Digitalisierungsnachteile

IT – Klimakiller oder Klimaretter?

10.02.2020
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Energieeffizienz-Label für Rechenzentren

Hewlett Packard Enterprise (HPE) hat in Davos die Allianz Swiss Datacenter Efficiency Asso­ciation (SDEA) vorgestellt. Ziel der Allianz ist es, zunächst die Schweizer Rechenzentren zu dekarbonisieren und deren Gesamtstromverbrauch signifikant zu senken. Dabei helfen soll das "Swiss Data Center Efficiency Label", das in einem nächsten Schritt auch der Europäischen Kommission und den Vereinten Nationen vorgestellt werden soll. Mit dem Label soll es mehr Transparenz im Betrieb von Data-Centern geben.

"Die heutigen Methodiken betrachten isolierte Aspekte der Nachhaltigkeit und der Effizienz von Rechenzentren", sagte Christopher Wellise, Chief Sustainability Officer bei HPE. "Sie erfassen nicht den gesamten Fußabdruck bezüglich CO2-Emissionen und Stromverbrauch." Das „Swiss Data Center Efficiency Label“ verfolge dagegen einen ganzheitlichen Ansatz, indem es alle Aspekte des Stromverbrauchs und der Stromversorgung sowie die Weiterverwertung der Energie berücksichtige.

Das "Swiss Data Center Efficiency Label" soll anzeigen, wie umweltfreundlich eine Rechenzentrum arbeitet.
Das "Swiss Data Center Efficiency Label" soll anzeigen, wie umweltfreundlich eine Rechenzentrum arbeitet.
Foto: Swiss Datacenter Efficiency Asso­ciation / HPE

Benoît Revaz vom Bundesamt für Energie in der Schweiz begrüßte die Initiative. Das Swiss Data Center Efficiency Label könne dazu beitragen, die negativen Auswirkungen einer der digitalen Grundpfeiler unserer Gesellschaft zu verringern. "CO2-neutrale Stromquellen und energieeffiziente digitale Technologien sind bereits verfügbar; für ihre umfassende Einführung braucht es aber geeignete Methodiken, das Engagement der Industrie und die politische Umsetzung."

Neben HPE bemühen sich bereits seit geraumer Zeit die Cloud-Hyperscaler weltweit, ihre zahlreichen Rechenzentren effizienter zu betreiben. Apple, Amazon, Facebook, Google und Co. setzen zum Beispiel auf regenerative Energiequellen und versuchen mit modernen Kühlungskonzepten auch die Abwärme ihrer IT-Systeme wieder nutzbar zu machen.

Stromfresser Data-Center

Tatsächlich muss sich die IT-Industrie etwas für den Klimaschutz einfallen lassen. Immer mehr Rechenzentren verbrauchen gewaltige Mengen an Strom und begünstigen damit den Klimawandel. Wie dringend es ist, gerade den Energieverbrauch im Data-Center näher unter die Lupe zu nehmen und nach Wegen zu suchen, diesen zu verringern, zeigen jüngste Forschungsergebnisse. Beispielsweise untersucht das Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit gemeinsam mit Wirtschaftsunternehmen und Forschungspartnern in einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt die Umweltwirkungen von Rechenzentren.

Der Hunger nach Strom in deutschen Rechenzentren wächst.
Der Hunger nach Strom in deutschen Rechenzentren wächst.
Foto: Borderstep Institut

"Der ganzheitliche Energiebedarf der Rechenzentren steigt sehr deutlich an", konstatierte Mitte Dezember 2019 Alexandra Pehlken, Projektleiterin von "Total Energy Management for Professional Data Centers" (TEMPRO). Die zunehmende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft benötige immer mehr Energie und natürliche Ressourcen. "Wir konnten berechnen, dass die mehr als 50.000 Rechenzentren in Deutschland im Jahr 2018 rund 14 Milliarden kWh Strom verbrauchten.

Das sind 2,7 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland und fast 40 Prozent mehr als im Jahr 2010." Zum Vergleich: Ein Kernkraftwerk mittlerer Größe kommt auf eine Jahresstromproduktion von zirka elf Milliarden kWh. Hinzu kommt Pehlken zufolge noch die sogenannte graue Energie, die bei der Herstellung und beim Transport der in den Rechenzentren einge­bauten Geräte und Anlagen entsteht.

Die Borderstep-Experten gehen davon aus, dass der Stromverbrauch der Rechenzentren weiter zunehmen wird. "Trotz deutlicher Effizienzgewinne wird der Energie- und Ressourcenbedarf der Rechenzentren in Deutschland bis 2030 voraussichtlich um mehr als 50 Prozent steigen", prognostiziert Ralph Hintemann, Senior Researcher und TEMPRO-Projektverantwortlicher am Borderstep Institut. Wirtschaft und Gesellschaft erzeugten immer mehr Daten, die übertragen, verarbeitet und gespeichert werden müssten. "Das führt zu immer mehr sehr großen Rechenzentren." Dazu kämen neue Technologien wie das autonome Fahren, Industrie 4.0 und der Ausbau der 5G-Mobilfunknetze, die zusätzlich Daten erzeugten und Rechenressourcen benötigten.

