Es klingt paradox: Die Zukunft der Softwareentwicklung liegt darin, den Programmieraufwand auf ein Minimum zu reduzieren (Low Code) oder Apps komplett ohne Codierung zu erstellen (No Code). Die Marktforscher von Gartner prognostizieren, dass 2024 rund zwei Drittel aller Anwendungen auf einer Low-Code- beziehungsweise No-Code-Applikationsplattform (Low Code Application Platform = LCAP) erstellt werden.
Den klaren Trend in diese Richtung bestätigten auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines virtuellen COMPUTERWOCHE-Round-Tables zum Thema Low Code/No Code. Die Zuwachsraten sind über die letzten Jahre hinweg deutlich gestiegen, durch die Coronapandemie bekam der Trend noch einmal mehr Schwung. Für die Einführung einer Code-Plattform sprechen eine Reihe von Gründen.
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Mehr Tempo bei der Softwareentwicklung
Wenn Unternehmen ihre Geschäft digitalisieren, automatisieren und modularisieren - Stichwort: Composable Business - stehen sie beim schnellen Entwickeln und Bereitstellen neuer Anwendungen vor Herausforderungen. Die nötige Geschwindigkeit lässt sich mit herkömmlichen IT-Entwicklungsmethoden und dem Erstellen und Abarbeiten aufwendiger Pflichten- und Lastenhefte, die oft einem "100-Prozent-Anspruch" folgen, nicht auf die Straße bringen.
Hier setzen moderne Low-Code-/No-Code-Plattformen an: Die App-Produktion erfolgt schneller, weshalb viel früher Wertschöpfung erzielt werden kann. Auf einer solchen Plattform können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Fachbereichen, die wenig oder gar kein IT- und Programmier-Know-how haben - die sogenannten Citizen Developer - eigene Anwendungen erstellen. Das entlastet die professionellen Entwickler in den IT-Abteilungen, die meistens überlastet sind. Da Citizen Developer die fachlichen Probleme, Aufgaben und Prozesse gut kennen, verkürzt sich in der Regel der Weg von der ersten Idee bis zur fertigen Applikation. So wird die digitale Unternehmenstransformation insgesamt beschleunigt.
Der Trend zur Low-Code-/No-Code-Entwicklung ist nicht zuletzt auf einen Generationswechsel in den Betrieben zurückzuführen. Jüngere User sind digital aufgewachsen, sie erwarten dass sich Business-Software intuitiv bedienen lässt - so wie sie es von ihren privaten Apps auf dem Smartphone oder Tablet her kennen. Dazu ist es nötig, die einzelnen Schritte eines Geschäftsprozesses zu einem automatisierten, durchgängigen und übersichtlichen End-to-End-Prozess zu bündeln. Was viele über Jahre genutzte ERP-Systeme noch vermissen lassen, bieten oftmals die Low-Code-/No-Code-Plattformen.
- Dr. Juergen Erbeldinger, ESCRIBA AG
„No-/Low-Code-Plattformen sind ein und werden immer mehr zum zentralen Baustein der IT-Strategie von Unternehmen. Sie ermöglichen es, eine Vielzahl kleiner Anwendungen einheitlich zu betreiben, ohne einen Anwendungszoo in Kauf nehmen zu müssen. Welche Plattformen zum Einsatz kommen hängt vom Einsatzgebiet ab, zum Beispiel für die Produktion und für Verwaltungsprozesse.“ - Hamiedha Sahebzada, ServiceNow
„Digitalisierte Geschäftsprozesse lassen sich peu à peu auf eine Low-Code-/No-Code-Plattform bringen und dort standardisiert betreiben und verwalten. Ein großer Vorteil liegt dabei in der Wiederverwendbarkeit einzelner Komponenten. Gegenwärtig ist Low Code das Mittel der Wahl, aber in Zukunft wird das Pendel bei der Softwareentwicklung deutlich mehr in Richtung No Code ausschlagen. Der Einsatz einer solchen Plattform muss zudem stets im Einklang mit vorhandenen IT-Governance-Richtlinien erfolgen.“ - Henrik Behrens, Machine Learning Reply
„Für Anwendungsfälle im Bereich Machine Learning gibt es spezielle Low-Code-Plattformen, mit denen Fachanwender Machine-Learning-basierte Anwendungsfälle schnell evaluieren und End-to-End-Lösungen im Data-Science-Bereich einfach realisieren können. Das ermöglicht auch eine zeitnahe Umsetzung datenbasierter Geschäftsmodelle.“ - Stefan Brotzler, Mendix
