"Natürliche Sprache ist manchmal der bessere Code"
Ziehen Sie in Betracht, weitere GenAI-Tools auf den Markt zu bringen?
Daigle: Bezogen auf GitHub haben wir viel von der zugrundeliegenden Copilot-Technologie übernommen und sie auf unsere Support-Anwendungsfälle angewandt. Wenn Entwickler auf GitHub ein Problem haben und ein Ticket stellen müssen, ist diese Erfahrung unserer internen sehr ähnlich - auch hier kommt ein Chatbot auf Copilot-Basis zum Einsatz, der 'Support Copilot'. Auch dieses Tool ist in der Lage, ein Problem im Kontext der jeweiligen Frage zu verstehen und zu lösen.
Inzwischen erkunden wir auch weitere Möglichkeiten mit Copilot, die über Code-Generierung und Pull Requests hinausgehen. Dabei beschäftigen wir uns insbesondere mit der Frage, was passiert, wenn man das Modell "umdreht" und Copilot nicht mit Code füttert, sondern stattdessen beschreibt, welches Problem man zu lösen versucht. Copilot kann aus dem resultierenden Prompt Code erzeugen, der anschließend über den Prompt bearbeitet werden kann. Am Ende kann das Tool das Ergebnis testen, ausführen und bereitstellen - alles auf der Basis natürlicher Sprache. Derzeit versuchen wir herauszufinden, wie man auf diese Weise schneller mehr akkuraten Code generieren kann. Natürliche Sprache ist manchmal der bessere Code.
Wie ermitteln Sie den Return on Investment bei KI-Projekten?
Daigle: Man kann intern eine Million Dinge messen. Auch, wenn es um die Softwareentwicklung geht - DORA- oder Space-Metriken sind nur zwei Beispiele. Als wir intern an den IT-Anwendungsfällen gearbeitet haben, ging es um diesselben Fragen: 'Wie viele Tickets werden umgeleitet?', 'Wie viele Tickets wurden geschlossen?' - am Ende des Tages geht es eigentlich darum, die erzielte Zeitersparnis zu messen. Das ist entscheidend.
Für mich ist bei all diesen Maßnahmen der ROI schon mit eingerechnet, weil wir Zeit zurückgewinnen, die die Mitarbeiter zuvor für die Bearbeitung von Tickets und andere manuelle Tasks aufgewendet haben. Diese Zeit investieren wir wiederum in strategisch wichtigere Dinge. Der ROI beim OctoBot-Projekt ist an dieser Stelle ziemlich aussagekräftig: Die gesteigerte Produktivität der Entwickler wird automatisch reinvestiert, weil sie schneller mit ihrer Arbeit vorankommen - und dann Zeit haben, mit anderen Tools zu arbeiten, die ebenfalls eine Zeitersparnis realisieren.
Am Beispiel von GitHub erkennt man gut, dass wir in der Lage sind, mehr zu leisten als früher. Das liegt allerdings nicht daran, dass wir im letzten Jahr um 50 Prozent gewachsen sind, sondern an der gewonnenen und reinvestierten Zeit.
Was raten Sie Unternehmen, die den Einsatz generativer KI erwägen oder ihn skalieren wollen?
Daigle: Ihre Teams müssen das Rad nicht neu erfinden. Es ist einfacher, KI-Funktionen zu nutzen, die im Fluss halten und nicht erfordern, sich neue Verhaltensweisen anzutrainieren. Holen Sie Ihre Mitarbeiter dort ab, wo sie sind und geben Sie ihnen die KI-Tools, die sie brauchen. Dann wird sich die Technologie von alleine verbreiten.
Außerdem wichtig: Entwickeln sie eine wiederholbare Strategie. Jahrzehnte der Softwareentwicklung haben bewiesen, dass sinnvolle und bewährte Iterationen oft zielführender sind als große Umwälzungsprojekte, die maximal möglicherweise funktionieren. Außerdem wichtig: Testen Sie früh und mit kleinen Gruppen und machen Sie Experimentierfreude zu einem zentralen Bestandteil Ihrer Unternehmenskultur.
Und last but not least: Lassen Sie die KI arbeiten. Die besten Tools im Bereich der künstlichen Intelligenz sind die, die menschliche Qualitäten zur Geltung bringen. Wir brauchen keine KI, um kreativ zu sein - vielmehr sollte sie uns von den repetitiven Tasks befreien, die uns daran hindern, unsere Kreativität zu entfalten.
