Steigende Energiepreise, Störungen in den Lieferketten und die anhaltenden Wirtschaftskrisen rund um den Globus - die Rahmenbedingungen für die deutsche Industrie waren schon einmal besser. Nichtsdestotrotz versprühte Bundeskanzler Olaf Scholz zum Auftakt der diesjährigen Hannover Messe Optimismus. "Die Transformation bietet eine riesige Chance für unser Land", sagte der deutsche Regierungschef. "Sie ist der große Treiber für Beschäftigung und Wachstum."
Kanzler Scholz: Vom Reden ins Machen
Scholz will diese industrielle Transformation "hier in Deutschland nun wirklich anpacken". Es gehe darum, vom Reden ins "Doing" kommen. Der SPD-Politiker räumte ein, dass in den vergangenen Jahren viel liegen geblieben sei. "Aber das holen wir jetzt auf." Dabei helfen sollen drei Dinge, die Scholz voranbringen will:
klare, verlässliche, konkrete Ziele, um Investitionen sicher planen zu können,
"Druck auf dem Kessel", um Geschwindigkeit aufzunehmen - O-Ton Scholz: "Deutschland-Tempo", und
genügend Fachkräfte, die mit anpacken.
Die Ziele sind ambitioniert und dürften auch die hiesige Industrie vor einige Herausforderungen stellen. Scholz bekräftigte in Hannover, Deutschland bis 2045 zu einem der ersten klimaneutralen Industrieländer machen zu wollen. Dafür müssten dem Kanzler zufolge jeden Tag vier bis fünf Windräder, mehr als 40 Fußballfelder Photovoltaik-Anlagen, 1.600 Wärmepumpen und vier Kilometer Übertragungsnetze gebaut werden. "Das wird ein Kraftakt", räumte er ein.
Damit diese Herkulesaufgabe gelingt, will der SPD-Mann an zwei Stellschrauben drehen. Bürokratische Hindernisse sollen abgebaut, Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Darüber hinaus verwies Scholz auf eine umfassende Reform zur Fachkräftesicherung. Ausbildung und Weiterqualifikation gilt es auszubauen sowie Experten aus anderen Ländern nach Deutschland zu locken. Zu guter Letzt ließen milliardenschwere Zukunftsinvestitionen hoffen. Scholz nannte als Beispiele den Aufbau neuer Produktionsanlagen für Chips und Halbleiter bei Infineon in Dresden und bei Apple in München. Positive Zeichen gebe es außerdem in der KI-Forschung, der Robotik und der Mikroelektronik.
Olaf Scholz will digitalisieren und regulieren
In Sachen Digitalisierung herrscht in den Reihen der deutschen Industrie durchaus Zuversicht. Fast jeder zweite Produktionsbetrieb hierzulande (48 Prozent) sieht die eigene Branche bei digitalen Innovationen im internationalen Vergleich an der Spitze oder als Vorreiter. 29 Prozent verorten sie im Mittelfeld, 19 Prozent unter den Nachzüglern oder bereits abgeschlagen. Das sind Ergebnisse einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom unter 603 Unternehmen in Deutschland.
"Manufacturing-X" lässt hoffen
"Digitalisierung und Produktion gehören zusammen, Digitalbranche und Industrie rücken näher zusammen", sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Große Hoffnungen setzt man in der Branche auf die Initiative "Manufacturing-X", die anlässlich der Hannover Messe ihre nächste Entwicklungsstufe zündete. Dabei geht es ähnlich wie bei "Catena-X" in der Automobilbranche darum, eine durchgängige und unternehmensübergreifende Datenvernetzung aller an der Wertschöpfung beteiligten Betriebe zu erreichen.
"Die deutsche Industrie wird fit für die Datenökonomie", hofft Bitkom-Chef Berg. Derzeit finde ein Datenaustausch zwischen Unternehmen nur punktuell statt und es gestalte sich in der Praxis noch schwierig, Daten entlang der Lieferketten zu teilen. Das soll sich mit Manufacturing-X ändern. Das Datenteilen werde deutlich einfacher und es ließen sich ganze Wertschöpfungsnetzwerke besser aufeinander abstimmen, so die Erwartungshaltung der Beteiligten. "So können Unternehmen zum Beispiel auf Störungen in Lieferketten frühzeitig reagieren, die Produktion schneller anpassen und Lieferverzögerungen vermeiden", sagte Berg. "Gleichzeitig werden mit Manufacturing-X aber auch völlig neue, datenbasierte Geschäftsmodelle in der Industrie möglich."
Neben mehr Effizienz und einem daraus resultierenden besseren Standing im weltweiten Wettbewerb, könne Manufacturing-X dem Bitkom zufolge auch an anderer Stelle unterstützen. Die Initiative sei auch ein wichtiger Schritt in Richtung einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft und nachhaltigeren Produktion. Damitkönne sie einen bedeutenden Beitrag für das Erreichen der Klimaziele leisten.
IT-Branche ist skeptisch - deutsche Industrie verliert den Anschluss
An anderer Stelle sieht man die digitalen Fortschritte der hiesigen Industrie allerdings deutlich skeptischer. "Die deutsche Industrie droht in Sachen Digitalisierung international den Anschluss zu verlieren", warnte Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco Verbands. Das Meinungsforschungsinstitut Civey hatte anlässlich der HMI im Auftrag des eco rund 250 Expertinnen und Experten aus der IT-Branche befragt - mit einem ernüchternden Ergebnis. 83,7 Prozent der Befragten sehen die deutsche Industrie im internationalen Vergleich eher schlechter aufgestellt, lediglich 3,7 Prozent besser.
Auch Süme setzt auf Datenökosysteme, um das zu ändern und die digitale Transformation der Industrie voranzubringen. Allerdings bringt der eco an dieser Stelle mit Gaia-X eine europäische Initiative ins Spiel. Es gehe um einen souveränen und sicheren Austausch von Daten unter allen beteiligten Akteuren, sagt Süme, dessen Verband federführend an der Steuerung von Gaia-X beteiligt ist. Unternehmen behielten volle Souveränität und Kontrolle über ihre wachsenden Datenmengen, so das Versprechen. "Es entsteht ein transparentes und offenes System nach europäischen Standards, in dem alle Teilnehmenden unabhängig entscheiden können, über welche Plattformen und Cloud Ressourcen sie mit Partnern zusammenarbeiten", steht in einer Mitteilung des Verbands.