COMPUTERWOCHE Round-Table IoT in der Produktion

Der Appetit auf IoT kommt beim Essen

23.08.2017
Von 
Iris Lindner ist freiberufliche Journalistin für Elektronik und Automatisierung.
Unzählige neue Anwendungsmöglichkeiten verspricht das Internet der Dinge in der Produktion, doch nur von einer ist immer die Rede. Dass IoT tatsächlich weit über Predictive Maintenance hinausgeht, zeigten die zwölf Teilnehmer am Round-Table der COMPUTERWOCHE auf.
IoT Gears, digits and device - abstract computer background.
IoT Gears, digits and device - abstract computer background.
Foto: archerix - shutterstock.com

Internet of Things, Industrie 4.0, Digitale Transformation, Big Data - seit Jahren machen diese Begriffe der produzierenden Branche den Mund wässrig. Und seit Jahren wartet sie darauf, dass ihr nach der Vorspeise Predictive Maintenance nun endlich das Hauptgericht serviert wird. Aber weder einer der Diskussionsteilnehmer noch sonst irgendjemand wird eines Tages eine schwarze Tafel vor dem Firmengebäude stehen haben, auf der zu lesen ist: Heute Mittag gibt es schlachtfrisch die eierlegende Wollmilchsau. IoT ist kein Fertiggericht, sondern eine Grundzutat. Entscheidend ist, was man daraus zubereitet.

Predictive Maintenance ist Standard

Engagiert und kontrovers diskutierten die Teilnehmer am COMPUTERWOCHE-Round-Table das Thema IoT un der Produktion.
Engagiert und kontrovers diskutierten die Teilnehmer am COMPUTERWOCHE-Round-Table das Thema IoT un der Produktion.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Predictive Maintenance wird mittlerweile als Standardgericht gehandelt, doch nur bei wenigen Unternehmen steht es tatsächlich auf der Speisekarte. "Im Prinzip reden wir dabei von einem Marketing-Buzzword, das für viele Unternehmen nicht mit konkreten Inhalten gefüllt ist", stellt Guido Burchartz fest. Die Hürde kennt der Head of IoT/Industrie 4.0 Solutions bei alnamic sehr genau: "Wichtig ist erst mal die Frage nach den Hebeln, mit denen sich Prozesse optimieren oder die Qualität verbessern lassen. Häufig fehlen hierfür aber schon die Quelldaten, wie beispielsweise im einfachsten Fall das Stillstands-Log einer Maschine. Dann ist es schwierig abzuleiten, ob Predictive Maintenace auf IoT-Basis einen solchen Hebel darstellt oder andere Maßnahmen deutlich mehr Erfolg versprechen." Genau das stellte auch Marten Schirge beim Besuch eines Maschinenbauers fest. Der Vice President of Sales von Device Insight bekam bezüglich IoT von seinem Kunden zu hören, dass ihm Predictive Maintenance zu wenig sei, er möchte einen Wow-Effekt. "Viele verwechseln Predictive mit einem Monitoring oder der Visualisierung von Betriebszuständen", begründet Oliver Edinger, Vice President und Head of IoT/Industrie 4.0 Germany bei SAP Deutschland, das Missverständnis, das die Erwartungen an IoT in die Höhe schnellen lässt. Und das ist der Wow-Effekt, den sich Schirge’s Kunde wünscht: "Wir sprechen hier dann nicht mehr nur von einer Applikation, sondern von einer kompletten Prozessänderung im Unternehmen im Sinne eines Change-Managements". Nach ausführlichen Analysen mit seinem Kunden kristallisierte sich für diesen heraus, dass er in Zukunft keine Maschinen mehr verkaufen will, sondern Maschinenverfügbarkeit garantieren und neue digitale Services anbieten möchte. Doch, "ohne die Grundlagen zu schaffen wird es schwierig, von Asset-Services zu sprechen", so Simone Hessel über die derzeitige Herausforderung.

