NoSQL und Cloud

Anwender öffnen sich für Datenbankalternativen

20.12.2018
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Das Zeitalter der relationalen, stationär betriebenen SQL-Datenbanken scheint sich dem Ende zuzuneigen. Die Klassiker werden zwar noch gebraucht, weil sie transaktionale Business-Systeme unterstützen sollen. Doch rund um Innovation und Digitalisierung kommen andere Aspekte ins Spiel. Hier dreht sich alles um neue Datentypen, schnellere Auswertungen und die Cloud.

Jahrzehnte lang residierten Daten im Data Center eines Unternehmens, und zwar in den SQL-Datenbanken von IBM, Microsoft oder Oracle. Kaum ein Anwender wollte an diesem Fundament rütteln, so dass die Anbieter mit ihren Database-Management-Systems (DBMS) viel Geld verdienen konnten. Doch in Zeiten der Digitalisierung dreht sich der Wind. Immer mehr Business-Anwendungen wandern in die Cloud. Neue Daten aus anderen Quellen gesellen sich dazu. Die Begehrlichkeiten sind geweckt; Unternehmen setzen Analytics-Tools ein und hoffen auf tief gehende Einsichten in das eigene Geschäft, um bessere Entscheidungen treffen zu können. Mit dieser Verschiebung des Gravitationszentrums in den IT-Infrastrukturen geraten nun auch die Datenbanken in den Sog der Cloud.

Unendliche Weiten - neue Datenbankwelten.
Unendliche Weiten - neue Datenbankwelten.
Foto: pixelparticle - shutterstock.com

Analysten erwarten, dass bis zum Jahr 2023 rund drei Viertel aller Datenbanken in einer Cloud-Infrastruktur laufen werden. Schon heute macht sich diese Dynamik bemerkbar. Von 2016 auf 2017 habe der weltweite Datenbankmarkt um fast 13 Prozent auf ein Volumen von 38,8 Milliarden Dollar zugelegt, berichtet Gartner-Analyst Merv Adrian. Es sei das erste zweistellige Wachstum seit fünf Jahren gewesen. "Die Impulse dafür sind in erster Linie aus der Cloud gekommen." Der Aufbruch in Richtung Cloud ist umso bemerkenswerter, als die Betriebe gerade in Sachen Datenbanken Veränderungen gegenüber wenig aufgeschlossen sind. Das ist nicht verwunderlich: Die Datenbank ist oft eine existenzielle Geschäftsgrundlage. Hier liegen Kundendaten, wichtige Geschäfts- und Produktionsinformationen und transaktionale Daten aus den Business-kritischen Applika­tionen. Ohne diese Daten geht meist nichts, das Geschäft steht still. Das wissen die Ver­antwortlichen und umso skeptischer stehen sie neuen Datenbankansätzen gegenüber.

Legacy-Datenbanken sind träge und werden immer komplexer

"Legacy-Datenbanksysteme sind träge", sagt Gartner-Analyst Adrian. Es sei äußerst schwer, hier Veränderungen herbeizuführen. Über viele Jahre hinweg haben die Anwender in ihren Rechenzentren regelrechte Festungen für ihre Datenbestände gebaut. Die Administratoren haben die Systeme eng mit den Business- Applikationen verzahnt. Kontinuierlich wird mit diversen Tools daran gearbeitet, die eigene Datenbank sicherer und schneller werden zu lassen. Schließlich gilt es, mit den wachsenden Anforderungen des Business mithalten zu können. Die Kehrseite der Medaille: Die Systeme werden immer komplexer, und je mehr sich die Anwenderunternehmen auf eine Datenbankplattform einlassen, desto höher ist die Abhängigkeit vom Anbieter. Die Schwierigkeit steigt, neue Wege einzuschlagen.

Aktuelle Marktstudie: Legacy-Modernisierung 2018

Doch die Bereitschaft zu harten Einschnitten wächst, zumal der Ärger über die Anbieter der klassischen Systeme immer größer wird. IBM vergrault seine Datenbankkunden mit komplexen, undurchsichtigen Preismodellen, hat Gartner in seinem jüngsten Datenbank-Report festgestellt. Und Oracle, der einstige Datenbankprimus, sorgt mit seinen Geschäftspraktiken für immer mehr Unmut unter seinen Kunden. Das wurde vor wenigen Tagen auf der Jahreskonferenz der Deutschen Ora­cle-Anwendergruppe (DOAG) mehr als deutlich. Seit Jahren ärgern sich die Kunden über ihrer Meinung nach unfaire Lizenzmetriken in virtualisierten Umgebungen sowie den immer schlechter werdenden Produkt-Support. Der Frust reicht mittlerweile so tief, dass viele offen darüber nachdenken, sich ganz von Oracle-Produkten zu verabschieden.

