Die Morgendämmerung des Schaufenster-Modells
Neben diesen grundlegenden Prozessverbesserungen wird Technologie aus unserer Sicht auch im Investment Banking die Ankunft eines "Schaufenster"-Modells einläuten - etwas, was bisher nur für Geschäftsbanken galt. Der entscheidende Faktor ist hier der Grad der Personalisierung, die in diesem Fall institutionellen Anlegern, vermögenden Einzelpersonen und sogar Staaten geboten wird.
Im Vergleich zu den "Eines-passt-für-alle"-Ansätzen von früher wird den Kunden nun ein nach ihren Wünschen konfigurierter Strauß an Produktkombinationen präsentiert, etwa so wie für einen Privatkunden ein Darlehen zugeschnitten wird.
So könnte beispielsweise die Ausgabe einer Anleihe ähnlich einfach abgewickelt werden wie die Bestellung einer Hypothek, während eine Mezzanine-Finanzierung über eine Reihe einfacher, Kontext-abhängiger Schritte von der Profilierung über die Risikoermittlung bis hin zur Genehmigung realisiert werden könnte. Aus diesen Gründen sehe ich spezialisierte Investmentbanken ohne einen Geschäftsbankenanteil zu einem ausgeklügelten "virtuellen Fenster" werden, durch das Kunden jeglicher Risiko- und Anforderungsprofile nach Diensten Ausschau halten können.
In dem Maße wie dieses Modell Fuß fasst, können institutionelle Kunden Trading-Portfolios und andere Produkte mit simulierten Erträgen "probefahren". Dieser Zugang zu hochentwickelter, über die Bank zur Verfügung gestellter Software gibt Kunden zusätzliche Kaufanreize. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis den Kunden ähnliche Plattformen für das Trading und Risikomanagement offen stehen, so wie uns heute Amazon vor dem Kauf das virtuelle Blättern in einem Buch ermöglicht.
Organisationen wie Goldman Sachs führen hier das Feld an, gestalten dementsprechend ihre Dienstleistungen und vermarkten sich selbst als im Banking-Geschäft tätige Tech-Firmen.
- Zehn Erkenntnisse aus der Fintech-Szene
Die mannigfaltigen Spielarten der Fintech-Szene sowie deren Geschäftspotenzial und "Sprengkraft" im Markt hat die Unternehmensberatung Pass IT-Consulting aus Aschaffenburg in einer Studie untersucht. - 1. Fintechs entwickeln sowohl Lösungen, ...
... die Bankenleistungen ersetzen können, als auch solche, die den Service oder die Wertschöpfungskette der Banken anreichern. - 2. Sie visieren oft Kernbereiche der Banken an, ...
... zum Beispiel den Zahlungsverkehr oder das Kreditgeschäft, bisweilen aber auch Rand- und nicht wertschöpfende Bereiche. - 3. Die meisten Fintechs im B2B-Bereich richten ...
... sich auf Kooperationen mit Banken oder großen Internet-Konzernen aus. - 4. Das heißt im Umkehrschluss:
Als direkte Angreifer der etablierten Banken positionieren sich nur wenige. - 5. Der Markt ist sehr dynamisch:
Aus Angreifern könnten kurz- oder mittelfristig auch Zulieferer, also Kooperationspartner der Banken, werden. - 6. Die Banken selbst messen den Fintechs ...
... innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre eine steigende Bedeutung bei. - 7. Dabei sehen die Bankenvertreter sowohl Chancen ...
... als auch Risiken im Zusammenhang mit den Fintechs. - 8. Viele von ihnen fürchten ...
... allerdings ganz konkret eine Beeinträchtigung ihres Kerngeschäfts durch die Aktivitäten der Fintechs. - 9. Die "Zulieferer" unter den Fintechs ...
... haben viel Marktpotenzial. Ihre Kompetenz reicht von Customer-Service-Automatisierung über Videolegitimierung und Customer Journey bis zu Big Data Rating. - 10. Das "Eruptionspotenzial" hingegen ist nur bei wenigen Fintechs wirklich hoch.
Wie die Studie ausweist, sind vor allem zwei Bereiche herausragend: Mobile Payment - sofern es mit Mehrwerten wie neuen Kassensystemen verbunden ist - sowie der Kreditmarkt für kleinere und mittlere Unternehmen.
Dieses neue Modell zwingt die Investmentbanken zu überdenken, wie sie die Preise und den Zuschnitt ihrer Produkte gestalten. Oftmals nutzen sie hierbei die Gelegenheit und verlangen Aufschläge für personalisierte Produkte, was nebenbei auch die Wertigkeit eines Kunden erhöht. Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass sich zunächst kleinere, agilere Investmentbanken auf diesen Weg begeben, so wird die Veränderung letztlich Organisationen aller Größen erfassen.
