"Hört auf, euch ständig zu hinterfragen!"

Erfahrene IT-Frauen reden Klartext

30.11.2015
Von Anja Dilk

Leider sei beim weiblichen Nachwuchs von dieser Haltung nicht viel zu spüren. Im Gegenteil. Das zeigte sich erst neulich, als Heinemann in einem Seminar einen Elevator-Pitch übte. Einem fiktiven Personaler sollten die Studierenden im Aufzug erklären, wieso sie die richtige Kandidatin für den Posten seien. Eine Studentin warb für sich mit diesen Argumenten: "Das Tolle ist: Ich kann, was Sie brauchen, und Sie müssen weniger für mich bezahlen, weil ich eine Frau bin." Heinemann: "Unglaublich, aber das Mädel meinte es wirklich ernst." Umso mehr ermuntert Heinemann daher ihre Studentinnen: Hört auf zu jammern und euch ständig selbst zu hinterfragen. Handelt.

Frauen haben oft keine Lust auf den toughen Kurs

Dagmar Schimansky-Geier, Chefin der auf IT-Recruiting spezialisierten Personalberatung 1A Zukunft in Bonn, kann die Klagen über ein frauenfeindliches Klima in der IT ohnehin nicht mehr hören. Ja, in Tech-Jobs sei das Klima manchmal rauer, ein Projekt entschlossen durchzuziehen ist gefragt. "Wer das aber tut, mit Passion ans Thema geht und etwas kann, wird durchaus akzeptiert, auch als Frau", sagt die Beraterin. Nur: Auf so einen toughen Kurs, haben Frauen oft keine Lust. "Frauen ticken anders."

Dagmar Schimansky-Geier ist Chefin der auf IT Recruiting spezialisierten Personalberatung 1A Zukunft in Bonn.
Dagmar Schimansky-Geier ist Chefin der auf IT Recruiting spezialisierten Personalberatung 1A Zukunft in Bonn.
Foto: 1A Zukunft

Dabei wäre Schimanksky-Geier froh über mehr Kandidatinnen für IT-Jobs. "Bringen Sie doch mal eine Frau", sagen ihre Kunden immer wieder. Doch woher nehmen? Gerade mal 16 Prozent der Namen in ihrer Datenbank sind weiblich. "Es fragen einfach keine Frauen an", so Schimansky-Geier. Vor ein paar Wochen hat sie hängeringend einen "Leiter IT-Infrastruktur" gesucht, ein sehr technisches Jobprofil. 193 mögliche Kandidaten fanden ihre Rechercheure in der internen Datenbank und auf den großen Jobplattformen - nur eine davon eine Frau. Auf die Shortlist für die Endauswahl schaffte auch sie es nicht. Ihr Profil passte doch nicht ausreichend.

Susanne Ihsen ist Professorin für Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität (TUM) München.
Susanne Ihsen ist Professorin für Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität (TUM) München.
Foto: TU München

Was also muss sich ändern, damit mehr Frauen den Schritt in die IT wagen? "Wir müssen die Bedürfnisse von Frauen stärker berücksichtigen", meint Susanne Ihsen, Professorin für Gender Studies in den Ingenieurwissenschaften an der Technischen Universität (TUM) München. Das fängt schon in der Studienberatung an, die "mehr auf Kontextbezug setzen" sollte. Ihsen: "Frauen wollen wissen, was sie mit ihrem Programmierwissen anfangen können und wem es nutzt." In der Medizininformatik etwa. "Bunter und menschlicher", sollten sich die Studiengänge präsentieren und offener für andere Disziplinen.

