Nur noch ein paar Runden trennen Lewis Hamilton vom Sieg beim Großen Preis von Monaco 2015. Und selbst als das Rennen wegen eines Unfalls neu gestartet wird, kann alles weiter nach Plan laufen. Permanent werden über rund 200 Sensoren alle Daten des Formel-1-"Silberpfeils" in Echtzeit an die Box gemeldet, die Taktik in jeder Millisekunde aktualisiert. Doch dann funkt der Fahrer dazwischen - er braucht neue Reifen.
Die IT-Experten des Mercedes-Teams klicken sich durch ihre Programme, am Kommandostand wird diskutiert - da rollt das Auto auch schon an. Ein paar Daten-Ingenieuren dämmert bereits, was das bedeutet. Denn rund um den von Felsen und Wolkenkratzern eingekesselten Yachthafen von Monaco funktioniert die GPS-Ortung nicht richtig. Die Abstandsberechnung zur Konkurrenz ist deshalb zu vage - als Hamilton wieder auf die Strecke kommt, ist er nur noch Dritter. Das lässt Niki Lauda, Ex-Formel-1-Star und starker Mann im Hintergrund des Weltmeister-Rennstalls, mal wieder gegen die "Computer-Generation" wettern. Allerdings sind es in diesem Fall nicht die Maschinen, die sich geirrt haben: Die Ingenieure haben die Daten schlicht falsch interpretiert.
Formel IT: Datenhunger im Motorsport
Diese Episode aus dem Mai 2015 veranschaulicht den technologischen Wandel in der Königsklasse des Motorsports. Denn die Formel 1 könnte inzwischen auch Formel IT heißen: Bei einem durchschnittlichen F1 Grand Prix sammelt jeder der zehn Rennställe circa 250 Terabytes an Daten. Es ist der Versuch, diesem hochgefährlichen Sport ein Stück seiner Unberechenbarkeit zu nehmen. Ohne Elektronik, Datenanalyse und Big Data läuft heutzutage in der Formel 1 nichts mehr - zumindest nicht so wie gewohnt. Auch deshalb übersteigt die Anzahl der IT-Experten in einem F1-Team die der Mechaniker inzwischen um ein Vielfaches. In der untenstehenden, interaktiven Grafik sehen Sie wo und wie Daten in einem Formel-1-Rennwagen aggregiert werden.
F1-Piloten als "gläserne" Autofahrer
Die Vor- und Nachbereitung eines Rennwochenendes zieht sich mitunter über Wochen. Kein Wunder, schließlich kann ein Grad Temperaturunterschied den gewinnbringenden Vorteil bei der Wahl des Reifens ausmachen, der Tankinhalt muss minutiös auf Renndistanz und -verlauf abgestimmt werden - unter Berücksichtigung der Hochrechnungen für zwanzig mehr als 300 km/h schnelle Boliden. Daten und Taktik werden von den Renningenieuren analysiert und auf das nächste Rennen übertragen. Die Werte sind nicht diskutabel: Jeder noch so kleine Fahrfehler eines Piloten sorgt für einen heftigen Ausschlag im Datendiagramm - in der Formel 1 ist der "gläserne Fahrer" also bereits Realität.
Allerdings nutzen Fakten alleine wenig: es kommt vor allem darauf an, aus dem Wust der gesammelten Daten die richtigen herauszuziehen. Zu diesem Zweck kommt eine Software zum Einsatz, die die Daten der letzten Jahre, die verschiedenen Wetterszenarien sowie die Hochrechnungen für die sich permanent verändernde Aerodynamik mit dem Hybrid-Antriebsstrang des F1-Wagens synchronisiert. Dazu kommen auch noch Daten aus den Fahrsimulatoren, die ähnlich realistisch und aufwändig gebaut sind wie die Trainingsgerätschaften für die Luft- und Raumfahrt-Industrie. Der oft gezogene Schluss, Formel-1-Fahrer würden heutzutage wegen der modernen Technik nicht viel mehr leisten müssen als der Ottonormalverbraucher an der Playstation, ist an den Haaren herbeigezogen: In der Formel 1 darf die IT niemals von außen aktiv in Fahrzeugsysteme eingreifen.
Während der rund 90 Rennminuten senden die F1-Boliden ihre Daten auf 300 Kanälen gleichzeitig. Die Nutzung eines Mobiltelefons an der Strecke ist während dieser Zeit praktisch unmöglich, so stark sind die Netze durch die Telemetrie-Daten überlastet. Viele Sensordaten dienen jedoch auch der Vorbeugung: Überlastete Bremsen oder Reifen können, ebenso wie ein zu hoher Benzinverbrauch - früh erkannt und diese Informationen an den Fahrer weitergeleitet werden. Dieser kann auf Grundlage dieser vorhersehenden Analyse von seinem High-Tech-Lenkrad aus zahlreiche Balanceeinstellungen vornehmen.