Zufriedene Kunden bringen mehr Umsatz. Diese Gleichung gilt in der analogen wie der digitalen Welt. Mit der Digitalisierung eröffnen sich aber ganz neue Möglichkeiten in der Analyse des Kundenverhaltens sowie in der Ansprache und Interaktion. Über verschiedenste Touchpoints lassen sich heute zwar viele Daten über die Kunden sammeln. Daraus jedoch ein exaktes Bild zu gewinnen, was Kunden wünschen, welche Produkte sie aktuell beziehungsweise in Zukunft kaufen möchten und wie sie am liebsten angesprochen und betreut werden wollen, bleibt schwierig.
Dazu kommt, dass König Kunde heute ganz andere Möglichkeiten hat als noch vor einigen Jahren. Angebote, Produkte und Preise lassen sich mit wenigen Mausklicks vergleichen, eigene Erfahrungen mit bestimmten Anbietern oder Marken über Communities und Foren blitzschnell im Web verbreiten. Dazu kommt, dass die Loyalität der Kunden schwindet. Oft hängen die Konsumenten nicht mehr an Produkten und Services eines bestimmten Unternehmens. Die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt und hat womöglich das bessere Angebot.
Maßnahmen zur Kundenbindung werden also immer wichtiger. Es geht um die richtige Ansprache zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Der gesamte Prozess von der ersten Information bis zum Kauf und am besten noch darüber hinaus muss reibungslos und vor allem komfortabel funktionieren. Jeder Faktor und jede Aktion innerhalb dieser Customer Journey hat großen Einfluss auf das Kundenerlebnis und damit das eigene Geschäft – im Guten wie im Schlechten.
Macht der Kunden wächst
Es verwundert also nicht, dass die Digital Customer Experience (DCX) zunehmend in den Fokus der Unternehmen rückt. Laut einer Umfrage von Lünendonk aus dem Frühjahr dieses Jahres gaben zwei Drittel der über 100 befragten deutschen Großunternehmen an, die Digitalisierung habe die Macht der Kunden in vielen Branchen erhöht. Es herrsche mehr Transparenz am Markt, die Klientel könne wesentlich schneller einen Anbieter wechseln und die Angebote seien viel besser vergleichbar, so der einhellige Tenor.
Um die Kundenerlebnisse steuern zu können, braucht es in erster Linie Daten. Das haben die meisten Betriebe in der Theorie erkannt. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Nicht einmal jedes fünfte deutsche Unternehmen (19 Prozent) stellt Daten ins Zentrum seines Customer-Experience-Managements (CXM). Das haben die Ergebnisse der von Adobe in Auftrag gegebenen Umfrage "Mind the Data Gap" gezeigt. Im Rahmen dieser europäischen Studie hat das Forschungsinstitut London Research 750 Unternehmensentscheider in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zu ihrem Dateneinsatz im Kunden-Management befragt, davon 250 in Deutschland.
Für die Defizite machen die hiesigen Firmen neben den strengen Datenschutzregularien (26 Prozent) vor allem interne Faktoren verantwortlich: In vielen Unternehmen herrsche immer noch eine Kultur mit einem klaren Abteilungsdenken. Die daraus resultierenden Datensilos (30 Prozent) sowie die unzureichende Qualifikation der Mitarbeiter (24 Prozent) behinderten einen übergreifenden Dateneinsatz für eine bessere Kundenbetreuung. Als weitere Bremse identifizierten die Unternehmensentscheider aus Deutschland das Fehlen einer einheitlichen Technologie, die es erlaubt, sämtliche Daten zusammenzuführen und aus unterschiedlichen Quellen heraus zu verknüpfen (24 Prozent).
Bröckeliges Datenfundament
Diese Antworten lassen darauf schließen, dass es in den Organisationen an einem gemeinsamen Fundament für alle Kundendaten hapert. Tatsächlich ist laut der Umfrage in nur zwölf Prozent der deutschen Unternehmen die jeweilige Plattform in der Lage, bekannte und anonyme Daten für kanalübergreifende Kundenprofile in Echtzeit zu verbinden. Einen offenen und reibungslosen Übergang von verhaltens- und transaktionsbasierten sowie operativen Daten können offenbar nur 15 Prozent der eingesetzten Plattformen bewältigen.
Tatsächlich scheinen die Anbieter noch nicht so weit zu sein, ihren Kunden passende Lösungen anbieten zu können. "Der Markt für digitale CXM-Plattformen entwickelt sich gerade noch und ist relativ unreif", schrieben Analysten von Gartner in einer Studie, die im Februar dieses Jahres veröffentlicht wurde. Definitionen, Angebote und Ansätze seien von Anbieter zu Anbieter noch sehr unterschiedlich.
Vor allem die Integration rund um das Experience-Management bleibt Gartner zufolge aufwendig. Die Funktionen einer solchen Digital Experience Platform (DXP) sind vielfältig. Dazu zählen die Analysten:
1. Customer Experience:
Content Interaction,
Search, Navigation und Discovery,
Collaboration, Knowledge-Management,
Experience Customization und
Digital Commerce.