Ebenso interessant wird sein, wie sich dieser Trend auf das Schicksal traditioneller Investmentbanken auswirkt, die gerade im eher als Mainstream anzusehenden Privatkundengeschäft wildern; Goldman Sachs ist hierfür mit seiner Darlehensplattform Marcus, die 2018 in Großbritannien starten soll, das Paradebeispiel. Im Falle von Goldmann werden dabei Online-Einlagen und nominelle Kreditbeträge abgedeckt, was sowohl die etablierten Player im Normalgeschäft angreift als auch eine nachhaltigere Kundenbasis schafft. Und wenn sich schon herkömmliche Sell-Side-Firmen in den Geschäftsbanken-Bereich wagen, sollte es nicht lange dauern, bis wir Zeuge werden, dass das "Schaufenster-Modell" auch für einen größeren Kundenquerschnitt im Bereich Investment- und Geschäftsbanken gilt.
Die Brücke zur Personalisierung überqueren
Je nachdem, wie weit dieser Weg beschritten wird, erfordert das neue Modell eine Überholung sowohl der technologischen Infrastruktur einer Organisation als auch der Abläufe vom Kundenerlebnis bis zur Gestaltung des Backends. Oder anders gesagt: Wie der Preis für ein Produkt festgelegt, wie es verkauft, abgewickelt, freigeschaltet und gepflegt wird. Investmentbanken geraten zunehmend in eine Lage, in der sie sich anpassen und differenzieren müssen - oder sie finden sich in einem Wettlauf mit preislich unterbietenden Konkurrenten wieder.
- 1. Prozesse neu denken
Alle Prozesse, die für den Kunden relevant sind, sollten von außen nach innen gedacht werden, also das optimale Kundenerlebnis zum Ausgangspunkt nehmen. Das erfordert ein Umdenken, das zum einen den Kunden in seiner Onlinewelt schon bei der Produkt- und Servicegestaltung in den Mittelpunkt stellt und sich zum anderen auf Datendurchgängigkeit und einheitliche CRM-Systeme fokussiert. - 2. Einheitlichkeit schaffen
Im Rahmen des Umdenkens gilt es auch, die Kundenkontaktpunkte zu vereinheitlichen - und zwar alle, online wie offline, über Texte, Grafiken, Tonalität, Kontaktpersonen und Services hinweg. Diese Einheitlichkeit sollte jeden Prozessschritt für den Kunden einfach und verständlich machen. Dazu gehört auch, eine durchgehend persönliche Ansprache mit einem Berater als Absender oder zumindest einer gleichbleibenden Servicestelle. - 3. Kontinuierlich optimieren
Wer den Kunden besser verstehen will, muss die bestehenden Prozess aus seiner Perspektive analysieren. Dazu gehören sowohl Stärken als auch Schwächen. Anschließend sind messbare Verbesserungen zu definieren, die dann kontinuierlich korrigiert werden sollten. Eine große Rolle spielt hier die Einbindung der relevanten Abteilungen, zum Beispiel Produktmanagement, Call Center, Sales und Marketing. - 4. einen Verantwortlichen bestimmen
Um alle an einen Tisch zu bringen, braucht es eine zentrale Verantwortlichkeit für den Kundenprozess. So kann an einer zentralen Stelle auch objektiv gemessen werden, wie und wodurch der Kundenprozess verbessert wurde. Dieser Person obliegt die Planung und Durchführung der Maßnahmen zum Online-Erlebnis als ein Aktionsstrang der gesamten Digitalisierungs-Roadmap. - 5. Durchgängigkeit gewährleisten
Prozessbrüche und Prozesswechsel sind zu vermeiden. Zum Beispiel der Bruch zwischen Online-Formular und anschließendem Filialbesuch. Es lohnt sich, aus Kundensicht zu prüfen, ob tatsächlich die Notwendigkeit traditioneller Kommunikationskanäle wie Briefsendungen besteht. Hier hilft die Frage: Wie können interne Hindernisse zugunsten einer durchgängigen Online-Customer-Experience verringert oder beseitigt werden?
Ironischerweise waren die letzten Jahre durch den allgegenwärtigen Fokus auf eine Revolution des "Kundenerlebnisses" im Bereich Verbraucherkredite kennzeichnet, und nun sind es die Investmentbanken, die auf den Wandel gebürstet sind. Der Weg weg von einer faden Trading-Welt hin zu personalisierteren Angeboten könnte in einem größeren Schaufenster mit mehr Produkten münden als es die Geschäftsbanken bieten können. Doch die Auswirkung würde sich nicht unterscheiden, da die Technologie auch das Kauferlebnis für institutionelle Anleger vereinfachen würde.
Für die Branche bedeutet das alles jedoch unzweifelhaft eine tektonische Plattenverschiebung. Ob es sich in Schritten ereignet oder alles auf einmal passiert sei dahingestellt, in jedem Fall werden wir einen grundlegenden Wandel erleben, wie Banken mit ihren Kunden interagieren. Unabhängig davon wie schnell der Übergang erfolgt und wie die Bereitstellung aussieht, müssen die Banken sich immer vergegenwärtigen, dass sie den Kunden ihre Dienstleistung so intuitiv wie möglich anbieten sollten.