200 Jahre nach Frankenstein

Wird künstliches Leben Wirklichkeit?

22.02.2019
Von   IDG ExpertenNetzwerk


Moritz Strube beschäftigt sich seit Beginn des letzten KI-Frühlings vor mehr als 20 Jahren mit Künstlicher Intelligenz. Der Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler ist Spezialist für Data Science, Statistik, Softwareentwicklung und KI-Frameworks. Er lehrt und hält Vorträge zu Künstlicher Intelligenz, Data Science und Blockchain. Seit Oktober 2021 ist er als CTO Teil der Leitung des Unternehmens InspectifAI, welches 2021 von dem Körber Geschäftsfeld Digital gegründet wurde.

 

Europa im Wettbewerb

Angesichts dieser Potenziale stellt sich auch die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands oder Europas.

Max Mundt von der GASB weist darauf hin, dass es weltweit unterschiedliche Herangehensweisen gebe. In den USA sei die synthetische Biologie im Prinzip erfunden worden und zwar nicht von Biologen, sondern von Ingenieuren, die ihre Denkmuster auf biologische Systeme übertragen hätten.

Als der wissenschaftliche Nutzen deutlich wurde, hätten Forscher in Europa viele Prinzipien aufgegriffen, allerdings zumeist ausgebildete Biologen und nicht Ingenieure. Mundt denkt, dass China dann noch etwas später auf das Thema aufmerksam wurde, als der wirtschaftliche Nutzen deutlich wurde und das Investment in den Bereich (vor allem in den USA) wuchs.

Was synthetisch-biologische Wissenschaft angehe, sei Deutschland sehr stark, auch wenn sich nicht alle Forscher, die sich auf diesem Gebiet bewegen, als "synthetische Biologen" bezeichnen würden. Was die wirtschaftliche Umsetzung angehe, hinke Deutschland (wie in anderen Bereichen) allerdings den USA hinterher. China werde ständig stärker, was nicht verwunderlich sei. Die laxere Gesetzgebung ermögliche dort auch Forschungsprojekte, die andernorts umstritten oder unmöglich seien.

Die starke Regulierung in Europa sei ein Problem. Vieles sei zwar nicht verboten, aber doch nur sehr schwer umzusetzen. Als Beispiel nennt er das EuGH-Gesetz zu CRISPR: Hier sei entschieden worden, dass Pflanzen, die mit der CRISPR-Genschere editiert wurden, als genetisch veränderte Organismen (GVO) einzustufen seien - selbst, wenn keine Fremd-DNA eingefügt wurde.

Abgesehen davon, dass es unmöglich sei, diese Pflanzen von solchen zu unterscheiden, die auf "traditionelle" Weise gezüchtet wurden, fördere man damit auch die Vormachtstellung von Großkonzernen. Nur diese seien in der Lage, die langwierigen und teuren Zulassungsverfahren zu bezahlen. Hier sei eine Chance vergeben worden, die man in anderen Teilen der Welt besser nutzen werde.

Hampus Jakobsson von BlueYard Capital stellt ebenfalls fest, dass die Wissenschaftler in den Ländern unterschiedliche Bedingungen vorfänden. Die Differenzen beträfen die Eigentumsrechte an Forschungsergebnissen genauso wie die finanzielle Unterstützung ambitionierter Projekte. Im Hinblick auf Risikokapital hätten die USA einen großen Vorteil, während China über bessere Rahmenbedingungen verfüge, Forschungsergebnisse in den Markt zu bringen. Hier sieht er Europa im Nachteil, weist aber darauf hin, dass man von anderen lernen könne.

Ausblick und ethische Implikationen

Leben künstlich zu erzeugen, birgt das Risiko, dass sich eine gefährliche künstliche Lebensform unkontrolliert verbreitet. Es ist schwer absehbar, wie sich Mutationen weiter verändern und welche Auswirkungen sie auf das globale Ökosystem oder einzelne Spezies wie den Homo Sapiens haben werden. Das von dem Nanotechnologie-Pionier Eric Drexler formulierte Szenario, dass die Nanotechnologie die Erdoberfläche in eine "Grey Goo" verwandeln könne, ist auch für die synthetische Biologie denkbar.

Über diese Risiken hinaus stellen sich noch weitere Fragen. Wollen wir überhaupt, dass von Menschen geschaffene Lebewesen die Erde bevölkern? Sollen unsere Nachkommen in einer solchen Welt leben? Diese Fragen beleuchtet Christopher J. Preston in seinem Buch "Synthetic Age" kritisch: Was heißt es für Menschen, in einer zunehmend künstlichen Welt zu leben?

Was bedeutet es, wenn künstliches Leben Teil des menschlichen Körpers wird? Was ist, wenn künstlich hergestellte Lebewesen Ersatzteile für Menschen liefern? Dieses Thema behandeln Stanislaw Lem in der Science-Fiction-Kurzgeschichte "Gibt es Sie, Mr. Jones?" und Kazuo Ishiguro in dem Roman "Alles was wir geben mussten".

Welche Herausforderungen kommen auf uns zu, wenn der Mensch soweit künstlich wird, dass sich plötzlich Fragen nach dem Eigentumsrechten stellen? Dass Unternehmen bereits heute Patente auf das Genom von Menschen beanspruchen, wird im Buch "Who owns you?" von David Koepsell genau beschrieben.

Wie aktuell das Thema ist, zeigen die Nachrichten, wonach chinesische Wissenschaftler das Genom von Zwillingen verändert haben, um diese gegen HIV resistent zu machen. Klar ist, dass die von Mary Shelly vor 200 Jahren formulierte Warnung mehr denn je ernst zu nehmen ist: Wir müssen ein ethisches Verhalten von Forschern und Politikern einfordern, wenn wir nicht von den Folgen des künstlichen Lebens bedroht werden wollen.