- Michael Burkhardt, Omdena
"Bei Innovationsprojekten ist es wichtig, ein diverses Team zu haben, um mögliche Bias schon im Vorfeld zu eliminieren. Neben den Fachexperten sollten idealerweise auch Linguisten, Social Scientists und andere Disziplinen mit an Bord sein. <br /><br /> Während wir in Deutschland in ein paar Pilotprojekten unterwegs sind, haben wir in den USA über 80. Dort herrscht viel mehr der Ansatz, erstmal mit einem Projekt zu beginnen, Erfahrungen aufzubauen und auch aus Misserfolgen zu lernen. Dieses Wissen hilft uns auch dabei, das deutsche Ökosystem besser zu verstehen." - Jens Duhme, ATOS
"KI ist vieles, aber nicht intelligent. Das gilt es zu kommunizieren und immer wieder auf die Grenzen hinzuweisen. Nur so können wir ein gesundes Verständnis der Technologie in den Köpfen verankern. <br /><br /> Gefahren gibt es genug, aber dass die Maschinen uns irgendwann unterjochen, gehört nicht dazu. Es dauert auch in anderen Bereichen Jahre, bis vernünftige Use Cases entstehen. So ähnlich wird das auch bei künstlicher Intelligenz ablaufen. <br /><br /> In der Cloud liegt die Verantwortung zum Beispiel primär beim Anbieter, den ich im Zweifelsfall haftbar machen kann. Das ist für Unternehmen ein großer Vorteil. Wenn so ein rechtlicher Rahmen auch bei der KI gelingt, dann senkt das viele Hürden für Anwender und schafft die Basis für mehr Ethik und Verantwortung auf Herstellerseite." - Andreas Gödde, SAS
"Nach ChatGPT hat sich die Diskussion definitiv verändert. Unternehmen diskutieren jetzt auch intern intensiver, nach dem Motto “wir müssen jetzt was machen”. Bei unseren Kunden nehmen wir eine deutlich erhöhte Kreativität zu möglichen Einsatzszenarien wahr. <br /><br /> Klar gibt es Risiken, aber die Chancen überwiegen aus meiner Sicht. Wir haben jetzt als Gesellschaft die Aufgabe, bereits im Bildungssystem die richtigen Weichen zu stellen, um die Chancen der Digitalisierung, die sich in wichtigen Bereichen des öffentlichen Lebens und in den Unternehmen bieten, auch tatsächlich auf die Straße zu bringen. <br /><br /> In Kombination mit dem Menschen sehen wir jetzt schon sinnvolle Anwendungsbereiche in den Unternehmen. Wir bezeichnen das als „augmented AI“. Das alles ist aber noch weit weg von einer “generellen” KI, die aktuell noch weit in der Zukunft liegt und die wir vielleicht auch nie erleben werden. <br /><br /> Viele Use Cases kann ich schon heute mit KI-Werkzeugen umsetzen. Teilweise werden sie – beispielsweise im Bereich Betrugsbekämpfung – vom Regulator sogar gefordert. Es muss ja nicht gleich die Kreditvergabe mit sensiblen personenbezogenen Daten sein." - Harald Huber, USU
"Die Diskussion ist heute eine andere, weil es jetzt konkrete Vorstellungen und Assoziationen in den Köpfen gibt. Jetzt geht es darum, zu schauen, welche KPI man aktiv definieren und gestalten kann. Die Kernfrage sollte immer die nach dem individuellen Nutzen sein – und dann sieht man, dass es gar nicht so einfach ist, mit der Übersetzung in den Alltag. Beim autonomen Fahren standen wir gefühlt auch schon kurz vor dem Durchbruch, doch heute ist die Revolution auf der Straße wieder in weite Ferne gerückt." - Michael Niederée, KPMG
"Es bestehen diverse ungelöste Fragestellungen: Wer hat die Urheberrechte eines Textes? Wie gelingt eine ethisch einwandfreie Umsetzung? Welche sonstigen Risiken muss man managen? Mein Vorschlag wäre, insbesondere zu Beginn eine gute Strategie als Fundament zu entwickeln, die einem anschließend erlaubt, auf die richtigen Dinge zu fokussieren. <br /><br /> Die eigentliche Revolution findet doch jetzt im Fachbereich statt. Komplexe Tätigkeiten, die bis dato viele Ressourcen gebunden haben und komplex bis unmöglich zu lösen in der Softwareentwicklung waren, können jetzt im Fachbereich durch Prompt Engineering von „Fachentwicklern“ agil und iterativ umgesetzt werden." - Ricardo Ullbrich, SS&C Blue Prism
"Am schnellsten schaffe ich Veränderung, wenn ich den branchenspezifischen Nutzen kommuniziere. Unternehmen müssen sich aktiv Gedanken machen, welche Bereiche ihres Geschäfts sie automatisieren wollen und können. Man vergleiche nur mal einen Konzern wie Amazon mit einer Versicherung: Da liegen Welten dazwischen und entsprechend unterschiedlich sind auch die Use Cases.<br /><br /> Innovationsschübe können oft auch eine gesellschaftliche Chance sein, das hat auch die Coronakrise gezeigt. Ich würde soweit gehen und sagen, dass uns die Pandemie eine bessere Arbeitswelt gebracht hat.<br /><br /> Der Mensch will nicht ausschließlich mit Bots kommunizieren, sondern auch einen gewissen Grad an Small Talk und Abschweifung in einem Gespräch haben. Das ist ein ganz entscheidender Punkt bei der Gestaltung von Services und Prozessen. <br /><br /> Einen Prozess zu optimieren ist relativ einfach. Aber darüber hinaus die weiteren Möglichkeiten zu ergründen und die “höchste Stufe” zu erreichen, das können die wenigsten." - Christoph Windheuser, Databricks
"Das Thema KI wird sowohl die Produktebene, als auch die Erwartung auf Kundenseite verändern. Doch die daraus abgeleiteten Fragestellungen gehen weit über die Technologie und deren Anwendung hinaus. Das hat gesellschaftlich-transformativen Charakter und tangiert die Substanz der gesamten Gesellschaft, zuerst vor allem über den Arbeitsmarkt. <br /><br /> Es ist eine grundsätzliche Frage: Werden wir künftig weniger arbeiten oder wird der Output höher sein? Dabei gilt auch: Wir dürfen Erfahrungen der Vergangenheit nicht in die Zukunft projizieren. Gerade haben wir es mit einem exponenziellen Wachstum zu tun, das gab es auch in der Automatisierungswelle der 1980er Jahre nicht. Die Situation ist also völlig neu."
Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.