Die Zeit scheint reif - Gear VR als Marktöffner
Ob es an so verhohlener Kritik, an den Preisen oder an fehlenden Anwendungen liegt: Die Zeit scheint reif für AR- und VR-Brillen - einmal mehr ein Grund für Google, sich mit einer Neuauflage von Google Glass zu beeilen. Dies, zumal Apple nach dem 2015 erfolgten Kauf des Münchener AR-Spezialisten Metaio bald auf den Plan stehen könnte und zumal Datenbrillen eines der Top-Themen der CES 2016 mit mehr als 40 Ausstellern waren. Auf der Messe in Las Vegas hat die Consumer Technology Association (CTA) Zahlen bekanntgegeben, wonach der US-Absatz von VR-Headsets 2016 um 500 Prozent auf 1,2 Millionen Stück zulegen soll bei einem erwarteten Umsatzzuwachs von 440 Prozent auf 540 Millionen US-Dollar. Bei aller Freude über die Zahlen - eine gesunde Ausgangsbasis sieht anders aus.
In Deutschland zeigen sich die Konsumenten auch weiterhin zurückhaltend - nur fünf von 100 tragen sich mit Kaufabsichten, so ein Ergebnis des Digital Consumer Survey 2016 von Accenture. Der Markt stehe aber erst am Anfang, betont Jürgen Morath, Managing Director bei Accenture, das in Deutschland viele Projekte für Daten- und VR-Brillen mit antreibt. "Erste Modelle für den Massenmarkt kommen in den nächsten Monaten in die Läden. Den Durchbruch werden komplexe Datenbrillen zunächst in Unternehmen und in der Spiele-Welt erleben, denn noch ist die Technologie recht teuer", so Morath.
"Die Mutter der VR-Brillen"
Auf der CES 2016 zu sehen waren unter anderem die Oculus Rift 700, die HTC Vive und die HoloLens von Microsoft. Dass die 2012 von der späteren Facebook-Tochter Oculus VR herausgebrachte Oculus Rift in Gamer-Kreisen als "Mutter der VR-Brillen" gefeiert wird, liegt wohl eher daran, dass diese das Interesse an solchen HDM-Brillen neu geweckt hat. Denn 1995 schon hat Forte Technologies, ein sogenanntes VR Headgear für Consumer für 695 Dollar auf den Markt gebracht. Zwei Jahre später wurde Forte von Vuzix übernommen, 2005 hat das 3D-Headset mit höherer Auflösung den Einstieg ins Rüstungsgeschäft geebnet und das wiederum den Weg zu vielen weitere Produktentwicklungen. 2010 hat Vuzix die erste AR-Brille angekündigt, auf der CES 2013 dann mit vielen möglichen Anwendungsszenarien die M100, die Google Glass am meisten ähnelt, aber mit 1000 Dollar Ende 2013 deutlich günstiger angeboten wurde.
- Zeiss VR One
Die Carl Zeiss AG ist vor allem für ihre High-End-Linsentechnik bekannt. Mit dem VR One Headset will man sich nun ein Stück vom VR-Kuchen sichern. Das Plastik-Gehäuse des Headsets nimmt viele verschiedene iOS- und Android-Smartphones auf und ist angenehm leicht zu tragen. Design und Linsen sind von hoher Qualität und die VR One ist auch für Brillenträger angenehm zu tragen. Ein spezielles Belüftungssystem verhindert, dass die Gläser im Inneren des Devices beschlagen, ein transparenter Visor soll sicherstellen, dass das VR One auch mit Augmented-Reality-Apps funktioniert. - Google Cardboard
Googles Cardboard (und seine zahlreichen Verwandten von anderen Herstellern) machen iOS- und Android-Smartphones zu Virtual-Reality-Maschinen. Dabei richtet sich Cardboard in erster Linie an VR-Einsteiger, die sehen wollen, ob der ganze Hype überhaupt gerechtfertigt ist. Für Cardboard stehen zahlreiche Anwendungen und Spiele zur Verfügung. Das Resultat ist eine minimalistische Basis-Erfahrung in Sachen virtuelle Realität. Wichtig ist dabei: Cardboard ist nur so gut wie das Smartphone, das "drin" steckt - je höher also die Auflösung des Devices, desto besser das Erlebnis. - Merge VR
Das Merge VR-Headset ist nur schwer zu übersehen. Das liegt aber nicht nur am purpurnen Design-Kleid. Das extrem leichte Set ist sehr angenehm zu tragen und mit so gut wie jedem halbwegs aktuellen Android- und iOS-Smartphone kompatibel. Einstellbare Linsen, Belüftungssystem, Audio Ports und AR-App-Unterstützung runden das Paket ab. - Homido
