Kein Unternehmen kommt in Zukunft um die No-Code-/Low-Code-Entwicklung herum, sei es um fachbereichsspezifische Prozesse abzubilden, Kernsysteme durch neue Funktionen zu erweitern, Enterprise-Applikationen zu erstellen und digitale sowie automatisierte End-to-End-Prozesse zu etablieren.
Gegenwärtig wird der No-Code-/Low-Code-Markt jedoch kräftig durcheinander gewirbelt. Zum Beispiel durch den Walldorfer Softwarehersteller SAP, der mit SAP Build eine Cloud-basierte No-Code-/Low-Code-Plattform auf den Markt gebracht hat, mit der sich Apps ohne Code entwickeln, Workflow-Prozesse automatisieren und Weboberflächen erstellen lassen. Für die große Zahl von Unternehmen, die ERP-Software von SAP als Kernsystem einsetzen, ist das ein klarer Mehrwert.
KI als Gamechanger bei No Code/Low Code
Die rasante Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz (KI) wird auch die Softwareentwicklung dauerhaft verändern. Schon heute lässt sich Software nur durch den Dialog mit einer KI wie ChatGPT (Version 4) von OpenAI generieren, ohne eine einzige Zeile Code selbst erstellen zu müssen. Aus technologischer Sicht hat KI damit das Zeug zum Gamechanger in Bezug auf die No-Code-/Low-Code-Entwicklung.
Darin waren sich die Teilnehmenden der COMPUTERWOCHE-Expertenrunde zum Thema "No-Code/Low-Code" weitgehend einig. Gleichzeitig warnten sie davor, in einer KI wie Chat GPT die "eierlegende Wollmilchsau" der No-Code-/Low-Code-Entwicklung zu sehen. Mithilfe von KI ließen sich Mockups oder eine Frage-Antwort-Engine als Bestandteil eines Gesamtprozesses zwar schnell und mit geringem Aufwand bauen, komplexe, Compliance-konforme Prozesse mit nahtloser End-to-End-Integration in die IT-Kernsysteme jedoch (noch) nicht.
Hinzu kommt: Eine KI wie ChatGPT kann Softwarecode erstellen und ihn auch testen und debuggen. Das Ergebnis ist in der Regel aber nicht perfekt, sodass der Code nach wie vor von einem professioneller Entwickler auf Qualität und Zuverlässigkeit geprüft werden muss.
- Anes Tanjo, Campana & Schott
„No-Code/Low-Code hat mittlerweile eine strategische Relevanz in Unternehmen erreicht und erfordert daher die nötige Aufmerksamkeit. Den Unternehmen wird immer bewusster, dass die Definition und Einhaltung von Governance- und IT-Security-Regeln, etwa in Bezug auf Softwarelizenzen, Zugriffsrechte oder Storage-Vorgaben, von hoher Bedeutung für den Erfolg einer No-Code-/Low-Code-Entwicklung ist.“ - Ralf Hertneck, Cloud Value Group
„Die Erstellung, die Abbildung und der Betrieb komplexer Enterprise-Prozesse in einer Code-/Low-Code-Applikation muss zentral gemanagt werden – unter strikter Einhaltung der Governance-Regeln. Andernfalls droht eine neue Schatten-IT. Das erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen der internen IT und dem Business.“ - Jens Stier, engomo
„Mit No-Code/Low-Code-Apps, die Enterprise-ready und Governance-konform sind und sich nahtlos in die nahtlos in vorhandene IT-Systeme integrieren, sowie einem agilen Vorgehen bringen Unternehmen zusätzlichen Schub in die Digitalisierung ihrer Wertschöpfungskette. Dennoch kann in bestimmten Fällen die ‚klassische‘ Individualentwicklung eine sinnvolle Alternative sein.“ - Markus Bernhart, Necara
„Backoffice-Prozesse lassen sich heute nahezu ausnahmslos per No-Code/Low-Code abbilden und eine KI wie Chat GPT hat im Zusammenspiel mit Low-Code das Zeug zum ‚Gamechanger‘. Von der Vorstellung, Citizen Developer aus dem Fachbereich, die keine oder nur rudimentäre IT-Kenntnisse haben, könnten den IT-Fachkräftemangel beheben, sollte man sich verabschieden.“ - Sven Schindler-Grünholz, ONEiO
„Unabhängig davon, ob Applikationen per No-Code oder Low-Code entwickelt werden, muss es von Beginn an den Brückenschlag zwischen der IT und dem Business geben. Um die Integration in die bestehende IT-Strukturen standardisiert, automatisiert und schnell durchzuführen, eignet sich eine No-Code-Plattform am besten.“ - Christian Heinrichs, UiPath
