Passgenaue Vermittlung von IT-Freiberuflern

Wo liegt der Schmerz der Projektleiter?

09.11.2016
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Digitale Projekte sind oft so komplex, dass Unternehmen selbst nicht genau wissen, welchen freiberuflichen Spezialisten sie einsetzen wollen. Personaldienstleister machen hier einen hohen Beratungsbedarf aus, viele glauben darum nicht, dass das Vermittlungsgeschäft künftig komplett automatisiert werden kann.

Digitalisierung ist ein weites Feld, auch für Personaldienstleister, die freiberufliche IT-Spezialisten an Kundenunternehmen vermitteln. Die Vermittler erreichen nicht mehr nur Anfragen aus der klassischen IT-Abteilung, wie Thomas Riedel, Senior Abteilungsleiter Contracting bei Hays, feststellt: "Wir bekommen sehr viel mehr Projektanfragen aus Nicht-IT-Abteilungen, vor allem aus den Engineering-Bereichen. Insgesamt werden vor allem Javaentwickler, Datawarehouse- und Big-Data-Spezialisten gesucht." Riedel weiter: "Engineering oder IT, diese Frage stellt sich auch bei uns oft intern und es ist nicht immer leicht zu entscheiden, welche unserer spezialisierten internen Abteilung sich mit der Kundenanfrage befasst."

Unser Bild zeigt von links: Stefan Symanek (Gulp), Simon Gravel (freelance.de), Karen Funk (COMPUTERWOCHE), Michael Girke (Q_Perior), Kai-Oliver Böhm (Experis), Thomas Riedel (Hays), Bernd Sauer (Goetzfried), Florian Spelz (DIS) und René Troché (Westhouse Consulting)
Unser Bild zeigt von links: Stefan Symanek (Gulp), Simon Gravel (freelance.de), Karen Funk (COMPUTERWOCHE), Michael Girke (Q_Perior), Kai-Oliver Böhm (Experis), Thomas Riedel (Hays), Bernd Sauer (Goetzfried), Florian Spelz (DIS) und René Troché (Westhouse Consulting)

Dem stimmt Kai-Oliver Böhm, Director Business Unit IT bei Experis, zu, der vor allem im Automotive-Umfeld viele Digitalisierungsprojekte mit hohem Personalbedarf ausmacht. Zum Teil habe ein Autokonzern hier 100 Stellen zu besetzen: "IT und Engineering überschneiden sich immer mehr und lassen auch die Anforderungen an die Kandidaten komplexer werden." Da Themen und Anforderungen sich zudem immer wieder erneuern, ist in digitalen Projekten vor allem der Generalist gefragt, beobachtet René Troché, Geschäftsführer von Westhouse Consulting. Allerdings wüssten viele Unternehmen nicht genau, womit dieser ausgestattet sein sollte. Für die Personaldienstleister heißt das in den Augen von Michael Girke, Partner bei Q_Perior: "Bei Projekten zur digitalen Transformation müssen wir häufig Übersetzungsarbeit leisten zwischen den Anforderungen des Kunden und den Skills, die der Freiberufler dafür mitbringen muss."

Was versteht man unter Digitalisierung?

Auch für Gulp-Manager Stefan Symanek ist es wichtig zu klären, was "wir unter Digitalisierung verstehen. Ich verstehe darunter, dass CNC-Fräsen über eine App gesteuert werden, welche zuvor von einem UX-Designer entworfen und auf Usability optimiert wurden. Dass Produktionssysteme Daten liefern und wir Schnittstellen zum SAP-System programmieren müssen. Oder dass neuerdings Big-Data-Spezialisten im Industrieumfeld gesucht werden."

Laut Q_Perior-Manager Girke sind im Zuge von Agilität und digitaler Tranformation "wieder mehr Querschnittsskills gefragt. Zum Beispiel muss ein guter Scrummaster technisch versiert sein, aber auch ein guter Kommunikator - und konzeptionelle Skills können auch nicht schaden." Girke rechnet auch in anderen Feldern mit einem höheren Personalbedarf: "Die Nachfrage im Commodity-Bereich wird steigen, da die dortigen Mitarbeiter zum Teil für digitale Projekte abgezogen werden und wir mit Externen für Ersatz sorgen müssen."

Qualifizierte Freiberufler sind rar

Das Finden qualifizierter Freiberufler bleibt aber schwer, wie alle Diskutanten bestätigen. Dazu Girke: "Der Markt ist eng - nicht alles kann derzeit besetzt werden. Wir können leider nicht zaubern, das muss den Kunden klar sein." 92 000 IT-Freiberufler gibt es laut Gulp-Mann Symanek in Deutschland: "Das ist unsere natürliche Grenze. Wir werden nicht den Banker finden, der sich die für die Digitalisierung benötigten IT-Skills aneignet."

Auch Troché von Westhouse Consulting identifiziert im Fachkräftemangel sein Kernthema: "Es ist eine große Herausforderung, überhaupt die benötigten Kandidaten zu finden. Darum müssen wir uns mehr mit dem Freiberufler beschäftigen, ihn mehr an uns binden, mehr Commitment geben und einfordern. Auch die Kunden wollen zunehmend eine persönliche Beratung und Betreuung." Dem stimmte Florian Spelz, Leiter Großkundenbetreuung der DIS AG zu: "Wir sind gefordert, dem Kunden zu helfen, Lösungen für die Umsetzung der Digitalisierung zu entwickeln."