Neue Technologien brauchen mehr Strom

Der deutsche Energieversorger Eon schätzt, dass allein 5G bis 2025 den jährlichen Strombedarf in deutschen Rechenzentren um 3,8 Milliarden kWh erhöhen wird. Für Eon-Vorstandsmitglied Karsten Wildberger muss es daher darum gehen, den zusätzlichen Strom­bedarf von Beginn an klimafreundlich abzudecken. "Digitalisierung heißt mehr Daten, mehr Rechenkapazität, mehr Rechenzentren", lautet seine Bilanz. "Bis 2030 werden bis zu 13 Prozent des weltweiten Strombedarfs von Rechenzentren benötigt. Hier brauchen wir eine nachhaltige Energieversorgung."

In den kommenden Jahren würden zudem immer mehr kleinere sogenannte Edge-Rechenzentren gebaut, sagt Ralph Hintemann von Borderstep. Der energieeffiziente Aufbau und Betrieb dieser Anlagen stellten eine Heraus­forderung dar. "Im Jahr 2030 können Edge-Rechenzentren für ein Drittel des Energiebedarfs aller Rechenzentren in Deutschland verantwortlich sein."

Bitcoin als Klimagas-Schleuder

Die Kryptowährung Bitcoin benötigt für ihre Rechenoperationen riesige Mengen an Energie. Das hat im vergangenen Jahr ein interdisziplinäres Forscherteam an der Technischen Universität (TU) München herausgefunden. Demzufolge verbrauchte das Schürfen nach dem virtuellen Gold knapp 46 Milliarden kWh pro Jahr – laut Messungen vom November 2018.

Die Wissenschaftler haben ferner ermittelt, wo die großen Rechenanlagen lokalisiert sind, die nach Bitcoins schürfen. Der Großteil findet sich in Asien, beispielsweise in China. Dort wird Strom zu einem Großteil noch aus Kohlekraftwerken gewonnen, die die Umwelt stark belasten. Insgesamt kamen die Forscher auf einen jährlichen CO2-Ausstoß des weltweiten Bitcoin-Systems von über 22.000 Tonnen. "Das CO2-Äquivalent des Bitcoins liegt damit in der Liste der globalen Emittenten zwischen Rang 82 und 83", sagte Christian Stoll, der an der TU München und am Massachusetts Institute of Technology (MIT) forscht. In Deutschland wäre dieser Wert mit dem CO2-Fußabdruck der Stadt Hamburg vergleichbar.

"Auch wenn es bedeutendere Faktoren für den Klimawandel gibt: Der CO2-Fußabdruck ist so groß, dass er Anlass genug bietet, um über die Regulierung von Krypto-Mining an Standorten mit CO2-intensiver Stromproduktion zu diskutieren", konstatierte Stoll. "Um die ökologische Bilanz zu verbessern, wäre es beispielsweise möglich, mehr ,Mining-Farmen‘ mit zusätzlicher Erzeugung von erneuerbarer Energie zu koppeln."

Einmal KI = fünfmal Auto

Wie stark neue IT-Technologien die Umwelt belasten können zeigt sich auch am Beispiel künstliche Intelligenz (KI). In einer Studie haben die Forscher an der University oft Massachusetts festgestellt, dass das Training eines neuronalen Netzes für Natural Language Processing (NLP) fünfmal so viel CO2 freisetzen kann wie fünf durchschnittliche US-Autos während ihres gesamten Lebenszyklus – inklusive Produktion des Fahrzeugs. "Während viele von uns wahrscheinlich auf einer abstrakten, vagen Ebene darüber nachgedacht haben, zeigen die Zahlen das wirkliche Ausmaß des Problems", kommentierte Carlos Gómez- Rodríguez, ein Informatiker an der Universi­dade da Coruña in Spanien, die Zahlen in einem Artikel der MIT Technology Review. "Weder ich noch andere Forscher, mit denen ich sie diskutiert habe, dachten, die Umweltauswirkungen seien so erheblich."

Das Datenvolumen im monatlichen Internet-Verkehr steigt unaufhörlich.
Das Datenvolumen im monatlichen Internet-Verkehr steigt unaufhörlich.
Foto: Cisco

Derzeit lässt sich schwer abschätzen, wie sich der Energiebedarf der weltweiten IT-Infrastrukturen genau entwickelt. Aber gerade die immer stärkere Nutzung von Internet und Streaming-Angeboten dürften den Stromverbrauch rasant in die Höhe treiben. Ralph Hintemann zufolge entspricht die CO2-Belastung durch das weltweite Internet-Surfen bereits der des globalen Flugverkehrs. Streaming-Angebote machten mittlerweile weit mehr als die Hälfte des Datenvolumens in den weltweiten Netzen aus, schätzt Ausrüster Cisco. Allein Youtube wächst pro Minute um etwa 400 bis 500 Stunden Bewegtbild. Den Stromverbrauch, um diese immer größeren Mengen an Video­daten bereitzustellen, taxieren Experten auf mittlerweile über 200 Milliarden kWh pro Jahr. Damit könnte man sämtliche Haushalte in Deutschland gut zwei Jahre lang mit Strom versorgen.