IT-Branche eröffnet viele unterschiedliche Welten

In Sachen Frauenförderung ist noch Luft nach oben

Gute Ansätze. Trotzdem sieht die Professorin in Sachen Frauenförderung "noch Luft nach oben". In einer Studie hat Ihsen Studentinnen zu ihren Erfahrungen in IT-Studiengängen befragt. Zwar erzählen nur 0,5 Prozent von Diskriminierungen wie Pfeiffen im Hörsaal. "Doch immer noch müssen sich Frauen permanent erklären", so Ihsen. Wieso haben sie die Computer AG an der Schule gewählt, wieso studieren sie Informatik? Ständig müssen sie sich beweisen. Als erste Frau im Seminar, im Praktikum, auf einer Projektstelle. Spätestens in der Familienphase steigen viele aus. Die Schlussfolgerung liegt für Ihsen auf der Hand: "Frauen in der IT brauchen eine selbstverständliche professionelle Akzeptanz."

Nicht nur an der Hochschule, auch in den Unternehmen. "Firmen sollten dringend das Image der IT-Berufe verbessern", rät der Executive-Personalprofi Christian Menczik aus Lünen. "Sie müsse zeigen, dass IT-Jobs keineswegs von einer pickeligen Nerdkultur geprägt und Frauen höchst willkommen sind." Denn Frauen, beobachtet Menczik, wählen einem Job vor allem danach, wo sie sich wohl fühlen.

Executive-Personalprofi Christian Menczik aus Lünen.
Executive-Personalprofi Christian Menczik aus Lünen.
Foto: Christian Menczik

Frank Geßner weiß, wie sehr das Nerd-Image der Branche viele Frauen abschreckt. Der Serienunternehmer hat sein ganzes Berufsleben lang Techteams aufgebaut, egal ob beim Online-Shopping-Pionier Intershop in den USA oder heute als Chef des Job-Marktplatzes für IT-Experten 4Scotty in Berlin. 2500 Bewerbungsgespräche hat er mittlerweilegeführt, gerade mal 50 Frauen waren dabei. Immer wieder ermutigt er sie: Traut euch auf neue Berufsfelder. Unsere Softwareabteilungen sind nicht nerdy, sondern teamorientiert und offen.

Wenn irgend möglich besetzt Geßner Projektmanagementpositionen in Softwareabteilungen mit weiblichen Mitarbeitern, oft als Quereinsteiger. "Frauen können gut zwischen unterschiedlichen fachlichen Positionen vermitteln und halten alle Fäden zusammen", so Geßner. Trotzdem hätten viele Bedenken: Kann ich das? "Doch wenn ich sie überzeugen kann, es zu wagen, haben sie sich bisher nach kurzer Zeit immer für den Job begeistert." Geßners Rat für IT-Unternehmen: "Erzählt Frauen, was für geile Jobs ihr zu bieten habt. Und wie phänomenal sie bezahlt werden." Seine Botschaft an Frauen: "Loslaufen und ausprobieren."

IT-Branche eröffnet viele unterschiedliche Welten

Entwicklerin Berger hat ihre Berufswahl nie bereut. Web-Entwicklung eröffnet so viele unterschiedliche Welten. Mal für die Stiftung Warentest die Oberfläche für einen neuen Test programmieren oder einen Filialfinder mit aktuellen Geodaten bauen, mal einen Code für die Deutsche Börse oder einen Autohersteller erdenken.

Und wenn sie, wie neulich, sechs Wochen beruflich auf Second Life verbringen muss, "kann ich es nicht fassen, dass ich dafür auch noch bezahlt werde." Mit unkommunikativen Programmierjunkies hatte Berger noch nie etwas zu tun. "Die Atmosphäre in den IT-Abteilungen ist extrem entspannt, freundlich und respektvoll." Davon will die 38-Jährige jetzt auch anderen erzählen: Auf dem Girlsday und beim Coder-Dojo für Kids mit Programmierlust, die mittlerweile in vielen Städten Deutschlands stattfinden. "Erst fand ich doof, dass dort vor allem Jungs sitzen", sagt Berger. "Jetzt denke ich: umso besser. Hier kann ich die nächste IT-Generation prägen und ihnen als Dozentin zeigen - Frauen sind top ITlerinnen."