Kandidatenengpass überwinden

Für die veränderten Erwartungen nennt Experis-Manager Böhm ein weiteres Beispiel: "Die Kunden erwarten von uns, dass wir auch die Weiterbildung der Freiberufler übernehmen - wie mache ich aus Junior-Projektmanager einen Scrummaster, um den Kandidatenengpass abzudecken und zu überwinden." Für Böhm ist darum klar: "Wir müssen neue Rekrutierungswege in Netzwerken und auf spezifischen (IT oder Digitaliserungens-) Portalen finden. Über Xing oder Monster wird die Suche zunehmend schwieriger, wenn wir den "perfect match" anstreben."

Wie Personaldienstleister die genaue Passung zwischen Kundenanforderung und Kandidaten-Skill hinbekommen und ob diese künftig nicht Algorithmen viel besser leisten können, ist umstritten. So verfolgt Simon Gravel, Geschäftsführer von freelance.de das Ziel, "das automatisierte Matching weiter zu entwickeln und damit eine passgenaue Zuordnung zwischen den in den Lebensläufen hinterlegten Skills und Kompetenzen der Freiberufler und dem, was der Einkauf tatsächlich braucht, zu ermöglichen." In Gravels Augen wird "die Digitalisierung unsere eigene Branche noch stark treffen. Gerade entstehen viele neue Portale sowie Plattformen, die in bestehende Software und Lösungen integriert werden. Hierbei wird die Vermittlungswertschöpfungskette ständig weiter automatisiert." Die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Vermittlungsgeschäft sei dagegen noch verfrüht, erste Ansätze ließen sich bereits erkennen.

Matching ist erster Schritt der Auswahl

Hays-Manager Riedel glaubt nicht an ein voll automatisiertes Matching: "Das ist nur ein kleiner Teil unserer Aufgabe als Dienstleister. Nach dem ersten Matching beginnt erst die echte Auswahl. Diese Zusatzarbeit, aus den zum Beispiel gematchten 50 Treffern den passenden Freiberufler herauszufiltern, ist ein großer Aufwand, den kein IT-Leiter, der eh gut beschäftigt ist, sich machen will."

Dem pflichtet Julian Schotten, Managing Director von Future Consulting, bei: "Der persönliche Kontakt wird auch weiter entscheiden. Es gilt, den Nerv und den Schmerz des Projektleiters zu erfassen, das kann noch keine Plattform leisten. Der Projektleiter beim Kunden hat keine Zeit, Plattformen nach passenden Profilen zu durchforsten. Dazu kommt, dass der Kunde oft ja selbst nicht genau weiß, was er im Detail sucht. Einen Scrummaster mit Projektmanagementerfahrung oder doch einen anderen Scrummaster mit Kenntnissen im Bereich Architektur und weniger Projektmanagementerfahrung?" Darüber hinaus zieht Schotten in Zweifel, ob ein Portal wichtige Soft Skills wie Zuverlässigkeit oder Teamfähigkeit bewerten vermag?

Online-Plattformen ersetzen nicht, sie ergänzen

DIS-Mann Spelz sieht im Markt Platz für beide Arten der Vermittlung: "Der Berater in der Personaldienstleistung wird nicht aussterben, sondern durch Online-Plattformen ergänzt und in einer Synthese von unseren Kunden auf persönlichen und digitalen Kanälen genutzt. In der nahen Zukunft kann eine Online-Plattform unsere Dienstleistung in großen Teilen prozessual abdecken, aber es wird immer ein Teil Human Interaction verbleiben."

Ein Thema mit ungewissem Ausgang ist auch die Scheinselbständigkeit, die alle Marktbeteiligten umtreibt. Dazu Schotten von Future Consulting: "Die Konzerne sind sehr verunsichert. Es besteht die Gefahr, dass sie alle Freelancer auf die Straße setzen, um sie nachträglich wieder einzustellen." Bernd Sauer, Vice President Sales der Goetzfried AG, beobachtet, dass sich "Kunden zunehmend mit den verschiedenen Vertragsformen auseinandersetzen. Sie erwarten von uns, dass wir sie hinsichtlich der für sie geeigneten Vertragsform beraten. Auch Freiberufler benötigen heute angesichts der unsicheren Gesetzeslage mehr Beratung. Dennoch binden sie sich nur noch sehr selten an einen Personaldienstleister. Letztlich erhält das beste Angebot den Zuschlag." Sauer rechnet damit, dass sich "Vertragsformen ändern werden. Der Trend wird teilweise vom Freiberufler zur Arbeitnehmerüberlassung gehen. Die Compliance wird für alle Beteiligten herausfordernd."

Für Hays-Manager Riedel gilt: " Wir müssen die Kunden überzeugen, die Freiberufler rechtssicher einzusetzen, etwa über Werkverträge. Dazu haben wir eigene Firmen, die Hays Technologie Solutions GmbH, gegründet." Demgegenhüber erinnert Girke von Q_Perior, dass gerade "agile Projekte - mit engen und laufenden Teamabstimmungen - und ein rechtskonformer Einsatz der Freiberufler nur schwer unter einen Hut zu bringen sind." Demgegenhüber erinnert Girke von Q_Perior, dass gerade "agile Projekte - mit engen und laufenden Teamabstimmungen - und ein rechtskonformer Einsatz der Freiberufler nur schwer unter einen Hut zu bringen sind."

Gipfeltreffen der Personaldienstleister

Zum Gipfeltreffen lud die COMPUTERWOCHE die wichtigsten Personaldienstleister ein, die freiberufliche IT-Experten in Projekte vermitteln. An zwei runden Tischen diktutierten die Unternehmensvertreter über die aktuelle Lage und die Zukunft auf dem IT-Projektmarkt. Hier lesen sie die Ergebnisse des zweiten Roundtables:

Infos kompakt für Freiberufler

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