„Der Druck für die Einführung einer Low-Code-Plattform geht vom Business aus, das von der IT fordert, immer neue Anwendungen in sehr kurzer Zeit bereitzustellen. Die Demokratisierung der App-Entwicklung durch die Einführung einer Low-Code-Plattform ist ein Kulturwandel für IT und Business und erfordert ein aktives Changemanagement.“ - Cosima von Kries, Nintex
„Der Trend geht eindeutig dahin, dass die Nachfrage nach No-Code-/Low-Code-Plattformen weiter steigen wird. Das hat mehrere Gründe: Die personellen Ressourcen in den IT-Abteilungen sind begrenzt, gleichzeitig fordert das Business eine möglichst schnelle Bereitstellung von Apps und Anwendungen, die Geschäftsprozesse automatisieren und digitalisieren.“ - Ralph Briegel, SPIRIT/21
„Die Zeit ist reif für einen Paradigmenwechsel bei der Softwareentwicklung. Low Code und No Code ergänzen klassische Methoden und eröffnen der IT ein deutlich breiteres Spektrum an Möglichkeiten bei der Softwareentwicklung, etwa im Hinblick auf die Effizienz und die Performance von Applikationen. Allerdings muss auch eine Low-Code-/No-Code-Plattform vollständig und sauber ausprogrammiert sein, bevor sie einsatzfähig ist.“ - Johannes Hiller, Intrexx
„Jedes Unternehmen muss sich zunächst Klarheit darüber verschaffen, ob es den Weg in Richtung Low Code/No Code gehen will und welche Bereiche und Themen damit abgedeckt werden sollen. Das ist Chefsache und stellt das Management vor die Aufgabe, die nötigen Ressourcen für ein solches Projekt bereitzustellen. Zudem muss man sich im Klaren sein, dass die Digitalisierung kein einmaliges Projekt ist, sondern ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess“ - Philipp Erdkönig, WEBCON
„Unternehmen dürfen ihre Auswahlkriterien für eine Low-Code Plattform nicht nur an den Bedürfnissen während der Entwicklungsphase von IT-Anwendungen ausrichten, sondern müssen den gesamten Lebenszyklus von langfristig betriebenen Applikationen betrachten – vor allem die einfache Anpassbarkeit an sich ständig verändernde Anforderungen sollte hier ein Kriterium sein.“
Knappe IT-Budgets bremsen Low Code/No Code
Auf einer Low-Code-/No-Code-Plattform lassen sich eigenentwickelte Workflows, Modifikationen und Prozesserweiterungen erstellen und betreiben. Voraussetzung ist, dass die nötigen Konnektoren und eine Integration mit dem ERP-System vorhanden ist. Die Plattformen können helfen, ERP-Systeme zu verschlanken und weitestgehend im Standard zu nutzen, was den Aufwand und die Kosten für Wartung, Betrieb und Releasewechsel senkt. Führen Geschäfts- und Marktveränderungen dazu, dass Erweiterungen und neue Prozesse benötigt werden, lassen sich diese in der Low-Code-Plattform umgesetzt und betreiben, ohne das ERP-System zu belasten.
Bei aller Euphorie wird der Einsatz der Plattformen doch vielerorts durch knappe IT-Budgets gebremst. Auf längere Sicht dürften jedoch die meisten größeren Betriebe in Low Code/No Code investieren, weil die agile und schnelle Bereitstellung neuer Anwendungen im digitalen Business immer mehr zum geschäftskritischen Faktor wird.
Bei der Wahl der Plattform kommt es darauf an, für welche Zwecke sie benötigt wird. Während sich mit Low Code inzwischen sehr viele Use Cases umsetzen lassen, sind die Möglichkeiten von No-Code-Plattformen noch stark eingeschränkt. Auch erfordert der Umgang mit einer Plattform eine gewisse Affinität zum Programmieren - auch vom Citizen Developer.
Studie "Low-Code No-Code 2022": Sie können sich noch beteiligen! |
Zum Thema Low-Code/No-Code führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, hilft Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) gerne weiter. Informationen zur Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF). |
Schatten-IT durch Governance vermeiden
Eine zentrale Herausforderung beim Einsatz einer solchen Plattform sehen die Roundtable-Diskutanten in der strikten Einhaltung von Governance-Prinzipien und -Regeln. Würden Citizen Developer komplette Prozesse oder einzelne Prozessschritte mit einem Low-Code-/No-Code-Tool konfigurieren und automatisieren, ohne sich die Unterstützung der IT-Abteilung zu sichern, wäre das Anwachsen der Schatten-IT kaum zu verhindern. Unkoordiniert erstellte Apps erfüllen oft nicht die Governance-Anforderungen und stellen somit ein Sicherheitsrisiko dar.
