Schockierte der Bitkom im Dezember 2023 mit der Meldung, dass allein in den deutschen Unternehmen 149.000 IT-Stellen nicht besetzt werden können, sieht es für die weitere Zukunft sogar noch schlimmer aus. Der Branchenverband geht in einer aktuellen Untersuchung davon aus, dass der Bedarf an IT-Fachkräften bis 2040 jährlich um 2,5 Prozent auf knapp zwei Millionen ansteigt. Gleichzeitig werde das Angebot an IT-Fachkräften nur leicht auf 1,256 Millionen ansteigen - sofern die entsprechenden Maßnahmen auf dem aktuellen Niveau fortgeführt werden. Das Resultat wäre eine eklatante Lücke von 663.000 IT-Experten.
"Eine immer größer werdende Fachkräftelücke in der IT bedeutet einen Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, Wertschöpfung, Wachstum und Wohlstand", warnte Bitkom-Präsident Dr. Ralf Wintergerst bei der Vorstellung der Studie. Ohne IT-Spezialistinnen und -Spezialisten verspiele Deutschland seine digitale Zukunft und laufe Gefahr, zu einer Digitalkolonie zu werden. "Umso wichtiger ist, dass wir jetzt die Weichen stellen und erfolgreich gegensteuern. Wenn wir jetzt konsequent handeln, muss diese Projektion nicht Realität werden", so Wintergerst. Der Bitkom sieht dabei vier Ansatzpunkte für Gegenmaßnahmen:
1. Studium und Ausbildung fördern
Aus Sicht des Branchenverbands ließe sich das Interesse an IT-Berufen durch bildungspolitische Maßnahmen weiter steigern. Der Bitkom setzt dabei insbesondere auf mehr Mädchen und Frauen: So seien aktuell nur rund 21 Prozent der Studierenden und 10 Prozent der Auszubildenden im Bereich Informatik weiblich. Wenn der Frauenanteil unter denjenigen, die Studium und Ausbildung abschließen, auf 50 Prozent erhöht würde, könnten bis 2040 weitere 25.500 IT-Fachkräfte zur Verfügung stehen. Das sei kein Ding der Unmöglichkeit, erklärte Wintergerst und verwies auf interdisziplinäre Studiengänge wie Bioinformatik und Medizininformatik, wo der Frauenanteil bereits bei 40 Prozent liege.
Ein weiterer Ansatzpunkt im Bereich Studium ist die Reduzierung der Abbrecherquote in den Informatik-Studiengängen - diese liegt mit 42 Prozent deutlich über dem Durchschnitt aller Studiengänge (27 Prozent). Mit einer Senkung der Abbrecherquote auf 20 Prozent könnten bis 2040 weitere rund 55.000 hochqualifizierte IT-Fachkräfte in Deutschland gewonnen werden, rechnete der Bitkom-Präsident vor. Es brauche eine Reform der Studiengänge, so Wintergerst - ein Lösungsansatz wäre eine Aufteilung nach Mindestqualifikation und Hochspezialisten, wie er in Indien gehandhabt werde.
Um mehr junge Menschen motivieren - das Ziel sind hier rund 27.000 weitere IT-Experten bis 2040 - fordert der Bitkom außerdem Maßnahmen wie bundesweit ein Pflichtfach Informatik ab der Sekundarstufe 1 oder kooperationen zwischen Schule und Wirtschaft.
2. IT-Quereinstieg erleichtern
Laut Bitkom sind aktuell rund ein Viertel aller Fachkräfte in der IT-Branche Quereinsteiger. Durch konkrete Maßnahmen wie die Förderung von Quereinstiegsprogrammen und Bootcamps sowie den Ausbau von Beratungsangeboten könne dieser Wert noch um 50 Prozent erhöht werden, was rund 129.500 zusätzlichen Fachkräften entspeche.
"Wichtig sind Flexibilität und Kreativität", erklärte Wintergerst. So sollten etwa gemäß dem Modell Bildungsteilzeit Menschen, die sich in die IT, aber auch in andere Mangelberufe orientieren wollen, gezielt finanziell unterstützt werden. Aber auch die Unternehmen selbst müssten in ihre Zukunft investieren und Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowohl von aktiven als auch von potenziellen Beschäftigten massiv ausbauen.
3. Längere Beschäftigung unterstützen
Zugleich könnten laut Bitkom bis 2040 weitere rund 68.500 IT-Fachkräfte zusätzlich zur Verfügung stehen, wenn ältere Beschäftigte über das Renteneintrittsalter hinaus freiwillig im Arbeitsmarkt blieben. Aktuell sind gerade einmal 1,5 Prozent der IT-Beschäftigten 65 Jahre alt oder älter - über alle Berufsgruppen hinweg liegt der Wert bei 4 Prozent.
Um diesen Anteil zu erhöhen, brauche es jedoch finanzielle Anreize für Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen, zugleich sollten die Sozialabgaben für Erwerbstätige im Rentenalter ganz abgeschafft oder zumindest deutlich verringert werden, so Wintergerst. "Gleichzeitig müssen gerade die besonders jugendorientierten Tech-Unternehmen eine Kultur entwickeln, die Ältere als wichtigen Teil von Diversität begreift und das auch lebt. Hier sind andere Länder deutlich flexibler", erklärte der Bitkom-Chef.