Entwicklungschef im Interview

Wie GenAI-Strategie bei Thomson Reuters geht

06.02.2024
Von 
Lucas Mearian ist Senior Reporter bei der Schwesterpublikation Computerworld  und schreibt unter anderem über Themen rund um  Windows, Future of Work, Apple und Gesundheits-IT.
Thomson Reuters setzte Jahrzehnte lang auf KI – dann kam Generative AI. Wie das Medienunternehmen strategisch vorging, um Schritt zu halten, erläutert Entwicklungschef Shawn Malhotra im Interview.
Der globale Medienkonzern Thomson Reuters hat im Rahmen seiner Generative-AI-Strategie eine Plattform entwickelt, die mit wiederverwendbaren Komponenten für Mitarbeiter und Kunden Mehrwert generiert.
Der globale Medienkonzern Thomson Reuters hat im Rahmen seiner Generative-AI-Strategie eine Plattform entwickelt, die mit wiederverwendbaren Komponenten für Mitarbeiter und Kunden Mehrwert generiert.
Foto: 4kclips | shutterstock.com

Schon über die letzten drei Dekaden hat der britisch-kanadische Medienkonzern Thomson Reuters auf künstliche Intelligenz (KI) gesetzt, um seine Kunden und Mitarbeiter dabei zu unterstützen, die für sie jeweils relevantesten Informationen aus einer Unmenge digitaler Dokumente zu extrahieren. Das globale Medien- und Technologieunternehmen beschäftigt mehr als 9.000 Journalisten und versorgt (unter anderem) Experten aus der Finanzbranche und dem Rechtswesen mit Informationsdienstleistungen.

Mit dem rasanten Aufstieg von generativer KI (Generative AI; GenAI) war der Konzern allerdings gezwungen, seine bisherige KI-Strategie auf den Prüfstand zu stellen. In Folge präsentierte Thomson Reuters im November 2023 seine Generative-AI-Strategie und kündigte in diesem Rahmen die Integration von Microsoft Copilot sowie neue, darauf basierende Produkte an. In solche GenAI-Tools (sowohl für die interne Nutzung als auch durch Kunden) will das Unternehmen künftig jährlich 100 Millionen Dollar pumpen. Darüber hinaus übernahm Thomson Reuters für rund 650 Millionen Dollar auch den GenAI-Plattformspezialisten Casetext.

Ein wesentlicher Meilenstein auf dem Weg zum GenAI-Erfolg von Thomson Reuters soll dabei die hauseigene GenAI-Plattform "AI Skills Factory" darstellen. Dabei handelt es sich um eine Cloud-basierte, API-gesteuerte Low-Code-Plattform. Diese nutzt den gesamten Content des Unternehmens, um dem Mitarbeitern und Kunden zu ermöglichen, mit wiederverwendbaren Komponenten neue KI-Skills aufzubauen. In Zuge dessen war unter anderem auch ein umfassendes Schulungsprogramm für die Mitarbeiter nötig, damit diese die neue Plattform optimal einsetzen können.

Bei der Realisierung der "AI Skills Factory" übernahm Entwicklungsleiter Shawn Malhotra eine tragende Rolle. Im Interview mit den Kollegen unserer US-Schwesterpublikation Computerworld verrät der Technologieexperte unter anderem, welche Vorteile sein Unternehmen mit dieser Plattform inzwischen für Kunden und Mitarbeiter erschließt - und warum der Konzern höchst optimistisch in die Zukunft blickt, wenn es um generative KI geht.

"Nur so kann das skalieren"

Geben Sie uns ein bisschen Kontext zu Ihrem Unternehmen. Wie hat sich das Aufkommen generativer KI auf Thomson Reuters ausgewirkt? Welches Problem wollten Sie mit GenAI lösen?

Shawn Malhotra: GenAI hat für uns einen Wendepunkt markiert - obwohl wir auf eine lange Tradition zurückblicken, wenn es darum geht, natürlichsprachliche Prompts zu nutzen. In einem ersten Schritt haben wir zunächst unsere Kunden dazu befragt, mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben - etwa, was ihre größten Zeitfresser sind. Dabei haben wir schnell festgestellt, dass sich viele der genannten Problemstellungen mit Tools auf Basis von Large Language Models auflösen lassen.

Allerdings kristallisierte sich schnell ein sekundäres Problem heraus: Aufgrund der Vielzahl an Möglichkeiten in den unterschiedlichen Endmärkten brauchten wir eine Lösung, die uns in Sachen GenAI auch die nötige Innovationsgeschwindigkeit verleiht, um den Erwartungen unserer Kunden auch gerecht werden zu können.

Die haben wir mit unserer KI-Plattform gefunden. Sie ermöglicht unseren Developern, mit vorgefertigten und wiederverwendbaren Bausteinen zu arbeiten. Nur so war es möglich, seit unserer strategischen Ankündigung im November bereits drei GenAI-Produkte einzuführen.

Ein dediziertes KI-Team war bei Ihnen ja bereits existent. Wie haben Sie dieses Team umstrukturiert, respektive erweitert, nachdem der GenAI-Hype ausgebrochen ist? Was würden Sie anderen Unternehmen hinsichtlich der Aufstellung ihrer KI-Teams empfehlen?

Malhotra: Im Grund hat sich das Vorgehen nicht wesentlich von dem bei anderen Entwicklungsinitiativen unterschieden: Sie brauchen Entwickler, Designer, Produktmanager und Rechtsexperten - also alle Stakeholder, die man auch sonst erwarten würde. Allerdings halten mit der KI auch neue Aspekte und Herausforderungen Einzug - für Rechtsabteilung, Developer und Marketing. Das macht ein tieferes Verständnis der Technologie - und damit Schulungsinitiativen - unverzichtbar. Schließlich sollen die neuen Probleme auch gelöst werden können.

Wir haben unser bestehendes Team entsprechend zielstrebig für Generative AI erweitert. Dabei manifestierte sich einer der größtem Mehrwerte für uns darin, dass auch technisch nicht-versierte Mitarbeiter in die Lage versetzt werden können, diesbezüglich für die Kunden einen Mehrwert zu schaffen. Nur mehr KI-Experten einzustellen, ist kein Mittel, um schnell neue Produkte auszuliefern. Um die Bausteine erstellen zu können, benötigt man beispielsweise Datenbank-Knowhow. Nur so kann das skalieren.

Dabei kam uns zudem zugute, dass wir im Rahmen unserer KI-Bemühungen bereits mit Transformer-basierten Modellen experimentiert haben. GPT hat also beschleunigt, was bereits in Bewegung war - und wir mussten darauf möglichst schnell reagieren.