Mittelständler sind nahe am Kunden
Auf den Public Sector entfällt rund ein Drittel Ihres Geschäfts. In der öffentlichen Wahrnehmung steht Behörden-IT inzwischen aber für Behäbigkeit und wenig Innovation. Ist das für Sie hinderlich, wenn Sie an privatwirtschaftliche Unternehmen heranwollen?
Wibbe: Überhaupt nicht. Behörden sind unser Kerngeschäft, da kommen wir her. Ich bin froh, dass wir dort so gut aufgestellt sind. Aber natürlich tickt das Geschäft mit privaten Industrieunternehmen ganz anders. Nach meiner Erfahrung lässt sich das gut vereinbaren. Die Behörden haben ja einen hohen Anspruch an Sicherheit, Prozesstreue und Qualität. Das sind Themen, die unsere Werte widerspiegeln. Deswegen passen wir gut zueinander. Und all das finden ja auch die großen Industriekonzerne gut.
Unternehmen wie BASF oder Mercedes arbeiten gerne mit uns. Es heißt ja so schön: "Big enough to scale, small enough to care." Einen Mittelständler wie uns kann man durchaus noch davon überzeugen, Dinge kundenspezifisch umzusetzen - und dabei das Thema Qualität im Fokus zu haben. Im IT-Markt gab es da schon einen Paradigmenwechsel in den vergangenen Jahren. Es geht nicht mehr nur um das günstigste Angebot, sondern auch um Qualität und Differenzierung. Das Know-how, das wir sowohl im öffentlichen Sektor haben als auch im privaten, ist ein Asset.
Warum haben Sie vor allem Softwareprodukte zugekauft?
Wibbe: Weil es zu unserer Strategie gehört, unsere Fähigkeiten im Dienstleistungsgeschäft mit eigenen Assets zu untermauern. Ich bin fest davon überzeugt, dass man sich so differenzieren kann und muss. Zu sagen: 'Wir können Dienstleistung', ist schön und gut, aber eigene Software zu haben, um zum Beispiel im Public Sector die Kommunikation absichern zu können, ist ein Asset. Ebenso, im SAP-Bereich ein eigenes Toolset zu haben, um schneller zu sein als andere. Damit können wir uns differenzieren. Deswegen haben wir Firmen wie z.B. Radar und TraffGo Road gekauft.
Geht es nicht auch darum, mit Lizenzeinnahmen höhere Gewinnmargen zu erzielen?
Wibbe: Natürlich hat jeder ein Interesse daran, rekurrierende Umsätze zu machen, um langfristige Kundenbindungen aufzubauen. Das ist ein schöner Nebeneffekt, aber mehr auch nicht.
Materna ist in Dortmund ansässig, einer der größten Arbeitgeber, aber Sie haben auch starke Konkurrenz vor Ort - nicht nur wenn es um Kunden, sondern auch wenn es um knappe Talente geht. Ich denke da etwa an adesso, die sind börsennotiert und können den IT-Nachwuchs mit schönen Aktienoptionen locken. Wann geht Materna an die Börse?
Wibbe: Zunächst einmal: Um Beteiligungsmodelle umzusetzen muss man nicht unbedingt an der Börse sein. Und dann geht es bei der Mitarbeitergewinnung beileibe nicht nur um die Vergütung, auch wenn die sehr wichtig ist. Es geht mindestens genauso um interessante Projekte und eine gute Weiterbildung. Als Familienunternehmen haben wir einen guten Ruf.
Unsere Arbeitgeberwerte lauten Autonomiekönner, Freiräume schaffen und Substanz zählt. Wir legen bei Einstellungen wirklich wert darauf Leute zu finden, die unsere Kunden substanziell nach vorne bringen und in unser TeamMaterna passen. Autonomie heißt: Unsere Mitarbeiter haben viele Freiheiten. Die können arbeiten wo und wann sie wollen.
Einen Börsengang wird es für Materna nicht geben
Also planen Sie erstmal keinen Börsengang?
Wibbe: Nein, den wird es nicht geben.
Ihre Unternehmensgründer Winfried Materna und Helmut an de Meulen sind in Dortmund auch lokal verankert, zum Beispiel in der Politik, der Wissenschaft, der Kultur - und auch beim BVB. Ist das für Sie noch wichtig?
Wibbe: Ich bin gebürtiger Ostwestfale und lebe im Rheinland. Das Ruhrgebiet ist also in der Mitte. Die Region an sich liegt mir und uns am Herzen. Die Bedeutung für die Personalgewinnung nimmt jedoch deutlich ab. Eines der Kernthemen für unsere Mission 2025 war das Projekt Local Hero. Wir konzentrieren uns darauf, wo unsere Kunden sitzen. Das höchste Wachstum in unserer Belegschaft haben wir aktuell in Berlin, dann kommt Frankfurt und dann erst Dortmund. Wir bilden derzeit, auch bedingt durch unsere Zukäufe, mehrere Hubs. Einer wird München sein, dann Frankfurt, Berlin, Hannover, Dortmund - eben überall in Deutschland.
Auch die Internationalisierung ist wichtig, denn wir müssen da sein, wo unsere Kunden sind. Unsere Tochter Materna Intelligent Passenger Solutions und auch unsere Tochter cbs, mittlerweile präsent an 22 Standorten in elf Ländern, werden weiter expandieren. Durch den Zukauf der RADAR in Wien werden wir mehr in Österreich wachsen.
Was sind für die nächsten drei Jahre die Kernthemen von Materna?
Wibbe: Die SAP-S4/HANA-Transformation ist für uns ein wichtiges Thema, dabei spielt unsere Tochter cbs, die nahezu eigenständig agiert, eine zentrale Rolle. Natürlich bleibt auch die öffentliche Verwaltung im Fokus. Wir haben die Herausforderungen eben besprochen: OZG, Registermodernisierung, da gibt es noch viel zu tun und es gibt große Rahmenverträge zu gewinnen. Da haben wir ein gutes Angebot, und wir haben allein da 300 Stellen in Planung in diesem Jahr, wir wollen dort wachsen und haben auch die Auftragslage dafür.
Das dritte große Thema ist Cybersecurity, und dann werden uns natürlich das Thema Enterprise Service-Management und die Data Economy weiter beschäftigen: Was kann ich mit Daten und KI anfangen? Es gibt aber auch einige interessante kleinere Themen, in denen wir ein Pflänzchen setzen und Angebote machen wollen. Die Geschäftsmodell-Beratung gehört dazu, auch das Thema Nachhaltigkeit/ESG. Last, but not least bleiben Cloudifizierung und Applikationsmodernisierung besonders wichtig.