Eine neue agile Struktur und Kultur entwickeln
Beim Entwickeln einer neuen agilen Unternehmensstruktur und -kultur stellen sich unter anderem folgende Fragen, die teilweise einen Paradigmenwechsel erfordern.
Frage 1: Welchen Werten entspringt unser neuer Führungsgedanke? Was heißt das für unsere Rituale und unser Handeln?
Damit eine neue Kultur entstehen kann, braucht es einen neuen Wertekodex, der hierarchieübergreifend entwickelt werden sollte. Diesen Kodex gilt es dann in gemeinsamen Ritualen mit Leben zu füllen.
Frage 2: Welche Daseinsberechtigung hat künftig das mittlere Management?
In einer fluiden Organisation werden die Kernleistungen weitgehend von Teams erbracht. Diese benötigen eine projekthafte Führung, die das kurzfristige Entstehen, aber auch Auflösen von Teams fördert. Hieraus erwächst die Frage: Welche Funktion haben dann noch die Team-, Abteilungs- und Bereichsleiter? Inwieweit sind sie überhaupt noch nötig?
Frage 3: Wie messen und entlohnen wir künftig die (individuelle) Leistung?
Wenn die Leistung in Teams oder Beziehungsnetzwerken erbracht wird, erhebt sich die Frage, wie die individuelle Leistung erfasst und gerecht entlohnt wird. Auch in einer fluiden Organisation muss sichergestellt sein, dass jeder Mitarbeiter ein bestimmtes Leistungspotenzial abruft - und sich zum Beispiel nicht auf Kosten des Teams "ausruht". Diesbezüglich gilt es Transparenz zu schaffen.
Im digitalen Zeitalter ist diese Kontrolle nicht mehr durch die Führungskraft nötig. Sie kann auch mittels einer digitalen Messlatte erfolgen, die ähnlich wie im privaten Bereich der Konto-Auszug einer Bank anzeigt: Wie groß ist mein "Haben", und wie weit ist mein Überziehungskredit ausgereizt? Es braucht dann jedoch auch ein daran gekoppeltes wirksames Konsequenzen-Management.
Frage 4: Welche Funktion hat Führung in den agilen Strukturen?
Klar ist: Führungskräfte müssen in vernetzten Strukturen mehr Beziehungs- als Schnittstellenmanager sein; außerdem müssen sie sich, wenn sich die fachliche (Entscheidungs-)Kompetenz weitgehend auf die operative Ebene verlagert, vom fachlichen Mentor zum Coach beziehungswiese Agilität-Coach entwickeln.
- Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle. - Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen. - Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf. - Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle". - Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen. - Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung. - Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise. - Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein. - Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.
Frage 5: Wie sehen die Arbeitsräume/-plätze künftig aus? Wie erzeugen wir ein Feel-Good-Klima?
Die Arbeitsumgebung und das Arbeitsequipment müssen den neuen Anforderungen angepasst werden. Nötig sind unter anderem Meetingräume und flexible Arbeitsplätze, die jederzeit auf- und abbaubar sind.
Da die Fachkräfte beziehungsweise Spezialisten eine immer wichtigere Ressource werden, gilt es im Betriebsalltag folgenden Spagat zu schaffen:
Die Mitarbeiter leben die volle Kundenverantwortung. Und:
Die oberen Führungskräfte kümmern sich mit Leidenschaft um die Mitarbeiter. Sie betreiben unter anderem ein Feel-Good-Management, um die Mitarbeiter zu binden.
Die neue Hülle mit Leben füllen
Richard Branson, der Gründer der Virgin-Group, sagte einmal: "Clients do not come first. Employees come first. If you take care of your employees, they will take care of the clients." Dieses Denken müssen Führungskräfte künftig verstärkt verinnerlicht haben.
Bewegung und Movement im Sinn einer flexiblen Organisation entsteht erst, wenn die Leitungsebene eines Unternehmens sich mit den oben formulierten Fragen befasst und hierauf unternehmensspezifische Antworten findet und sichtbar umsetzt. Dann kann in der neuen Hülle Bewegung entstehen. (OE)