Übereinstimmung herrschte in der Diskussion darüber, dass die Dimension des Citizen Development frühzeitig und von allen Beteiligten geklärt werden sollte. Will man lediglich Excel-Lösungen durch einfach gestrickte Apps ersetzen? Oder geht es darum, komplexere Anwendungen zu entwickeln? Ebenso ist von Beginn an festzulegen, welche End-User mit Low-Code/No-Code arbeiten dürfen und wie ihre Berechtigungen aussehen sollen. Diese lassen sich über die Plattform in aller Regel problemlos vergeben und nötigenfalls auch widerrufen.
Selbstverständlich muss bei jeder App, die Citizen Developer erstellen oder an deren Entwicklung sie beteiligt sind, die Datensicherheit, der Schutz vor Datendiebstahl und die strikte Einhaltung der DSGVO-Richtlinien gewährleistet sein. Moderne Low-Code-/No-Code-Plattformen stellen die nötigen Security-Funktionen und -Features in der Regel bereits von Haus aus bereit. Genauso wichtig ist, dass Security-by-Design-Prinzipien über den gesamten Lebenszyklus einer Low-Code-/No-Code-Applikation hinweg unterstützt werden. Und schließlich muss die Plattform die Integration der Apps in die vorhandene IT-Landschaft unterstützen.
Low-Code/No-Code-Einführung ist Chefsache
Die Einführung einer Plattform hat hohe strategische Bedeutung und muss daher von Vorstand oder Geschäftsleitung abgesegnet werden. Das Management sollte den Einsatz allerdings keinesfalls "par ordre du mufti" anordnen, sondern in die Entscheidungsfindung immer die IT-Organisation einbeziehen und vom konkreten Nutzen überzeugen. Umgekehrt muss die IT bereit sein, sich zu öffnen und die Softwareentwicklung zwischen Profi- und Citizen-Developern zu teilen. Gelingt das nicht, ist ein Low-Code-/No-Code-Projekt zum Scheitern verurteilt.
Im besten Fall spielt es keine Rolle, ob die Initiative zur Einführung einer Low-Code-/No-Code-Initiative vom Topmanagement oder vom CIO beziehungsweise CDO (Chief Digital Officer) ausgeht, weil Business-IT-Alignment längst gelebter Alltag ist. Um die Vorteile einer Plattform auszuschöpfen und sich vor Fehlern zu schützen, empfiehlt es sich, externe Experten hinzuziehen, die ein solches Projekt über alle Phasen hinweg begleiten können. Zur Minimierung des Projektrisikos sollten die Vorzüge von Low Code/No Code für das eigene Geschäft in einem klar umrissenen Pilotprojekt oder Proof of Concept (PoC) evaluiert werden.
Businessnutzen und RoI müssen stimmen
Der Erfolg eines Low-Code-/No-Code-Einsatzes misst sich am Mehrwert für das Business und an einem möglichst schnellen Return on Investment (RoI). Die Verantwortlichen müssen sich zudem im Klaren darüber sein, dass ein kultureller Wandel unvermeidlich und ein kluges Change-Management erforderlich ist. Doch die meisten Betriebe haben mit agiler Softwareentwicklung und DevOps-Ansätzen bereits viel Erfahrung gesammelt, so dass sie gut vorbereitet sind.
Je nach Branche und Anforderung dürften auf Dauer nicht eine, sondern gleich mehrere No-Code-/Low-Code-Plattformen eingesetzt werden. Ähnlich wie beim Cloud Computing läuft es auf eine Multi-Plattformstrategie hinaus, weil sich die Angebote zunehmend spezialisieren und für unterschiedliche Szenarien einsetzen lassen. Sie flankieren die großen Standardsoftwarepakete, bilden daten- und dokumentenintensive Workflows ab oder konzentrieren sich auf IoT-Anwendungsfälle.
Allerdings ist damit zu rechnen, dass sich der Anbietermarkt nach und nach konsolidieren wird und die dominierenden Plattformen ausgebaut werden, um mehr Business-Cases abzudecken. Zum Ende des Round-Table-Gesprächs kam der Vorschlag auf, ein Standardisierungsgremium zu gründen, um Technologien und Schnittstellen bei Low-Code-/No-Code-Plattformen zu vereinheitlichen.
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