Der erste Gang des IoT-Menüs sind die Daten

Oliver Edinger, SAP, erläutert die IoT-Mehrwertkette: "Erst wenn ich in der Lage bin, Diagnosen zu erstellen, kann ich daraus Prognosen ableiten und Simulationen durchführen."
Oliver Edinger, SAP, erläutert die IoT-Mehrwertkette: "Erst wenn ich in der Lage bin, Diagnosen zu erstellen, kann ich daraus Prognosen ableiten und Simulationen durchführen."
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Laut dem Vice President Digital Transformation GE Digital DACH sieht die aktuelle Situation in den Unternehmen nämlich so aus, dass nur 15 Prozent der Daten - wenn sie denn überhaupt systematisch gesammelt werden - auch genutzt werden. Bevor also dem Anlagenstillstand durch Predictive Maintenance vorgebeugt oder durch Predictive Quality der Ausschuss reduziert werden kann, müssen als erstes die Daten dafür vorhanden sein. "Dafür braucht es technologisch gesehen keine Weltrevolution", wie SAP-Vice President Edinger zu berichten weiß. Sein Beispiel: Ein falsches Werkzeug an der Maschine kann großen Schaden anrichten. Deshalb tragen die Werkzeuge Nummern, die in die speicherprogrammierbare Steuerung eingetragen werden, welche dann das Programm startet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Maschinenführer in der Nachtschicht dabei vertippt, ist relativ hoch. Werden die Werkzeuge hingegen mit RFID erkennbar gemacht und somit die Kennung automatisiert an die Steuerung weitergegeben, wird mit einer kleinen Verbesserung nicht nur ein großer Mehrwert geschaffen, auch der digitale rote IoT-Faden kann dadurch weitergesponnen werden.

Asset Management mit Digital Twin

Gibt es in Zukunft noch verschiedene Abteilungen in den Unternehmen? Uwe Küppers, Rockwell Automation, ist überzeugt, dass Hierarchien aufgebrochen werden müssen.
Gibt es in Zukunft noch verschiedene Abteilungen in den Unternehmen? Uwe Küppers, Rockwell Automation, ist überzeugt, dass Hierarchien aufgebrochen werden müssen.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Die Weiterführung von Predictive Maintenance liegt für Simone Hessel in der Anwendung von Asset Performance Management: "Basierend auf den Digital Twin sehe ich sofort, was mit der Maschine los ist, in welchem Kontext sie steht. Über Asset Performance Management kann ich nun nicht mehr nur die einzelnen Maschinendaten und ihre Performance lesen, steuern und beeinflussen, sondern mit einer zweiten Applikation, der Field-Service-Optimierung, verbinden." Auch für Splunk Area Vice President Central Europe Frank Böning und seine Kunden ist Predictive Maintenance nur der erste Schritt, um daraus die Grundlage für die Automation zu schaffen. Am Ende steht die große Vision, den kompletten Herstellungsprozess und die Wertschöpfung zu visualisieren. "IoT ist nicht das Ziel, sondern das Mittel zum Zweck", bringt es Dr. Ludwig Zink auf den Punkt. Der Head of Customer Innovation bei BT bringt damit zum Ausdruck, dass sich die Unternehmen erst darüber im Klaren sein müssen, was sie in Zukunft überhaupt erreichen wollen. "Die Leute wollen IoT in der Produktion mit verdaulichen kleinen Schritten beginnen, um langfristig eine Vision zu verfolgen, die zu Erfolg und strategischen Wettbewerbsvorteil führt", zitiert Böning ein Ergebnis der IDG-IoT-Studie aus dem vergangenen Jahr.

Prozesse digitalisieren

Marten Schirge, Device Insight, rät dem Mittelstand: "Start small, think big, start now."
Marten Schirge, Device Insight, rät dem Mittelstand: "Start small, think big, start now."
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Eine gute Strategie, wäre da nicht folgendes Problem, auf das Uwe Küppers aufmerksam macht. Der Sen. Business Development Manager Informations Software EMEA von Rockwell Automation stellt immer wieder fest: "Die Führungsebene in den Unternehmen hat oft noch nicht die Vision davon, was die digitale Transformation für sie bedeutet und welche Auswirkungen sie auf das Unternehmen hat." Die Maschinendaten sind seiner Meinung nach ein wichtiges Thema, aber zuerst müssten die Prozesse im Fertigungsumfeld digitalisiert werden. "Auch diese Daten müssen der Geschäftsführung zur Verfügung gestellt werden, damit sie dem Unternehmenszweck untergeordnet werden können", sagt Christian Stolte von Schneider Electric, der in diesem Zusammenhang lieber von Smart Data als von Big Data spricht.