Industrie 4.0 ist keine Theorie mehr

Die vierte industrielle Revolution kommt in der Wirklichkeit an

21.12.2015
Von 
Sandra Lucia Merz, Senior Project Manager bei der Braincourt GmbH in Leinfelden-Echterdingen
Zahlreiche Praxisbeispiele führen heute schon zu bemerkenswerten Ergebnissen. Wie kommen die Erfolge zustande? Und warum ist es wichtig, sich mit dem Thema zu beschäftigen?

Was haben Harley Davidson und der Hamburger Hafen gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts! Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass die beiden vielen anderen Unternehmen in einer Beziehung weit voraus sind: Sie haben es geschafft, ihre Produktionsprozesse zu digitalisieren und dadurch Ziele zu erreichen, von denen andere Unternehmen bislang nur träumen.

Beispiel für eine intelligente Produktion

Harley Davidson ist es gelungen, die Durchlaufzeit der Produktionsprozesse von 26 Tagen auf sechs Stunden zu verkürzen - eine Reduktion um mehr als 90 Prozent. Gleichzeitig konnte die Herstellung so individualisiert werden, dass der Kunde ein auf seine persönlichen Wünsche zugeschnittenes Motorrad erhält. Aus Tausenden von Kombinationsmöglichkeiten lassen sich so viele Modelle konfigurieren, dass ein vollständiges Duplikat einer existierenden Maschine eher unwahrscheinlich ist.

Im Hamburger Hafen hat sich der Waren- und Container-Durchsatz im Vergleich zum Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Auf Basis einer verbesserten Verkehrsfluss-Steuerung lassen sich die Waren schneller abwickeln: Das System erfasst GPS-Daten von Speditionen und LKWs, koordiniert und überwacht Routen und Parkplatzbelegungen, schickt schließlich die relevanten Informationen über die Cloud auf die Tablets der LKW-Fahrer, um Staus zu verringern und Standzeiten einzuschränken. Mittelfristig sollen immer mehr Teilnehmer zu Lande und zu Wasser integriert werden.

Die Voraussetzung für beide Fälle lässt sich in einem Schlagwort zusammenfassen - Industrie 4.0. Dieser Begriff beschreibt ein Konzept zur Ablösung der traditionellen Produktionsstrukturen, die eher auf zentralen Entscheidungsmechanismen und starren Grenzen basieren. Stattdessen kommen autonome, selbststeuernde, wissensbasierte und sensorgestützte Produktionssysteme zum Einsatz. Sie zeichnen sich durch eine starke Individualisierung der Produkte und eine hoch flexibilisierte Serienproduktion aus. Kunden und Partner werden in die Wertschöpfungsprozesse integriert und Datenbestände automatisch untereinander synchronisiert.

In der smarten Fabrik der Zukunft werden Aufträge via Internet direkt vom Kunden ausgelöst, und die bestellten Produkte steuern ihre Fertigung selbständig durch die gesamte Wertschöpfungskette. Sie reservieren Bearbeitungsschritte innerhalb der Fertigungsprozesse, buchen Anlagen sowie Materialien und kontrollieren automatisch die Ausführung. Kommt es zu einer erkennbaren Verzögerung, wird eine Alternative zum Prozess gesucht oder dem Kunden die Verspätung mitgeteilt. Gleichzeitig tauschen die verschiedenen Produktionsanlagen untereinander Daten aus, organisieren Auftragsreihenfolge sowie ihre Wartungs- und Instandhaltungsbedarfe.

Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, ist es noch ein weiter Weg bis zu einer Produktion, die vollständig solchen Prinzipien folgt. Aber heute schon lassen sich Kernelemente von Industrie 4.0 in bestehende Produktionsanlagen einbauen, wo sie auch bereits Wirkung zeigen.