2. DXP-Management:
Content-Management,
Integration und Aggregation,
Personalisierung und Targeting,
Analytics und Optimierung,
Security Administration,
Workflow- und Business-Process Management und
Development.
3. Platform/Architektur:
Multichannel Delivery und Presentation,
Customer-Data-Management,
Cloud Enablement,
Globalisierung/Lokalisierung und multilingualer Support.
Angesichts dieser vielen Facetten geht Gartner davon aus, dass bis 2021 rund 85 Prozent des Aufwands und der Kosten in einem DXP-Programm für die Integration mit internen und externen Systemen aufgewendet werden müssten. Darüber hinaus seien neun von zehn globalen Unternehmen auf Systemintegratoren (SIs), Agenturen und Vertriebspartner angewiesen, um ihre Digital- Experience-Strategien zu entwickeln, aufzubauen und umzusetzen.
Anwender mit komplexen Plattformen überfordert
Als Marktführer hat Gartner Adobe, IBM und Salesforce identifiziert, im Quadranten der Herausforderer finden sich Branchengrößen wie Microsoft, Oracle und SAP. Ein Blick in die Analyse der Stärken und Schwächen der einzelnen Anbieter offenbart das derzeitige Dilemma. Da heißt es beispielsweise, dass Adobe mit seiner Experience Cloud zwar ein breites Spektrum an Werkzeugen für das Experience-Management bietet. Gleichzeitig seien viele Anwender jedoch mit der Komplexität der Plattform überfordert. Das reiche von Integrationsaufgaben über hohe Betriebskosten bis hin zu der erforderlichen steilen Lernkurve.
Diese Einschätzung gilt auch für andere Anbieter. IBM beispielsweise könne durch den Einsatz moderner Technologien vor allem im KI-Umfeld punkten. Allerdings verunsichere der Hersteller seine Kunden mit unterschiedlichen Aussagen zur Zukunft einzelner Produkte. Außerdem prangern die Gartner-Analysten ein ausuferndes Portfolio und eine komplexe Architektur an. Das führe zu einem Feature-Overload sowie komplizierten Einführungsprojekten.
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Oracle bietet mit seiner "Content and Experience Cloud" (CEC) eine breite Palette von "Clouds" und Modulen für verschiedene Facetten einer DXP. Dazu gehören Workflow (Process Cloud Service), Test und Optimierung (Maxymiser), Analytik (Infinity), Identitäts- und Sicherheits-Management sowie Integrationen (Integration Cloud). Allerdings ist die Preisgestaltung von Oracle laut Gartner eine der kompliziertesten auf dem Markt. Die Kunden seien zunehmend verwirrt durch Preisfindung, fehlende Modularität der Plattform und nur begrenzte Möglichkeiten, das Experience-Thema in ihrem eigenen Tempo voranzutreiben, ohne dabei über Gebühr mit Lizenzkosten belastet zu werden.
SAP kann den Marktforschern zufolge mit Offenheit zu verschiedenen Cloud-Plattformen wie AWS, Microsoft Azure und Google sowie fortschrittlichen Funktionen für KI und Machine Learning punkten. Aber auch die Walldorfer strapazieren ihre Kunden mit unklaren Marketing-Aussagen zu CX und Intelligent Enterprise. Eine stringente DXP-Strategie sei nicht erkennbar. Viele Zusatzprodukte wie der SAP Cloud Platform Experience Maker, SAP C/4HANA und SAP SuccessFactors führen dazu, dass im Zusammenspiel etliche Komplikationen auftreten.
Was SAP in Sachen Customer Experience vorhat:
Bei anderen Anbietern wie Salesforce und Microsoft moniert Gartner funktionale Lücken im Angebot. Anwender müssten sich entweder darauf verlassen, dass die Hersteller diese schließen, oder versuchen, diese offenen Flanken mit Werkzeugen anderer Anbieter zu schließen – was wiederum zu steigenden Integrationsaufwänden führt.
CX-Plattformen müssen einfacher werden
Laut Gartner sind alle Anbieter aufgefordert, die Komplexität ihrer Angebote zu verringern und die Nutzbarkeit der Plattformen zu vereinfachen. Dabei geht es auch um die Bereitstellung von Daten. Einen ersten Schritt in diese Richtung haben Adobe, Microsoft und SAP getan. Mit ihrer Open Data Initiative verfolgen die Softwareriesen das Ziel, ihre Anwendungen und Plattformen über ein einheitliches Datenmodell und einen gemeinsamen Datenpool miteinander zu verknüpfen. Dabei könnten angereicherte Daten auch wieder in bestehende Anwendungen und Dienste der drei Anbieter zurückgeführt werden. Anwender könnten so mehr Erkenntnisse gewinnen und ihren Kunden eine bessere Experience bieten, verspricht das Software-Triumvirat.