Homido ist eine relativ neue, Cardboard-kompatible VR-Brille, die sich ebenfalls durch ein angenehm geringes Gewicht auszeichnet. Daneben ist sie mit so gut wie allen Smartphones kompatibel. Homido soll dank 3D-Support seine Nutzer in beeindruckende 360-Grad-Umgebungen portieren. - Noon VR
Die Noon VR-Brille von Nextcore funktioniert mit Smartphones, die über einen Screen von 4,7 bis 5,7 Zoll verfügen. Eine native VR-App (Android, iOS) lässt Nutzer 3D- und 360-Grad-Umgebungen erleben - dazu gibt es Features wie Head- und Eye-Tracking oder Gestensteuerung. Eine Plattform für user-generated content entsteht in Kooperation mit Koom VR. - Freefly VR
Das VR-Headset Freefly VR richtet sich momentan ausschließlich an Besitzer der iPhone-Generationen 6 und 6S. Auch mit einem neueren Android-Smartphone hat man gute Karten. Das Design wurde so verwirklicht, dass sowohl das Smartphone sicher "verstaut" ist, als auch externe Lichtquellen ausgeschlossen werden. Im Lieferumfang ist sogar ein Bluetooth-Controller enthalten. - Mattel View-Master VR
Auch Spielzeug-Riese Mattel hat ein Virtual-Reality-Headset in petto. Der View-Master VR ist auf Basis des Google-Cardboard-Framework entstanden. Mit der zugehörigen App lassen sich fertige VR-Welten erkunden, auch Augmented Reality ist mit dem Mattel-Headset erlebbar. - Samsung Gear VR
Wer ein Samsung Galaxy Note 5, ein S6, S6 Edge oder S6 Edge+ sein eigen nennt, kann mit der Gear VR postwendend in die virtuelle Realität abtauchen. Die Technik im Inneren stammt zwar von Samsung, Software und Betriebssystem kommen allerdings von Oculus, denn das zu Facebook gehörende Unternehmen hat mit den Koreanern kooperiert. Das hat einen weiteren Vorteil: Wenn Oculus Rift an den Start geht, werden sämtliche Anwendungen auch auf der Gear VR laufen. - Oculus Rift
Das wohl berühmteste VR-Device kommt von Facebook-Tochter Oculus und heißt Rift. Die vermutlich ab Mitte 2016 erhältliche Virtual-Reality-Brille wird eine Auflösung von 2160 x 1200 Pixeln, ein Sichtfeld von 110 Grad und Sensoren für Head-Tracking bieten. Ebenfalls im Lieferumfang enthalten: ein Xbox One-Controller. Später soll ein Touch-Controller von Oculus für eine natürlichere, intuitive Bedienung sorgen. - HTC Vive
HTCs Vive ist in Kooperation mit den Gaming-Spezialisten von Valve entwickelt worden. Das Ganze läuft entsprechend auch über Valves SteamVR-Plattform. Das Headset funktioniert nur im Zusammenspiel mit einem PC. Die eingebauten Kameras tasten die Umgebung per Laser ab und sollen jeden Raum in die virtuelle Welt übertragen. - Sony PlayStation VR
Einst als Project Morpheus gestartet, soll PlayStation VR künftig die ganze Welt des Gamings in die virtuelle Realität überführen. Mit einem 5,7-Zoll-OLED-Display, 100-Grad-Sichtfeld, Head-Tracking und einer Latenz von nur 18 Millisekunden wollen die Japaner die Gamer-Gemeinschaft auf VR-Linie bringen. Sonys VR-Headset wird zunächst nur im Zusammenspiel mit der PlayStation 4 funktionieren.
Reges Interesse an AR- und VR-Brillen bekundet seit Jahren die Automobilindustrie. Volkswagen hat nach einer dreimonatigen Pilotphase Ende 2015 bekanntgegeben, 3D-Datenbrillen in der Werklogistik für die Kommisionierung einzusetzen. Gerade die deutschen Autobauer zeigen sich bezüglich des Einsatzes von AR- und VR-Technologien seit langem sehr innovativ. Das ist sicherlich auch der Nähe zu deutschen Ideenschmieden wie denen bei SAP, Accenture und der neuen Apple-Tochter Metaio zu verdanken. SAP hat für Augmented Reality zwei Apps entwickelt: den von dem Systemhausriesen Bechtle in der Logistik erprobten SAP AR Warehouse Picker und den SAP AR Service Technician. Um Metaio ist es nach der Übernahme durch Apple etwas still geworden. Der einst mit einer Fülle von Informationen aufwartende Internetauftritt beschränkt sich nur mehr auf einen E-Mail-Kontakt.
