Was vom Tage bleibt

Entspannen will gelernt sein

11.06.2011
Von 
ist freie Wirtschaftsjournalistin in London.
Nach Feierabend runterzuschalten fällt oft schwer. Was tun, wenn die Gedanken weiter um den Job kreisen, die Entspannung ausbleibt und selbst die Freizeit stresst?

Mit Hektik, Stress und Überstunden kann Michael Nowak umgehen. Als Leiter IT-Infrastruktur Betrieb C/S-Systeme in der Zentrale der DEVK Versicherungen in Köln hat er täglich alle Hände voll damit zu tun, die Betriebssicherheit und Betriebsstabilität der Client-Server-Systeme sicherzustellen und das Personal für Projekte und Großprojekte zu planen. "Beides unter einen Hut zu bringen ist oft nicht einfach und sehr konfliktträchtig", sagt der Gruppenleiter. Probleme, am Feierabend abzuschalten, hat der Diplominformatiker dennoch selten. Auf der Heimfahrt hört er im Zug Musik und pustet sich auf dem Fahrrad den Kopf frei. Und wenn das noch nicht reicht, geht er raus in den Garten Kaminholz hacken. "Nach einer Stunde an der frischen Luft sind sämtliche Gedanken an den Job vergessen", sagt der 46-Jährige.

Entspannung verzweifelt gesucht

Relaxen nach Dienstschluss fällt nicht allen Computerfachleuten so leicht. Häufig kreisen die Gedanken weiter um den Job, daheim warten weitere Aufgaben und Pflichten, die Freizeit stresst mit Terminen zwischen Squash und Kino. Einer Repräsentativstudie der Universität Gießen zufolge haben 48 Prozent aller Deutschen Probleme damit, abends abzuschalten.

Entspannung verzweifelt gesucht - besonders in IT-Jobs, bei denen Beruf und Privatleben verschwimmen. "Viele Mitarbeiter können gar nicht mehr genau sagen, wann für sie Feierabend ist", erklärt Wolfgang Mayrhofer, Professor für verhaltenswissenschaftlich orientiertes Management an der Wirtschaftsuniversität Wien. "Sie kommen nach Hause, essen vielleicht noch Abendbrot mit der Familie und setzen sich dann noch mal zwei Stunden an den Rechner." Arbeiten auf Abruf erschwert das Loslassen.

Markus Brand, b2consulting: 'Mit dem Motto `work hard, play hard`stehen sich viele selbst im Weg.'
Markus Brand, b2consulting: 'Mit dem Motto `work hard, play hard`stehen sich viele selbst im Weg.'

Zudem schrauben besonders Führungskräfte die eigenen Ansprüche ans Entspannen höher. "Mit dem Motto 'work hard play hard' stehen sich viele selbst im Weg", sagt Markus Brand, Diplompsychologe, Management-Trainer und Geschäftsführer der Kölner Firma b2 consulting. "Da wird dann nach der Arbeit für den Marathon trainiert oder ein so genannter Wellness-Tag eingelegt, der völlig durchgetaktet ist mit Anwendungen und Massagen." So etwas helfe kaum, zur Ruhe zu kommen.

Work-Life-Balance ist ein Entspannungskiller

Weiterer Entspannungskiller: der Management-Modebegriff "Work Life Balance". Seine ständige Erwähnung suggeriert, dass sich Karriere und pünktlicher Dienstschluss auch für Manager keinesfalls ausschließen. Kein Wunder, dass viele Führungskräfte das Gefühl haben, beim heimlichen Wettbewerb um den ausgeglichensten Job ins Hintertreffen zu geraten. Der Kollege schafft es doch schließlich auch, die Projekte pünktlich und fehlerfrei abzuschließen und trotzdem noch Zeit für die Schulaufführung seiner Tochter zu haben.

Demgegenüber steht die Erwartungshaltung der Arbeitgeber, die - wie eh und je - vollen Einsatz für die Firma fordern. "Theoretisch mag sich die Erkenntnis durchsetzen, dass effizientes Arbeiten nicht mit der Zahl der Arbeitsstunden korreliert", so Mayrhofer. "Praktisch aber schwören die meisten Unternehmen noch immer auf die Devise ,Mehr zu arbeiten ist besser als weniger zu arbeiten'."

Firmen kennen das Problem und versuchen gegenzusteuern wie Hewlett Packard (HP) in Böblingen. "Das Unternehmen profitiert vom Wohl und der Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter", sagt Gert Mamber, in der Personalentwicklung für Bildungsfragen in Westeuropa verantwortlich. "Die Work Life Balance unserer Mitarbeiter verstehen wir daher als gemeinschaftliche Aufgabe von den Betroffenen selber, ihren Vorgesetzten und der Organisation." Nach dem Motto "Abschalten ist erlernbar" trainiert HP seine Mitarbeiter in Sachen Entspannungskompetenz seit fünf Jahren.

Das Projekt "Take care" umfasst therapeutische Hilfe übers Intranet und in Gesprächskreisen sowie Kurse mit Medizinern und Physiotherapeuten. Auch Benediktinerpater Anselm Grün war im Rahmen von "Take care" schon mal Gast. "Der Bedarf für Beratung zum Abschalten ist da", sagt Projektleiter Mamber. Sein Ziel: Das Projekt sollte sich selber überflüssig zu machen. "Derzeit sieht es jedoch noch nicht danach aus", sagt er schmunzelnd.