (nbruder@idg.de, Telefon: 089 36086 137) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download. |
Services und Microservices
Diese Probleme sind nicht neu. Vor zehn Jahren textete die COMPUTERWOCHE: "Wertstoff Legacy-Code: Rette ihn wer kann". Genau genommen war die Wiederverwendung vorhandener Software schon im vergangenen Jahrtausend ein Thema auf Software-Engineering-Konferenzen. Und eine ganze Reihe von Unternehmen portiert heute noch einen Teil ihres Software-Codes auf neuere Programmiersprachen, beispielsweise von Cobol auf Java. Nach Rupps Überzeugung ist ein solches Szenario hinsichtlich Projektlaufzeit, Kosten und RoI der Neuentwicklung vorzuziehen.
Auch auf der Anwendungsebene wurden längst Konzepte entwickelt, mit denen sich technisch veraltete Applikationen weiter nutzen und integrieren lassen. Zu Beginn des Jahrtausends machte die SOA (Service-orientierte Architektur) Furore, weiterentwickelt wurde sie zu den "Microservices". Beiden gemeinsam ist die Idee, Applikationen in überschaubare Bestandteile ("Services") zu zerlegen und über eine Verbindungsschicht (zum Beispiel einen Enterprise Service Bus) anzusprechen.
Eine solche Architektur ist technisch anspruchsvoll. Damit die monolithischen Altanwendungen dort hinein passen, müssen sie entlang ihrer geschäftlichen Logik zerteilt werden. Es reiche nicht, ein neues Frontend vor die Anwendung zu packen, warnt Tilkov: "Die spannende Logik steckt im Backend". Doch unternehmenskritische Applikationen zu zerteilen bedeute einen "enormen Kraftakt".