Prominentestes Beispiel für die Ablösung von Oracle-Datenbanken ist Amazon. Der welt­größte Online-Händler arbeitet seit Jahren daran, Oracle abzulösen und auf eigene Dienste seiner Tochter Amazon Web Services (AWS) umzusteigen. Angeblich laufen bereits etliche Business-kritische Workloads auf dem selbst entwickelten relationalen Datenbankservice "Aurora". Bis Anfang 2020 will Amazon Oracles DBMS komplett abgelöst haben, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Der Hauptgrund, warum die Amazon-Verantwortlichen Oracle loswerden wollen, liegt in der unzu­reichenden Skalierbarkeit der Datenbank­leistung. So muss die Infrastruktur des Online-Händlers in der Lage sein, Lastspitzen wie beispielsweise am Black Friday oder im Weihnachtsgeschäft abzufedern. Außerdem habe Oracle zuletzt wenig Innovation in seiner Datenbankentwicklung gezeigt.

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Amazon hat seine Strategie rund um seinen Oracle-Abschied nie offiziell bestätigt, aber auch nicht dementiert. Gerade in den beiden zurückliegenden Jahren waren immer wieder Informationen über das Vorhaben durch­gesickert. Diese Gerüchte stießen bei Oracle nicht gerade auf Begeisterung, und der für seine Streitlust bekannte Firmengründer und derzeitige Chief Technology Officer (CTO) Lawrence Ellison ließ sich zuletzt kaum eine Gelegenheit entgehen, den Konkurrenten aufs Korn zu nehmen.

Goodbye, Oracle?

"Lassen Sie mich erzählen, wer sich nicht von Oracle verabschiedet", dozierte Ellison süffisant anlässlich einer der letzten Quartals­bilanzdiskussionen. "Ein Unternehmen, das allen bekannt sein dürfte, hat uns in diesem Quartal weitere 50 Millionen Dollar gezahlt, um Oracle-Datenbanken und andere Techno­logien zu kaufen. Diese Firma ist Amazon." Ellison hat sich zuletzt regelrecht auf den Online-Händler und dessen Tochter AWS eingeschossen. Die Datenbanktechnik des Konkurrenten hinke der eigenen um Jahre hinterher, mokierte sich der Manager. Sie eigne sich nicht dafür, geschäftskritische Workloads darauf laufen zu lassen. Außerdem komme es Anwender deutlich günstiger, eine Oracle- Datenbank in der Oracle-Cloud zu betreiben, als eine entsprechende AWS-Lösung einzusetzen.

Oracle-Gründer Lawrence Ellison hat in den vergangenen Jahren kaum eine Gelegenheit ausgelassen, gegen den neuen Konkurrenten AWS zu wettern.
Oracle-Gründer Lawrence Ellison hat in den vergangenen Jahren kaum eine Gelegenheit ausgelassen, gegen den neuen Konkurrenten AWS zu wettern.
Foto: Oracle

Oracle habe in Sachen Cloud noch einen weiten Weg vor sich, konterte AWS-CEO Andrew Jassy Mitte des Jahres. Passend zum US-amerikanischen Unabhängigkeitstag am 4. Juli twitterte der Manager, man habe bereits über 80.000 Datenbanksysteme in die eigene Cloud migriert – darunter viele Oracle-Systeme. Unter den AWS-Datenbank-Nutzern finden sich klangvolle Namen wie Expedia, General Electric und Verizon.

Die Beispiele könnten Schule machen. Erst im Mai dieses Jahres hat die irische Fluglinie Ryan­air bekannt gegeben, ihre Data Center schließen und mit der eigenen IT-Infrastruktur komplett in die AWS-Cloud wechseln zu wollen. Die Fluggesellschaft verspricht sich davon mehr Flexibilität und Agilität sowie deutliche Kosteneinsparungen. Im Zuge des Umstiegs will sich Ryanair auch von Legacy-Systemen verabschieden. Demnach soll der bestehende Microsoft SQL Server durch AWS Aurora ersetzt werden. Damit ließen sich großvolumige E-Mail-Kampagnen schneller und zu einem Bruchteil der ursprünglichen Kosten ausrollen, hieß es. Neben den Kosten geht es dem Billigflieger vor allem auch darum, seinen Kunden zusätzliche Services zu offerieren sowie mit tieferen Einsichten in die eigenen Daten mehr Geschäft zu machen. Dafür wollen die Iren künftig verschiedene AWS-Services einsetzen, darunter Machine Learning sowie Service-Bots auf Basis von Amazon Alexa.