Der Widerstand vieler Unternehmen gegen Remote Work ist nicht nur bizarr, sondern auch selbstzerstörerisch. Schließlich spielt sich das Hauen und Stechen um das Home-Office in einer Zeit ab, die von erheblichem Fachkräftemangel (nicht nur) im Technologiebereich geprägt ist. Dabei lässt sich nur erahnen, wie Führungskräfte gegenüber Vorständen argumentieren mögen: "Der Fachkräftemangel schadet uns sehr und wir müssen etwas dagegen tun. Aber wo wir gerade beisammensitzen... untergraben wir doch unsere eigene Remote-Work-Politik und verschlimmern die Ausgangssituation noch ein bisschen."
Die Remote-Work-Selbstzerstörung
Dabei ist Apple ein hervorragendes Beispiel für die aktuelle Situation, weil die Arbeitsabläufe des Unternehmens perfekt für eine verteilte Belegschaft geeignet sind. Der iPhone-Konzern hat in den vergangenen beiden Jahren alle Vorteile von Remote Work am eigenen Leib erfahren - und praktisch keine Nachteile. Dennoch ist der Tech-Riese nun dem Irrglauben verfallen, es wäre eine gute Idee, die Mitarbeiter zurück ins Office zu zwingen. Diese Haltung haben inzwischen diverse Mitarbeiter - und auch Führungskräfte - mit offenem Widerstand und/oder Kündigungen quittiert. Hätte Apple - oder andere Unternehmen, die ähnlich vorgehen - handfeste Argumente vorzuweisen, die die Abkehr vom Home-Office untermauern, sähe die Sache vielleicht anders aus. Aber:
Die Arbeitseffizienz ist nicht gesunken.
Die Arbeitsqualität hat nicht gelitten.
Die Manager hatten keine Probleme, ihre Teams zu führen.
Fakt ist, dass Remote Work im Allgemeinen hervorragend funktioniert hat. Natürlich war der Shift mit IT-Kosten verbunden. Aber dieses Geld wurde bereits ausgegeben und fließt nicht mehr zurück - liefert also ebenfalls kein Argument, das das Vorgehen von Apple und Co. rechtfertigen würde. Stattdessen haben die Remote-Work-Programme weltweit alle versprochenen Vorteile realisiert:
zufriedenere Mitarbeiter
weniger Zeitverschwendung (je nach Meeting-Kultur)
bessere Work-Life-Balance
Ein Remote-Work-Programm zu pflegen, verursacht - im Gegensatz dazu, ein solches aufzusetzen - lediglich minimale Kosten, keine Störungen und trägt zu einem attraktiveren Arbeitsumfeld bei. Nur logisch also, dass Apple und andere das verhindern wollen…?
"So und nicht anders"
Natürlich gibt es bestimmte Tätigkeiten und Jobs, die physische Anwesenheit erfordern. Die überwältigende Mehrheit der Knowledge Worker kann heute jedoch sehr wohl vorwiegend remote arbeiten. Im Fall von Apple hat der Konzern (in den USA) zunächst einen Tag pro Woche im Office vorgeschrieben, anschließend zwei - und ab dem 23. Mai 2022 werden drei Tage pro Woche im Büro obligatorisch. Das macht für die allermeisten Jobs absolut keinen Sinn. Vor allem gäbe es einen besseren Weg, mit der Situation umzugehen: Gibt es für bestimmte Mitarbeiter einen wichtigen Anlass, im Büro anwesend zu sein, könnte deren Vorgesetzter das auch einfach auf individueller Basis ansprechen. Wichtig ist dabei, dass ein konkreter Grund für physische Anwesenheit vorliegt. Kein hinreichender Grund manifestiert sich hingegen in dem Umstand, dass Montag, Dienstag oder Donnerstag ist. Was Apple und Co. hier betreiben, ist reine Willkür. Dabei spielen zwei Aspekte eine wesentliche Rolle:
Einerseits die persönlichen Vorlieben von Führungskräften: Viele fühlen sich mit physischen Meetings und Gesprächen wohler - einfach, weil sie es nicht anders gewohnt und davon überzeugt sind, dass Geschäfte so - und nicht anders - abgewickelt werden müssen.
Andererseits die Pandemie, die die Unternehmen zum Umstieg auf Remote Work gezwungen hat. Allerdings war dieser Shift längst überfällig und hätte schon vor Jahren ganz ohne weltumspannendes Seuchengeschehen gegangen werden müssen. Wenn oben beschriebene Führungskräfte verinnerlichen, dass die Pandemie den Anstoß für den Remote-Work-Umschwung gegeben hat, sehen sie einen Rückgang der COVID-Fälle als willkommenen Grund, etablierte Remote-Prozesse zu verwässern.
Warum untergraben Unternehmen wie Apple in Zeiten erheblicher Personalprobleme Effizienz, eine bessere Work-Life-Balance und die Mitarbeiterzufriedenheit? Die Antwort auf diese Frage können wohl nur die Entscheider in den jeweiligen Konzernen selbst geben - wenn überhaupt. Wahrscheinlich begründet sich das Vorgehen im vagen Verdacht, Kreativität und Ideenaustausch litten unter Remote Work. Problematisch dabei ist nur: Lässt sich das auch beweisen? Und falls ja: Gibt es nicht auch Möglichkeiten, dieses Problem anzugehen, ohne Mitarbeiter zu vergraulen und erfolgreiche Remote-Work-Programme zu torpedieren? (fm)
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.