Wertaufholung in Millionenhöhe
Denn während nach HGB alle Vermögenswerte zur Steuerersparnis schnell abgeschrieben werden und dann mit Restwerten oder gar einer schwarzen Null in der Bilanz stehen, obwohl sie noch zu gebrauchen sind oder sogar im Wert steigen, kennt die Bilanzierung nach IFRS den Bewertungsmaßstab "Fair Value" (korrekter, aktueller Wert) für alle Bilanzpositionen.
So waren nach der IFRS-Konzernrichtlinie bei ERNI in der Rückrechnung die degressive Abschreibung und die Laufzeiten der Maschinen zu korrigieren. Gebäude, Maschinen, Werkzeuge und Betriebsausstattungen, die degressiv steuerlich höchstmöglich abgeschrieben waren und in der HGB-Bilanz nur niedrige oder gar keine Restbuchwerte auswiesen, waren plötzlich wieder "wertvoll". So erzielte das Unternehmen für das sehr umfangreiche Anlagevermögen der ERNI Elektroapparate GmbH rückwirkend eine erhebliche "Wertaufholung" in Millionenhöhe. Bei der erstmaligen Anwendung von IFRS ergaben sich automatisch ein wesentlich höherer Bilanzansatz des Anlagevermögens und damit ein höheres Eigenkapital.
Dieser Teil der Umsetzung der IFRS-Bilanzierung wurde intern von ERNI selbst manuell unter hohem Zeitaufwand bewältigt. Um die Kosten nicht explodieren zu lassen, ergänzten die Adelberger die neue Buchführung "langsam parallel zum Tagesgeschäft". Ganz ohne externe Beratung in Sachen IFRS ging die Erneuerung jedoch nicht über die Bühne; für sie gaben die Schwaben rund 25000 Euro aus. Als hilfreich erwies sich zudem die Erweiterung der Komponente "Anlagenbuchhaltung" in der seit Mitte der 90er-Jahre integrierten ERP-Software SoftM Suite um das Modul "IFRS-Anbu", das heute im Umfang der Standardsoftware enthalten ist. Damit lassen sich die IFRS-Bilanzen weitgehend automatisch erzeugen. Lediglich "Differenzbeträge" aufgrund unterschiedlicher Berechnungsweisen müssen manuell in die Formulare eingetragen werden.
Für den Hersteller von Steckverbindungen war dies im Jahr 2002 sehr viel wert. Die Krise in der Hightech- und Computerbranche führte dazu, dass die Nachfrage nach den in hoher Stückzahl und automatisierten Verfahren hergestellten Kleinteilen aus Adelberg stockte. Da man nach hohen Investitionen plötzlich einen Umsatzrückgang von 50 Prozent zu beklagen hatte, wurden die Banken unruhig. Doch mit den IFRS-Zahlen gelang Urban der Nachweis, dass die Situation nicht so dramatisch war, wie es nach den deutschen HGB-Zahlen erschien.
Da es bisher kein allgemein gültiges Regelwerk für die Rechnungslegung in Europa gibt, haben sich Mittelständler, wenn sie eine internationale Vertriebsstruktur aufbauen, mit einer Vielzahl nationaler Besonderheiten auseinander zu setzen: Zuallererst müssen die Unternehmen in ihrer Buchführung die Steuergesetze und Vorschriften der einzelnen Länder abbilden, erst im zweiten Schritt kommt es - zusätzlich - auf einheitliche Zahlen und Berechnungsweisen nach internationalen Standards an.