„Mit Low-Code-/No-Code-Entwicklung als Teil einer Business Automation Plattform, die KI-Technologien enterprisefähig einbindet, lässt sich das im Unternehmen vorhandene Prozesswissen direkt und mit schneller Time-to-Market in automatisierte und prozessorientierte Enterprise-Anwendungen überführen.“ - Philipp Erdkönig, WEBCON
„Bei No-Code-/Low-Code-Projekten wird nach unserer Erfahrung inzwischen mehr Wert auf die Qualität der Anwendungsentwicklung und das richtige Management gelegt statt bloß auf Kostensenkungen. Die Kooperation auf Augenhöhe von IT Experten und den Anwendern in den Fachabteilungen ist dabei einer der wichtigsten Faktoren für die erfolgreiche und schnelle Umsetzung von Digitalisierungsprojekten.“
No-Code-/Low-Code-Plattformen sind unverzichtbar
ChatGPT und andere programmierfähige KIs sind, Stand heute, auch kein Ersatz für eine No-Code-/Low-Code-Plattform. Eine große Stärke dieser Plattformen liegt unter anderem darin, verschiedene KI-Modelle zentral zusammenführen und in ein vorhandenes Governance- und Compliance-Framework einbetten zu können.
Unverzichtbar ist eine No-Code-/Low-Code-Plattform auch, um Enterprise-ready Applikationen oder spezielle Online-Shops und -Marktplätze oder Businessnetzwerke nach der 80-20-Regel innerhalb kurzer Zeit zu entwickeln und in Betrieb zu nehmen. Das reduziert die Komplexität in IT-Projekten und ist deutlich effizienter als ein 100-Prozent-Anspruch.
Sie verkürzen aber nicht nur die Time-to-Market deutlich, sondern ermöglichen auch die nahtlose Integration neu erstellter Software mit vorhandenen Backend- beziehungsweise Legacy-Systemen. Das ermöglicht genau das reibungslose Zusammenspiel aller Anwendungen, das nötig ist, um Prozesse entlang der Wertschöpfungskette End-to-end zu digitalisieren, zu automatisieren und zu standardisieren und somit auch einfacher und transparenter zu machen.
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Durch Governance neue Schatten-IT verhindern
Die Runde debattierte darüber hinaus, wie sich die No-Code-/Low-Code-Entwicklung auf Governance, Security und Compliance auswirkt und ob das Problem des IT-Fachkräftemangels dadurch gelindert werden kann. Durchaus kritisch hinterfragt wurde in diesem Zusammenhang auch die Rolle des sogenannten Citizen Development.
In Bezug auf die Governance stellten die Teilnehmenden fest, dass No-Code-/Low-Code-Projekte nur erfolgreich sein können, wenn die IT-Organisation und die Fachbereiche an einem Strang ziehen und abteilungsübergreifend zusammenarbeiten. Abgesehen von einem solchen IT-Business-Alignment, sei auch die optimale Arbeitsaufteilung zwischen IT-Organisation und Fachbereichen ein wichtiger Erfolgsfaktor bei No-Code-/Low-Code-Projekten. Allein mit der Erstellung einer neuen Applikation sei es nicht getan, so ein Teilnehmender. Sie muss auch ausgeliefert, in Betrieb genommen, gewartet und weiterentwickelt werden, und zwar im Einklang mit den internen IT-Security- und Compliance-Richtlinien.
Diese Arbeitsteilung könnte sich zum Beispiel wie folgt gestalten: Die Fachabteilung, die über das Prozess-Know-how verfügt, erstellt per No-Code/Low-Code einen Prototyp der späteren Applikation und übergibt diesen an die interne IT, die ihn in enger Abstimmung mit dem Business dann bis hin zur einsatzfähigen IT-Anwendung ausbaut und die Verantwortung für Deployment, Betrieb und Weiterentwicklung übernimmt.
Entwickeln Fachabteilungen No-Code-/Low-Code-Apps und -Applikationen dagegen autonom, also ohne das Wissen und die Kontrolle durch die IT-Abteilung, droht die Entstehung einer neuen Schatten-IT. Eine solche "Demokratisierung der Softwareentwicklung" vorbei an der internen IT, wie sie zum Beispiel ein Citizen Development ermöglicht, stellt ein enormes IT-Sicherheitsrisiko dar.