Touri-Hotspots in 360°
Dennoch, von Metaio und Accenture mitentwickelte Anwendungen für die Automobilindustrie gehen je nach Brillentyp mehr oder weniger in zwei Richtungen: Geschlossene VR-Brillen bieten sich für die virtuelle Konfiguration im stationären Autohandel an. Lichtdurchlässige oder an einer Seite offene Datenbrillen à la Google Glass, Epson Moverio oder Brother AirScouter "augmentieren" beziehungsweise erweitern das Sichtfeld um eingeblendete Informationen, daher der Begriff Augmented Reality.
Automechaniker können so nicht nur freihändig arbeiten, sondern sich bei einem Problem auch Fernwartungsvorschläge einholen, so die lang gehegte Vision. "Hands free" und Fernwartung oder Ferndiagnose sind auch Einsatzmöglichkeiten für viele andere vertikale Märkte. Die COMPUTERWOCHE hat bereits Anfang 2014 eine Reihe von entsprechenden B2B-Anwendungen vorgestellt - da geht es beispielsweise um Reparaturarbeiten an Pipelines oder hoch oben an Strommasten, um Einsatzmöglichkeiten in der Logistik und im Gesundheitswesen einschließlich erster Versuche einer Fern-OP und vieles mehr. Im Folgenden stellen wir nun einige neue Anwendungsszenarien vor.
"Hands-free Picking" bei Bechtle
Den Anfang soll eine seit 2014 zusammen mit SAP entwickelte und 2016 offiziell bekanntgegebene Logistiklösung für das Picking im Warenlager des Systemhauses Bechtle machen. Dabei werden sowohl Smart Glasses von Vuzix als auch die Moverio genannten von Epson eingesetzt. Die von Bechtle bereitgestellten Bilder zeigen die Lösung meist noch mit der Vuzix M100, die neue M300 war damals noch nicht am Start.
"Der Einsatz von Datenbrillen im dynamisch wachsenden Tagesgeschäft mit hohen Kundenanforderungen ist ein weiterer Meilenstein auf unserem Weg zur Logistik der Zukunft", sagt Bechtle-Logistikbereichsleiter Klaus Kratz. Die Smart Glasses sind per WLAN mit dem Lagerverwaltungssystem verbunden und zeigen dem Nutzer über die Android-basierte SAP AR Warehouse Picker App alle für ihn wichtigen Informationen im Sichtfeld an. Umgekehrt lassen sich über die automatische Scan-Funktion der in den Datenbrillen eingebauten Kameras und die Strich- oder QR-Codes auf den Etiketten auch im Nu alle relevanten Informationen über Art, Beschaffenheit und Bestimmungsort der Waren erfassen. Unterstützt durch eine leistungsfähige Spracheingabe können die Abläufe so wesentlich beschleunigt und fehlerfrei ablaufen. Nachdem sich Bechtle mit der Lösung zunächst auf arbeitsintensive Prozesse im Kleinteilebereich konzentriert hat, soll die Lösung laut Kratz künftig auch auf den Wareneingang und komplexe Lieferaufträge ausgeweitet werden. Die eingesetzten Smart Glasses lassen sich in weiteren Bereichen nutzen - in der Mitarbeiterschulung zum Beispiel, wie Epson und VW zeigen.
VW nutzt Epson Moverio für Trainingszwecke
In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsprojekt ARVIDA soll eine interoperable Systemwelt für Anwendungen mit "Virtuellen Techniken" (VT) entwickelt werden. Im Rahmen dieses Programms, dem sich viele namhafte Unternehmen angeschlossen haben, hat die Volkswagen AG als Teilprojekt "Instandhaltung und Training" Mitte 2014 in Hannover insgesamt 76 Mitarbeiter einmal mit und einmal ohne Datenbrille geschult. Die Trainees wurden jeweils mit Epsons Moverio BT-100 ausgestattet, die als halbtransparente Head-Mounted Displays den Blick auf die Umgebung nicht versperren und dennoch zusätzliche Informationen einblenden können. In dem Schulungsprogramm waren die vom Trainer je nach Lernfortschritt individuell versandten Inhalte in Form von Bildern zum Beispiel noch statisch.