Wie wichtig derartige Initiativen sind, zeigen Untersuchungen von Forrester Research. Demnach gibt es erhebliche Diskrepanzen darin, wie sich Marketiers selbst hinsichtlich ihrer Aktivitäten einschätzen und wie Kunden dies wahrnehmen. Rund drei Viertel der Marketing-Verantwortlichen glauben, sie seien vergleichsweise weit mit Innovationen, berichtete kürzlich Brigitte Majewski, Research Director bei Forrester. Damit lägen sie allerdings oft falsch.
Untersuchungen des Marktforschungsunternehmens zeigten, dass mehr als zwei Drittel der befragten Marketing-Entscheider eher als Anfänger in Sachen digitale Innovation einzustufen seien. Majewski führt als Beispiel das Thema Personalisierung an. Maketiers nutzten Kundendaten, um ihre Botschaften zielgerichtet und passgenau an die Frau oder den Mann zu bringen. Dabei werde meistens vergessen, die Adressaten zu fragen, ob sie dies überhaupt möchten. Forrester-Daten hätten gezeigt, dass gerade einmal ein gutes Viertel der US-Verbraucher gewillt sei, personalisierte Werbebotschaften zu empfangen.
Fehler im Customer-Experience-Management
Und selbst bei den Konsumenten, die bereit seien, sich auf das Marketing-Spiel einzulassen, funktioniere das nicht immer, berichtet Majewski aus eigener Erfahrung. In einer E-Mail habe ihr ein Schuhanbieter ein einmaliges Angebot versprochen, das perfekt zu ihrem Stil passe. Als sie dann die Mail öffnete, wurde ihr ein Schuhmodell präsentiert, das sie erst vor Kurzem gekauft und wieder zurückgeschickt hatte – weil es ihr nicht gefallen hatte. "Tut mir leid, lieber Anbieter, ich habe keine Lust, diese Schuhe noch einmal zu kaufen", schreibt die Analystin. "Ich werde etwas besser aufpassen, bevor ich eine weitere Werbe-E-Mail von Dir öffne."
Dieses Beispiel zeigt, wie leicht Anbieter in der Customer Experience Fehler machen und Kredit bei ihren Kunden verspielen können, der umso schwerer wieder zurückzugewinnen ist. Im Handling der Kundenerfahrungen müssten die Anbieter noch viel lernen und ein geschicktes Händchen entwickeln, mahnt Maxie Schmidt, Principal Analyst bei Forrester. Sie warnt davor, den Konsumenten nur monetäre Vorteilswünsche zuzutrauen. Heute gelte es auch, im Marketing die Wertvorstellungen der Kunden zu berücksichtigen. Beispielsweise könnten Unternehmen, die gebrauchte oder reparierte Produkte erneut wiedervermarkten, mit einem stärkeren Umweltbewusstsein bei ihrer Klientel punkten.
Diese Wertvorstellungen, Wünsche und Anforderungen zu beobachten, zu analysieren und in konkrete Marketing-Maßnahmen zu übersetzen, wird künftig die Kür für die CX- und DXP-Plattformen sein. Dabei geht es in erster Linie um Analytics und Schnelligkeit. Fast alle Anbieter arbeiten mit Hochdruck daran, KI-Funktionen in ihre Lösungen zu integrieren. Adobe mit Sensei, IBM Watson und Einstein von Salesforce sind nur einige Beispiele.
Umdenken im Marketing
Mit den neuen digitalen Möglichkeiten muss aber auch ein Umdenken im Marketing stattfinden, sagen Experten. Und das tut es offenbar, wie jüngste Diskussionen zeigen. Erst vor wenigen Wochen sorgte das Eingeständnis von Adidas, Fehler in der Digitalisierung des eigenen Marketings gemacht zu haben, für Aufsehen. "Wir haben zu viel in digitale Werbung investiert", räumte der globale Mediadirektor Simon Peel auf einer Konferenz in London ein. Mehr als drei Viertel der Werbemittel seien in Online-Performance geflossen, nicht einmal ein Viertel des Budgets hat der Sportartikelhersteller aus dem Fränkischen in die Markenpflege investiert. Das war ein Fehler, gab Peel unumwunden zu. "Investitionen in Bewegtbild, TV und Kino sind oft besser angelegt als Ausgaben für Paid Search und Online-Display."
Viele Marketiers hätten sich ihre Kunden mit der Digitalisierung zum Feind gemacht, konstatiert Anne Schüller, Expertin und Buchautorin zum Thema Touchpoint-Management. Customer Centricity werde zwar gepredigt, aber nicht ehrlich gelebt. Viele Marketing-Entscheider haben aus ihren Kunden Messpunkte gemacht, kritisiert sie, "und halten den Datensalat, der auf ihren Dashboards erscheint, für die ganze Wahrheit". Doch das Kaufverhalten der Konsumenten sei nicht so gläsern, wie es die Softwareindustrie gerne vorgaukeln möchte. "Das meiste, was wir denken, sagen, kaufen und tun, bleibt den Cookies und Crawlern verborgen." Schüller räumt ein, dass Daten im Marketing durchaus wichtig sind. Es gelte aber, dabei das richtige Augenmaß zu bewahren und nicht nur in Zahlenkategorien zu denken. "Menschen sind keine Datenpakete", warnt sie. "Datenmanie killt Empathie."