Vorteile bereichsübergreifender Zusammenarbeit
Für die bereichsübergreifende Zusammenarbeit können aus organisatorischer Sicht gemischte Teams zusammengestellt werden, die Mitarbeitende der internen IT und der Fachbereiche integrieren, oder Ressourcen und Fachwissen werden in einem zentralen Center of Excellence (CoE) gebündelt. Zu den sensiblen Aufgaben in diesem Kontext gehört es, Veränderungsprozesse in IT und Business anzustoßen, die althergebrachtes Silodenken und Herrschaftswissen aufbrechen und Vertrauen zwischen allen Beteiligten schaffen.
Durch das enge Zusammenspiel zwischen IT und Business lassen sich auch Geschwindigkeitsvorteile optimal ausnutzen, die No-Code/Low-Code als agiler Ansatz für die Applikationsentwicklung gegenüber der klassischen Programmierung bietet. Nach Ansicht eines Teilnehmenden werden IT-Verantwortliche, die das verstehen, auch den IT-Fachkräftemangel lösen. Zusätzlich trage eine mit KI-Technologie verknüpfter Einsatz agiler No-Code-/Low-Code-Entwicklungsmethoden zu einer Entkrampfung des IT-Fachkräfteproblems bei.
Citizen Development braucht Kontrolle durch IT
Kritisch diskutierten die Experten die Rolle der Citizen Developer, also der Laienentwickler aus dem Fachbereich. Diese Bezeichnung könne durchaus falsch interpretiert werden. Sie insinuiere nämlich, dass jetzt auch "Lieschen Müller von nebenan" Enterprise-ready Applikationen per No-Code/Low-Code entwickeln könne. Beim Citizen Developer handelt es sich dagegen um eine Person, die technikaffin ist und über eine gewisse IT-Erfahrung verfügt, zum Beispiel als Power-User oder als Excel-Profi, der/die komplexe Tabellen erstellt oder VBA-Programmierungen durchführt.
Der Vorschlag, Citizen Developer durch die Bezeichnung Business Developer zu ersetzen, fand keine Zustimmung, auch weil Letzterer sich mit der strategischen und operativen Weiterentwicklung eines Unternehmens beschäftigt. Doch Citizen Developer hin, Business Developer her: Unabhängig von der Begriffsdefinition herrschte Einvernehmen unter den Teilnehmenden, dass die interne IT-Organisation bei No-Code-/Low-Code-Projekten als "ordnende Hand" auch in Zukunft unverzichtbar sein wird.
Zum Teil kontrovers wurde die These eines Teilnehmenden debattiert, das Potenzial einer No-Code-/Low-Code-Plattform, auch im Hinblick auf die Skalierbarkeit, lasse sich ausschließlich durch den Betrieb in einer Public Cloud ausschöpfen. Der Widerspruch kam prompt. Es müsse jedem Unternehmen selbst überlassen sein, eine solche Plattform gemäß seinen individuellen Anforderungen On Premises, in der Public Cloud, der Private Cloud oder in Form eines Hybridmodells zu betreiben. Sind zum Beispiel in einer No-Code-/Low-Code-Applikation verwaltete Daten besonders schutzwürdig und/oder dürfen sie aufgrund gesetzlicher Vorschriften nicht außer Haus gegeben werden, ist in der Regel der On-Premises-Betrieb das Mittel der Wahl.
No Code/Low Code - ROI-Betrachtung nicht vergessen
Da eine No-Code-/Low-Code-Plattform auch ein Kostenfaktor ist, sollte in jedem Fall eine ROI-Betrachtung durchgeführt werden. In die Wirtschaftlichkeitsberechnung kann zum Beispiel einfließen, wie viele Applikationen mit einer No-Code-/Low-Code-Plattform zu entwickeln sind und wie hoch die durch die Prozessautomatisierung erzielten Einsparungen sein müssen, damit sich die Anschaffung rechnet.
Auch IT-Governance-Prinzipien sollten einbezogen werden, da sich eine hohe Qualität der No-Code-/Low-Code-Projekte durch richtiges und gutes Management positiv auf den ROI auswirkt, genauso wie Security-Aspekte. Sollen durch No-Code-/Low-Code-Projekte in erster Linie Kosten gespart werden, geht das in der Regel zulasten der Output-Qualität und führt zu Ineffizienzen, Verzögerungen und Nacharbeiten. Das ist kontraproduktiv, denn es treibt die Kosten wie bei einem "Bull-Whip-Effekt" nach oben.
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